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Heinrich-Böll-Preis für Uwe Timm

11. Dezember 2009

Uwe Timm bekommt den Heinrich-Böll-Preis 2009. Mit der Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" und einem Buch über seinen Bruder wurde er international bekannt. Was verbindet Timm und Böll?

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Porträt von Uwe Timm (Foto: Markus Kirchgessner)
Bild: Markus Kirchgessner

Uwe Timm sitzt in einem schwarzen Bürostuhl im Arbeitszimmer seiner Münchner Dachgeschosswohnung. Eine Handvoll Figuren und Gegenstände säumt die große, schlichte Schreibtischplatte. Bis vor kurzem war darunter auch ein silberner Zylinder mit dem ausfahrbaren Stachel eines Stachelschweins. Dieser wundersame Zahnstocher, ein Geschenk von Uwe Timms Frau, ist zwar real verloren, aber bleibt in der Fiktion erhalten. Denn Timm hat ihn 1984 der Hauptfigur seines Romans „Der Mann auf dem Hochrad“ angedichtet. Das Vorbild war ein Großonkel, der angeblich das Hochradfahren erfunden hat: „Mit drei Jahren habe ich diesen Mann erlebt“, erzählt Uwe Timm, „der war Präparator und stopfte Tiere aus. Diese Tätigkeit faszinierte mich, weil die toten Tiere zu Halblebewesen wurden. Später hat sich dieser Onkel in meinem Kopf so breit gemacht! Der wollte, dass ich über ihn schreibe!“

Buchcover: Uwe Timm - Am Beispiel meines Bruders (Foto: dtv)

Die Figur wählte den Autor, nicht umgekehrt. So kann man es auch in Uwe Timms gerade als Buch erschienenen Frankfurter Poetikvorträgen nachlesen, die er im Sommer 2009 im Rahmen der Frankfurter Poetikdozentur gehalten hat. Eine renommierte Einrichtung, die einst mit Vorlesungen von Ingeborg Bachmann begann und später von Autoren wie Böll und Grass fortgeführt wurde. „Von Anfang und Ende. Über die Lesbarkeit der Welt“ hat Timm seine Vorlesungen genannt. Immer wieder kommt auch das Ende schlechthin, der Tod zur Sprache.

Revolutionäre Apotheker

Der Tod ist eine Konstante in Timms Werk: „Ich nehme an, das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass mein wesentlich älterer Bruder im Krieg gefallen ist und dass dieser Tod des Bruders immer eine große Rolle im Erzählen zu Hause war.“

Als nach seinem Vater auch seine Mutter und seine Schwester gestorben waren, fühlte Uwe Timm die Zeit gekommen, über seinen Bruder, der sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte, zu schreiben. „Am Beispiel meines Bruders“, zugleich ein Porträt der gesamten Familie Timm, erschien 2002 und wurde, völlig unerwartet für den Autor, zum Bestseller und in etliche Sprachen übersetzt.

Buchcover: Uwe Timm - Rot

Begonnen hatte seine Karriere in den siebziger Jahren mit einem Roman über die Studentenbewegung 1968 "Heißer Sommer". Damals haben alle sich selbst verändern wollen, erinnert sich Timm schmunzelnd: „Was gab es da nicht alles: revolutionäre Apotheker und revolutionäre Maschinenbauer. Das hört sich heute ganz komisch an, war aber toll. Die Menschen überlegten, nach welchen Bedürfnissen man arbeitet."

Der resignierte Grabredner

Doch schon bald hatte das Revolutionäre seine Unmittelbarkeit verloren. Die Sprache, die Timm so wichtig ist, bestand nur noch aus leeren Versatzstücken, hatte keine Kraft zur Veränderung mehr. Uwe Timm begrub seine revolutionären Ideen und schrieb darüber den Roman „Kerbels Flucht“ (1980). Die Abkehr vom Marxismus findet sich nicht nur in diesem Buch wieder, sondern auch in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen „Von Anfang und Ende“. Darin beschreibt Timm ausführlich, welche Ereignisse den Anstoß gaben, den Roman „Rot“ zu schreiben und noch mal auf die 68er-Generation zurückzublicken. Er lernte einen resignierten Linken, einen Weinhändler, kennen, der nebenberuflich Beerdigungsredner war:

„Das fand ich einfach einen hochinteressanten Beruf. Dass man über Tote redet, die nicht glauben, dass es ein Nachleben gibt, und jetzt sagen muss, wie dieses Leben gelebt ist, das ist eine ähnliche Situation, vor der auch der Schriftsteller steht, der Romane über Menschen schreibt.“

Bölls mentalgeschichtliche Archäologie

Schriftsteller Heinrich B�ll bei der Blockade des US-Raketendepots 1983 in Mutlangen. (Foto: dpa)
Heinrich B�ll beim ProtestierenBild: picture-alliance/ dpa

Da ist er wieder, der Tod, der Uwe Timm so sehr beschäftigt. Tod und Krieg. In der mittlerweile verfilmten Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ schildert Uwe Timm die Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem fahnenflüchtigen Bootsmann im Zweiten Weltkrieg. Sie hält ihn in ihrer Wohnung versteckt und verschweigt ihm das Kriegsende. Das Ganze spielt in Hamburg, wo Uwe Timm 1940 geboren wurde und als Dreijähriger erlebte, wie das Elternhaus ausgebombt wurde. Krieg und Gewalt, Themen, die auch Heinrich Böll beschäftigten. Mit 21 Jahren las Timm zum ersten Mal Bölls Roman „Billard um halbzehn“ aus dem Jahr 1959 und war fasziniert:

„Wie er über die deutsche Tradition der Gewalt, der Kriege, schreibt, wie sie fortwirkt und wie sehr damit auch das Bürgertum, auch das katholische in Köln, kontaminiert ist und wie bereit man war, mit den Nazis zu paktieren - diese mentalgeschichtliche Archäologie von Böll finde ich ganz bewundernswert.“

Autor: Tobias Wenzel

Redaktion: Gabriela Schaaf

  • Uwe Timm: "Vom Anfang und Ende. Über die Lesbarkeit der Welt." Frankfurter Poetikvorlesung. Kiepenheuer & Witsch. November 2009. 142 S. 16.95 Euro.