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„Der Tod Milosevics vor einer Verurteilung hat fatale Folgen“

16. März 2006

Im Interview mit DW-RADIO spricht Völkerrechtler Prof. Herwig Roggemann über die zukünftige juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien nach dem Tod von Slobodan Milosevic.

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Prozess ohne Urteil: Slobodan Milosevic vor dem ICTYBild: dpa

Prof. Dr. Herwig Roggemann ist emeritierter Professor für Südosteuropäisches Recht am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.

DW-RADIO/Albanisch: Herr Professor Roggemann, das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat es nicht geschafft, den Prozess gegen Slobodan Milosevic zu Ende zu führen. Welche Auswirkungen sehen Sie auf den Wahrheitsfindungs- und insbesondere auf den Aussöhnungsprozess im ehemaligen Jugoslawien?

Ich sehe einen deutlich negativen Einfluss. Es war ohnehin in Serbien wesentlich schwieriger, Einsicht herzustellen in die Rolle Serbiens und der serbischen Führung als Hauptaggressor in diesem schrecklichen Krieg als etwa in Kroatien, wo sich unter der Regierung von Ivo Sanader eine ganz andere Entwicklung vollzogen hat. Die beiden führenden politischen Parteien in Serbien, die Sozialisten und die Radikalen, wurden und werden nach wie vor – und das ist ein höchst befremdliches Phänomen – von den beiden in Den Haag einsitzenden Führungskräften, nämlich dem nun verstorbenen Milosevic und von dem noch lebenden Ex-Parlamentspräsidenten Vojislav Seselj organisiert und politisch geleitet. Selbst die Wahlkämpfe wurden von da geleitet und diese beiden Parteien haben nach wie vor im politischen Spektrum Serbiens die größte Stimmenanzahl, also das größte politische Gewicht. In diesem Zusammenhang hat der Tod von Milosevic vor einer Verurteilung fatale Folgen. Er eignet sich für Märtyrer- und Verschwörungs-Theorien.

Der Tod von Milosevic kam zu einem Zeitpunkt, wo eigentlich sehr intensiv über die Auslieferung des noch gesuchten ehemaligen Generals Ratko Mladic verhandelt wurde. Welche Auswirkungen werden die jetzigen Ereignisse darauf haben ?

Was die Sache besonders fatal macht: Die Ereignisse sind aus meiner Sicht ganz eindeutig zurückzuführen auf eine verfehlte Anklagepolitik des Haager Tribunals und der Chefanklägerin Carla del Ponte. Tatsache ist, dass nach wie vor ein großes Ungleichgewicht bei den Verfahren gegen die Haupttäter herrscht. Denn die drei mutmaßlichen Haupttäter sind eindeutig Milosevic, Karadzic und Mladic. Und alle drei sind bisher nicht verurteilt. Karadzic und Mladic sind bis heute überhaupt nicht inhaftiert und dem Verfahren zugeführt. Stattdessen hat sich das Haager Tribunal schwerpunktmäßig mit Fällen wie etwa dem Verfahren gegen den kroatischen General Gotovina beschäftigt, der verglichen mit Mladic ein absolut kleiner Fisch ist. Das Tribunal hat es versäumt, sich gleichzeitig zielgerichtet auf die Haupttäter zu konzentrieren.

Werden letztlich Juristen oder Historiker darüber entscheiden, was die Wahrheit im ehemaligen Jugoslawien-Konflikt war?

Hoffen wird, dass beide darüber entscheiden, und hoffen wir sehr, dass es doch noch gelingt, die ausstehenden Strafverfahren gegen die noch freien Hauptverdächtigen Karadzic und Mladic zum Abschluss zu bringen.

Schon diese bisherigen Ermittlungen gegen Milosevic haben in vieler Hinsicht Klarheit gebracht über die Verwicklungen der serbischen Führung unter Milosevic in diesem Krieg Aber das Ganze hat nicht den Charakter einer rechtskräftigen Entscheidung. Gleichwohl haben die zusammengetragenen Beweismittel, die zahlreichen Zeugenaussagen, Urkunden, sogar Filmaufnahmen einen großen historischen Wert. Sie stellen einen Teil dieses unabdingbaren Aufklärungsprozesses dar, und man kann nur hoffen, dass im Zusammenwirken zwischen Juristen und Historikern die Wahrheit dann auf den Tisch kommt – und in die Geschichtsbücher.

Das Interview führte Fabian Schmidt

DW-RADIO/Albanisch, 14.3.2006, Fokus Ost-Südost