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Tunesischer Übervater

Friedel Taube22. Dezember 2014

Der neue Präsident Tunesiens heißt Beji Caid Essebsi. Mit der Wahl positioniert sich Tunesien säkular und pro-westlich. Nach innen hin wird erwartet, dass Essebsi das Land langfristig eint - trotz seines hohen Alters.

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Beji Caid Essebsi, Foto: Reuters
Bild: Reuters

Ihm trauen die Tunesier zu, das Land zu einen und zu neuer Stärke zu führen: Beji Caid Essebsi. Der Mann, der bereits in der Ära des ersten Präsidenten der Tunesischen Republik, Habib Bourguiba (1957-1987), verschiedene Ministerämter innehatte, soll jetzt das nordafrikanische Land neu gestalten. Bei der ersten Runde der Wahlen vor einem Monat konnte er 36,46 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, jetzt holte er in der Stichwahl gegen den scheidenden Übergangspräsidenten Moncef Marzouki die Mehrheit. Nach dem amtlichen Endergebnis entfielen 55,7 Prozent der Stimmen auf Essebsi.

Sehnsucht nach einem Übervater

88 Jahre alt ist Essebsi. Aufbruch sieht auf den ersten Blick vielleicht anders aus. Es sind aber andere Qualitäten, die die Tunesier für Essebsi haben abstimmen lassen: "Es ist schon so, dass viele Tunesier nach einer starken Persönlichkeit gesucht haben, nach einem Vater der Nation. Das zweite ist, dass er in der Lage war, anders als Marzouki, zu vereinen statt zu spalten", sagt Hardy Ostry, Leiter des Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Hauptstadt Tunis, im Interview mit der DW. "Das ist das, was die Tunesier nach dem turbulenten Jahr 2013 suchen."

Das Jahr war geprägt von Chaos unter der religiös ausgerichteten Übergangsregierung, deren Nachsicht gegenüber gewaltbereiten islamistischen Gruppen zu einer deutlich verschlechterten Sicherheitslage geführt hatte. Gleichzeitig waren unter den Islamisten die Lebensbedingungen für das einfache Volk rapide gesunken. Alles in allem ist es also nicht überraschend, dass die Sehnsucht nach einem alten Bekannten groß war, der die Rolle des Übervaters ausfüllen kann.

Moncef Marzouki bei der Stimmabgabe am Sonntag Foto: Reuters
Essebsis Konkurrent Moncef Marzouki bei der Stimmabgabe am SonntagBild: Reuters/Z. Souissi

Kein Revolutionsheld

Ein modernes und weltliches Tunesien hat Essebsi dem Volk im Wahlkampf versprochen. Unter dem Autokraten Zine el-Abidine Ben Ali (1987-2011) war er weder als regimetreu, noch als Oppositioneller aufgefallen. Zwar war er nicht direkt an der Revolution Anfang 2011 beteiligt, trotzdem kämpft er für die Ideen des Arabischen Frühlings.

Ein 88-Jähriger, der die Werte der wütenden Jugend vertritt? "Viele junge Menschen verlassen sich auf diesen alten Herrn. Er und seine Partei versprechen, die Anliegen der Jugend mitzunehmen, also die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Und: In seinem Alter begründet man keine Diktatur mehr, das ist sicher auch ein wichtiger Aspekt", sagt Ostry.

Dass er im Januar 2011 nicht selbst zu denen gehörte, die Ben Ali stürzten, schadete ihm dabei offenbar nicht. Im Gegenteil: Gerade die Enttäuschung über viele der sogenannten "Revolutionshelden" wie zum Beispiel den Präsidenten der Verfassungsgebenden Versammlung, Mustafa Ben Jaafar, war es, die Essebsi Popularität verschaffte. Und auch sein direkter Konkurrent, der ehemalige Menschenrechtler Marzouki, hatte im Vorfeld an Ansehen eingebüßt. In den Augen vieler Bürger hatte er sich als Übergangspräsident nicht klar genug von den Islamisten distanziert. So lud er zum Beispiel in seiner Amtszeit auch schon mal gewaltbereite islamistische Prediger offiziell in den Präsidentschaftspalast ein.

Präsidentschaftswahlen Tunesien, Tunesier mit Flaggen, Foto: Getty
Von Essebsi erhoffen sich die Tunesier wirtschaftlichen Aufschwung und innere EinheitBild: Getty Images/AFP/B. Taieb

Nicht nur beim eigenen Volk gilt Essebsi als Versöhner. Ebenfalls könnte er für eine Außenpolitik stehen, die sowohl gute Beziehungen zu den arabischen Nachbarländern, als auch zu Europa sucht. Das glaubt auch Ostry: "Essebsi wird die klassischen tunesischen Positionen vertreten. Schon wegen der geostrategischen Bedeutung und Größe Tunesiens muss er gute Beziehungen zu den Nachbarländern pflegen". Der gute Kontakt zu Europa könnte sogar zu einer Herzensangelegenheit für ihn werden. "Für ihn war insbesondere das deutsche Engagement während der Übergangsphase wichtig", so Ostry.

Diese Phase hatte in Tunesien fast vier Jahre angedauert. Erst im Januar 2014 war die neue Verfassung verabschiedet worden, die die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in den vergangenen Monaten und Wochen überhaupt möglich gemacht hatte.

Ein neuer Bourguiba?

Der Name Bourguibas schwebt über der Wahl Essebsis. Ganz sicher sehnen sich viele Tunesier nach Jahren der Diktatur und des Chaos nach der relativen Stabilität von damals. Dass die Bourguiba-Zeit wieder auflebt, erscheint aber eher unwahrscheinlich. "Die Phase der Verklärung der Bourguiba-Zeit ist eigentlich vorbei", so Ostry. Diese Phase hätte es vor rund zwei Jahren gegeben, als mit dem ersten Verfassungsentwurf der religiösen Ennahda ein Verlust zahlreicher Errungenschaften der Bourguiba-Zeit drohte, wie die Gleichstellung von Mann und Frau oder die klare Trennung von Religion und Staat. Zu diesem Zeitpunkt positionierte sich Essebsi als derjenige, der die Ideen des ersten Präsidenten verteidigte. "Jetzt aber wird er sicher nicht daran gehen, die Schlachten der Fünfziger Jahre neu zu kämpfen, sondern er wird klar machen, dass man schon viel weiter ist als damals und das, was unter Bourguiba erreicht wurde, erhalten werden muss", so Ostry. Bislang galt Tunesien als das Musterland der Demokratiebewegung in Nordafrika. Der Westen erwartet nun von Essebsi, dass er diesen eingeschlagenen Weg weitergeht. Es gibt viel zu tun für den neuen Mann an der Spitze Tunesiens.