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"Der Trend des 21. Jahrhunderts"

Das Gespräch führte Oliver Samson26. November 2006

Die Löhne in Vietnam sind noch ein Drittel niedriger als in China. Zunehmend bemüht man sich aber darum, soziale Standards einzuführen. Nguyen Quang Vinh von der Industrie- und Handelskammer sagt, warum sich das lohnt.

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Nguyen Quang VinhBild: DW/Samson

DW-WORLD.DE: Ist Vietnam gerüstet für den Beitritt in die Welthandelsorganisation?

Nguyen Quang Vinh: Ich bin sehr optimistisch. Es wird eine Menge Möglichkeiten geben - und eine Menge Herausforderungen. Vietnam muss sich bereit für den Wettbewerb machen - und das fast ohne die staatlichen Zuschüsse wie bisher. Gerade die Staatsbetriebe werden große Probleme im Wettbewerb haben. In der Vergangenheit waren sie einfach zu wenig marktorientiert. Die Regierung kann die Staatsbetriebe nun nicht mehr komplett am Leben halten, weil dies den Regeln der WTO widerspricht. Es wurde viel reformiert in den vergangenen Jahren, wir müssen uns aber noch mehr für privates Kapital öffnen, auch bei den Banken, im Energie- oder im Bausektor.

Bei allem Optimismus: In Vietnam fragt sich, wie das Land nach dem WTO-Beitritt für den Wettbewerb gerüstet sein will. Ein Vorteil für Vietnam sind die sehr niedrigen Lohnkosten. Sie engagieren sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Ist die Einführung von sozialen Mindeststandards ein Wettbewerbsvorteil?

Wir glauben daran. Wenn man sich die globale Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren ansieht, scheint es immer nur um Cost-Leadership gegangen zu sein. Für einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil muss man bei den Kosten konkurrenzfähig sein, aber eben auch zunehmend internationale Standards erfüllen. Wir haben 1999 die Vietnam Business Link Initiative gegründet, um die Arbeitsbedingungen in der Schuhindustrie zu verbessern und haben unsere Aktivitäten in der Textilindustrie ausgeweitet. Wenn Firmen sich zur Corporate Social Responsibility (CSR) (Unternehmensführung unter ausgewogener Berücksichtigung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Faktoren. - d.R.) bekennen, geht es aber nicht nur um Wettbewerbsfähigkeit. Am Ende kommt man zur Frage, wie man Erfolg definiert, auch jenseits des Profits.

Was zählt solches Denken in der globalisierten Wirtschaft? In China spielen solche Konzepte offensichtlich keine große Rolle.

Das ist die große Frage. Wir haben ein Menge von China gelernt, können bei den Kosten in der Massenproduktion der Schuh- und Textilindustrie aber nicht konkurrieren. Wir müssen uns also andere Marktsegmente aussuchen. Wir müssen unsere Anstrengungen intensivieren, die Wertschöpfungskette zu verbessern. Hier wird in Vietnam meist nur verarbeitet - um eben unsere niedrigen Arbeitslöhne zu nutzen. Es wird zusammengenäht, Design und Produktentwicklung finden aber nicht statt. Das ist ein Problem, an dem wir arbeiten müssen. Aber eine Chance ist es sicher, wenn wir internationale Sozialstandards erfüllen.

Fortschrittliche Unternehmen werden als solche von den Konsumenten erkannt und auf Dauer vom Markt belohnt – glauben Ihnen das die vietnamesischen Manager?

Das Konzept von CSR ist neu - in Vietnam, aber eigentlich in der ganzen Welt. Ich bin sicher, dass viele Manager gar nicht wissen, was das genau ist. Wir haben es aber geschafft, das zum Thema zu machen. Viele Manager halten CSR immer noch nur für einen Kostenfaktor und nicht für eine Investition. Wir fördern das Bewusstsein, was CSR bedeuten kann - für die Produktivität, vor allem aber für das Image. Wir versuchen Manager, Regierungsstellen und NGOs zusammenzubekommen, wir versuchen ein monatliches Forum hinzukriegen, damit sich alle ein Bild machen, was CSR denn genau bedeutet: Nämlich einen nachhaltigen Weg einer Firma oder einer ganzen Branche. Es müssen nicht nur die Finanzen geprüft werden, sondern auch soziale Aspekte, der Umweltschutz. Nachhaltigkeit ist der Trend des 21. Jahrhunderts. Das wird garantiert noch viel wichtiger.

