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Ende des Booms

11. Juni 2009

Hohe Rohstoffpreise haben in Afrika in den letzten Jahren für einen Wirtschaftsboom gesorgt. Doch die globale Wirtschaftskrise hat dem ein Ende bereitet - mit drastischen Auswirkungen für viele Afrikaner.

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Flüchtlingsboot (Foto: dpa)
Tausende wagen die gefährliche Fahrt nach EuropaBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Im Hafen von St. Louis prüft Babacar Sek seine Fangnetze. Bald wird er wieder auf das Meer hinausfahren. Hier, im Norden des Senegal, wo der gleichnamige Fluss in den Atlantik mündet, leben die meisten Menschen vom Fischfang - er ist die wichtigste Einnahmequelle des Landes. Doch Babacar klagt, dass er kaum noch etwas für seinen Fisch bekommt. Für traditionelle Fischer wie ihn gibt es keine Fangquoten, die den Preis stabil halten würden. Gleichzeitig subventioniert die Europäische Union ihren eigenen Fischfang. In Zeiten der Wirtschaftskrise ist der Protektionismus der EU für Menschen wie Babacar besonders schlimm. "Es ist sehr hart für uns, heute haben wir Arbeit, wir wissen aber nicht, was morgen sein wird. Was wir machen, ist gefährlich, und wir sind immer gut eine Woche auf hoher See, bevor wir zurückkommen." Er wünscht sich sehnlichst einen Job, in dem er mehr Geld verdienen kann. Momentan reiche das Geld vorne und hinten nicht, und so lebe er mit seiner Familie von der Hand in den Mund, sagt der Fischer.

Lebensgefährliche Reise

Babacar ist verzweifelt, und wenn sich nicht bald etwas zum Guten ändert, will er es nochmal wagen - über den Atlantik, nach Europa. So wie vor zwei Jahren, als er vor der spanischen Küste fast ertrunken ist: "Zehn Tage nach unserer Rückkehr haben es meine Freunde auch versucht, und bis heute habe ich noch nichts von ihnen gehört", sagt er. Trotzdem sei er bereit, das Risiko noch mal auf sich zu nehmen, denn eine andere Möglichkeit sehe er nicht, sagt Babacar. Egal was ihn in Europa erwarte, die Bedingungen dort seien allemal besser als im Senegal, sagt er.

Keine Chance auf Arbeit

Das Leben war immer schon schwer in Afrika, und die Menschen versuchen, auch mit den neuen Herausforderungen fertig zu werden. Doch der Glaube an das eigene Stehvermögen wird in Afrika momentan in dem Maße erschüttert, wie die mühsam errungenen Entwicklungsfortschritte zunichte gemacht werden. Für Laurent De Boeck von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Dakar haben vor allem die gestiegenen Nahrungsmittelpreise im letzten Jahr dazu geführt, dass die Menschen ihre Heimat verlassen. "Wir haben wesentlich mehr Bewegung in der ganzen Region Westafrika festgestellt. Die Menschen sind vor der Krise geflohen, weil die Nahrungsmittel einfach unbezahlbar geworden sind." Viele Menschen seien deswegen in die Nachbarländer geflohen, andere seien zu illegalen Flüchtlingen geworden.

Afrikanischer Bettler (Foto: AP)
Arbeitslos und auf der StraßeBild: AP

Zu den hohen Preisen für Grundnahrungsmittel kamen mit der Finanzkrise bald sinkende Rohstoffpreise, die laut Internationalem Währungsfonds dieses Jahr mindestens ein Drittel niedriger sein werden als 2008. Das trifft die Entwicklungsländer südlich der Sahara hart. Auch, weil sie die zurückliegenden Boomjahre nicht genutzt haben, um ihre Ökonomien auf breitere Fundamente zu stellen. Viele Staaten sind nach wie vor vom Rohstoffexport abhängig, so wie Kamerun.

