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Der Verband binationaler Familien wird 40

27. Dezember 2011

Vor 40 Jahren wurde der "Verband binationaler Familien und Partnerschaften" gegründet. Die Bundesrepublik ist seither eine andere geworden - und mit ihr hat sich auch der Verein verändert.

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Binationale Famlie in der TV-Serie 'Türkisch für Anfänger' (Foto: ARD)
Binationale Famlie in der TV-Serie "Türkisch für Anfänger"Bild: picture-alliance/dpa

"Man darf nicht wütend werden" – das wurde zur Maxime von Renate Michaud-Rustein, nachdem sie Anfang der siebziger Jahre einen Haitianer geheiratet hatte. Wenn Leute ihren schwarzen Ehemann wie Luft behandelten, wenn Mitarbeiter ihrer Firma tuschelten, wenn die Kinderärztin "Mischlingskind" in die Akte ihres Sohnes schrieb, dann reagierte Renate Richaud-Rustein zwar immer – allerdings sachlich und im besten Fall mit Humor. Doch schweigen, das konnte sie nie. "Ich war damals so richtig in Kampfeslaune", sagt die heute 73-Jährige. "Ich habe mir nichts gefallen lassen." Damit passte sie gut in die "Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen", die sich 1972 in Frankfurt am Main gegründet hatte.

Renate Michaud-Rustein (Foto: DW)
Renate Michaud-RusteinBild: DW

Renate Michaud-Rustein wandte sich an die Organisation, weil sie juristische Auskünfte rund um ihre Ehe brauchte. "Es war damals unheimlich schwer, überhaupt an Informationen zu kommen", sagt sie. In der locker organisierten Gruppe engagierter Frauen gefiel es ihr sofort. "'Es war einfach schön, andere zu treffen, die in ähnlichen Situationen lebten." Dazu gehörte es damals, dass nur die Kinder deutscher Väter die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen konnten; war der Vater Ausländer, blieben sie unter Umständen sogar staatenlos. Die IAF organisierte Demonstrationen gegen diese Regelung und wandte sich mit einer Petition an den Bundestag.

Zunehmende Professionalisierung

Das Staatsangehörigkeitsrecht ist nicht das einzige, das sich seit den Gründungstagen des inzwischen in "Verband binationaler Familien und Partnerschaften (IAF)" umbenannten Vereins geändert hat. Interkulturalität gehört heute zum Alltag; jeder fünfte Einwohner hat einen Migrationshintergrund - und jede 15. Heirat ist binational.

Michaela Schmitt (Foto: DW)
Michaela SchmittBild: DW

Nicht nur der Name des Verbandes änderte sich, die Arbeit wurde professionell. "Das war ein schleichender Prozess", sagt Michaela Schmitt, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Nordrhein-Westfalen. Weil immer mehr Frauen zur Beratung kamen, erarbeiteten die IAF-Aktivistinnen feste Strukturen und klare Standards. Inzwischen hat der Verband bundesweit 22 Geschäftsstellen, von denen acht über hauptamtliche Mitarbeiter verfügen. Einen wichtigen Teil der Arbeit macht die juristische Beratung aus, denn binationale Paare stoßen auf zahlreiche bürokratische Hürden. Daneben werden auch Selbsthilfegruppen, Fortbildungen, Spielgruppen für Kinder und zahlreiche weitere Angebote organisiert. Finanziert wird die Struktur zum großen Teil von den Familienministerien der Länder und des Bundes.

"Als Lobbyverband sehen wir auch die Politikberatung als wichtige Aufgabe an", sagt Schmitt. Denn viele Gesetze seien noch immer weltfremd. "Das Leben ist heute globalisiert, transnational und mehrsprachig. Aber unsere Gesellschaft kommt da nicht mit." Familien mit Kindern würden nach Jahren im Ausland teilweise daran gehindert, gemeinsam nach Deutschland zu ziehen, weil der ausländische Ehepartner nicht über das für die Einreise nötige Deutsch-Zertifikat verfügt.

Lebensthema "Anderssein"

Natascha Fröhlich (Foto: DW)
Natascha FröhlichBild: DW

Neben der Struktur hat sich auch die Zusammensetzung des Verbandes verändert – unter den rund 2000 Mitgliedern sind heute auch Vertreter der Kinder-Generation. "Hier habe ich meine Lebensthemen wiedergefunden" sagt etwa Natascha Fröhlich und meint damit das "Anderssein", das die Tochter eines Deutschen und einer Iranerin vom Kindergarten an begleitet hat: "Bin ich iranisch? Bin ich deutsch? Auch wenn das für mich kein Thema war, wurde es immer von außen an mich herangetragen." Noch immer werde sie ständig darauf angesprochen, wo sie denn herkomme. Dass interkulturelles Leben längst nicht zur Normalität gehört, merkt sie auch bei ihrer Arbeit für den Verband. Beispielsweise gestaltet sich in den Gruppen, in denen afrodeutsche Kinder selbstbewusstes Auftreten lernen sollen, die Suche nach Vorbildern oft schwierig: "Versuchen Sie einmal, einen schwarzen Arzt oder Polizisten zu finden."

"Viel hat sich an der Mentalität der Deutschen nicht geändert", sagt auch Renate Michaud-Rustein. Als sie mit ihrem Enkel zur Kinderärztin ging, machte sie eine ähnliche Erfahrung wie eine Generation zuvor: Die Ärztin schrieb "schlank, farbig, Verschleimung hinterer Rachen" in den Befund. Renate Michaud-Rustein schrieb ihr einen Brief. Sie werde sich so lange engagieren, wie sie könne, sagt sie. "Ich würde es in meinem Alter gerne ein bisschen langsamer angehen lassen." Aber es bleibe eben viel zu tun.

Autor: Dеnnis Stutе

Redaktion: Hartmut Lüning