Nike-Produktion in Vietnam
Nike-Produktion in VietnamBild: AP

Und das wird verhindern, dass in Vietnam Schuhe von ausgebeuteten Arbeitern zu Lasten der Umwelt produziert werden?

In Vietnam produzierende Firmen wie Nike, Adidas oder die Metro Cash and Carry Group haben CSR in ihre Geschäftsstrategien integriert. Deren Verhaltenskodizes sind auch für ihre Zulieferer verbindlich. Das ist inzwischen erste Priorität, andernfalls holen die sich eben andere Zulieferer. Es ist gut für Vietnam, wenn sich unsere Firmen an die Regeln der Kunden halten müssen - auch wenn das manchmal verwirrend ist. Es gibt Zulieferer in Ho-Chi-Minh-Stadt, die für 25 Firmen arbeiten - und sich an genauso viele Kodizes halten müssen. Langfristig wird Vietnam davon aber enorm profitieren. Wir lernen, wie man sich internationalen Standards anpasst, um im Wettbewerb zu bleiben - und dabei geht es ja nicht nur um Sozialstandards, sondern auch um Transparenz und Management-Fähigkeiten.

Und was haben die Arbeiter davon?

Schaufensterpuppe mit Helm und Mundschutz
Arbeitsschutz: "Wir haben die Bibel geschrieben"Bild: DW/Samson

Die Vietnam Business Link Initiative ist einzigartig in der Welt. Da sitzen mit Adidas und Puma und so weiter Konkurrenten am Tisch. Es geht in unserer Arbeit immer auch um Menschen. Wir haben jetzt sieben Jahren vor allem in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit gearbeitet und es dabei geschafft, 60 Prozent der Schuhindustrie einzuschließen. Wir haben sehr viel Training gemacht und ein Buch herausgebracht, in dem Hygiene, Organisation, Umgang mit Chemikalien thematisiert werden, Belüftung und Beleuchtung, Sicherheit, wie viele Notausgänge man braucht, wie hoch die Räume sein müssen, wie viele Feuerlöscher man braucht und wo man die unterbringt. Es ist die Bibel in diesem Bereich, auch das Industrieministerium ermutigt Firmen dieses Buch zu verwenden. Wir haben Aufklärungsarbeit gemacht, wie zum Beispiel einen Fernseh-Film über die Bedeutung von Gesundheits- und Sicherheitsstandards in der Textilindustrie. Wir haben geforscht, wie zum Beispiel über Gender-Problematik - man muss wissen, dass im Alter zwischen 18 und 35 Jahren über 85 Prozent der Arbeiter Frauen sind. Jetzt kommt in der zweiten Phase mehr CSR herein, wir kümmern uns um die Frage HIV/AIDS, Katastrophenschutz, Vogelgrippe - unsere Aktivitäten werden also breiter. Wir arbeiten jetzt mit 30 verschiedenen Organisationen zusammen, vom vietnamesischen Industrie-Ministerium bis zur Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ. Wir diskutieren auch schon darüber, unseren Einfluss auf andere Bereiche auszuweiten, je nach dem wie Geld und Ressourcen reichen.

Und dies wird langfristig die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern?

Wir leben in einer globalisierten Welt, in der viel über nachhaltige Entwicklung geredet wird. Wenn deutsche Firmen in Vietnam erfolgreich sein wollen, müssen sie gute Bürger der globalen Gesellschaft sein. Nur in einer nachhaltigen wirtschaftenden Gesellschaft wird eine Firma nachhaltigen Erfolg haben. Auf einer weiteren Ebene der Entwicklung wird es keinen ausländischen oder inländischen Markt mehr geben, sondern nur noch einen Markt. In einer globalisierten Welt wird es dann auch keine chinesischen, deutschen oder vietnamesischen Sozialstandards geben, sondern nur noch einen, der den gesellschaftlichen Anforderungen entspricht. Dann kommt es darauf an, wie das eigene Produkt im Auge des Kunden aussieht und wie das des Konkurrenten. Durch nachhaltige Entwicklung versuchen wir dies in eine Win-Win-Win-Situation zu lenken: Das nicht nur die Firma und die Arbeiter profitieren, sondern auch andere Gruppen der Gesellschaft.