Arm trotz großer Reichtümer

Das westafrikanische Land kann Erdöl, Aluminium, Bauxit und Eisenerz vorweisen. In der Landwirtschaft gehören Holz, Bananen, Kautschuk und Kaffee zu den wichtigsten Produkten. Nicht umsonst trägt Kamerun den Beinamen "Afrique en miniature" - ganz Afrika in Miniaturformat: Alles, was Afrika an Reichtümern zu bieten hat, findet sich hier im Kleinen wieder. Doch viele junge Kameruner wissen nicht mehr, ob diese Reichtümer auch ihnen ein gutes Leben ermöglichen. 25 Prozent Arbeitslosigkeit sprechen zumindest dagegen. Prosper Owona wollte nach seinem Abitur eigentlich Forstmanagement studieren, aber im Holzbereich gebe es keine Jobs mehr, sagt der Kameruner. "Das Leben ist hier in Kamerun so kompliziert geworden, wir brauchen Arbeitsplätze! Wir wollen gar nicht weg nach Europa. Aber wir müssen ja Arbeit finden! Wenn man uns wenigstens das Nötigste geben würde, damit wir hier zurechtkommen, würden wir hierbleiben." Auch sein Freund Thierry Fouda schielt mittlerweile nach Europa – er hat Betriebswirtschaft studiert und sucht händeringend Arbeit im Ölgeschäft. Bislang Fehlanzeige. "Wenn man hier alles versucht hat und trotzdem immer wieder gegen die Wand läuft, ist es Zeit, sein Glück anderswo zu suchen. Vielleicht gibt es dort eine Chance für uns."

Ein letztes Fünckchen Hoffnung

Fabrice Nana will das alles nicht wahrhaben. Noch nicht. Der Gymnasiast will ein gutes Abitur machen. Leistung, sagt er, lohne sich auch in Kamerun. Immer noch. Außerdem, so sagt er, muss es ja nicht das krisengeschüttelte Öl- oder Holzbusiness sein. "Das Leben in Kamerun war schon immer hart. Jetzt mit der Wirtschaftskrise müssen wir uns eben irgendwie durchboxen. Wenn sonst nichts mehr geht, verkaufen wir eben erstmal Zigaretten an der Straßenkreuzung. Alles besser als abzuhauen, denn zum einen weiß man nicht, wie es in Europa sein wird und ob man überhaupt lebend ankommt." Außerdem lasse man sonst alle Freunde und die Familie im Stich. Und dieser Verlust wäre einfach zu groß, sagt Fabrice. "Also – Durchwursteln ist angesagt."

Er hat allerdings ein Problem: Er muss es allein schaffen, denn er bekommt kein Geld mehr von seinen Verwandten aus Europa. Lange Jahre haben die Auslands-Afrikaner Milliarden von Euro in die Heimat geschickt und damit sozusagen praktische Armutsbekämpfung geleistet. Doch nun können viele von ihnen wegen der Finanzkrise nichts mehr überweisen, auch nicht nach Kamerun. Laurent de Boeck von der Internationalen Organisation für Migration in Dakar sieht aber in der Krise eine Chance. "Dieser Einbruch der Auslandsüberweisungen wird die jungen Leute dazu bringen, endlich weniger abhängig zu sein vom Geld aus Europa oder den USA." Viele afrikanische Familien hätten lange von diesem Geld gelebt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, sagt de Boeck. "Jetzt gibt es eben nicht mehr den Bruder, den Cousin oder den Onkel in Europa, der Geld schickt. Und da hoffe ich, dass die jungen Menschen sich überlegen, wie sie selbst etwas aus sich machen können. Das wird ihren Ländern zugute kommen."

Afrikanischer Minenarbeiter (Foto: AP)
Egal was, Hauptsache ArbeitBild: AP

Aussichtslose Situation

Der Fischer Babacar Sek aus dem Senegal will davon aber nichts mehr hören. Er weiß, dass Europa ihn nicht will, und dass der Senegal ihn nicht halten kann. Und er weiß auch, dass er eine erneute Reise ins vermeintliche Paradies vielleicht nicht überleben würde. "Manche versuchen es erst gar nicht, weil sie diese schrecklichen Bilder von ertrunkenen Afrikanern gesehen haben. Aber andere sagen, sie wollen auf jeden Fall weg, weil sie hoffen, dass sie zum Beispiel in Spanien endlich ein Leben aufbauen, eine Familie und Kinder haben können." Diese Menschen ließen sich durch nichts von ihrem Vorhaben abbringen, sagt Barbacar."Wenn ich die Gelegenheit hätte – ich würde auch von hier weggehen, denn in Europa gibt es Arbeit."

Doch auch in Europa ist die Wirtschaftskrise längst angekommen, und sie ist schneller als er. Doch das will Babacar nicht wissen.

Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Michaela Paul