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Vernichtungskrieg gegen die Herero

Peter Hille24. April 2015

Viele deutsche Politiker scheuen das Wort "Völkermord" zum 100. Jahrestag des Massakers an den Armeniern. Deutschland fürchte den Ruf nach Wiedergutmachung für einen ganz anderen Vernichtungsfeldzug, sagen Kritiker.

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Gefangene Herero in Deutsch-Südwestafrika - Foto: Ullstein Bild
Bild: ullstein bild

"Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um dem Feinde den letzten Rest seiner Widerstandskraft zu rauben: Wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Hererovolkes."

Mit diesen Worten pries der deutsche Generalstab die Kämpfe seiner Truppen in Südwestafrika im Jahr 1904. Etwa 15.000 Mann unter Generalleutnant Lothar von Trotha hatten im deutschen Kolonialgebiet einen Aufstand des Herero-Volkes niedergeschlagen. Die Überlebenden trieben sie in die Omaheke-Steppe und damit in den Tod. Zuvor hatten die Aufständischen rund 120 weiße Siedler getötet und ihre Höfe niedergebrannt. Schätzungen zufolge starben mehr als 70.000 Herero und 10.000 Menschen vom Volk der Nama in den Jahren 1904 bis 1908. Viele Überlebende wurden in Lager gesperrt oder mussten Zwangsarbeit leisten.

Befehl zur Vernichtung

Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts, begangen von Deutschen im heutigen Namibia? Ja, sagt der Namibia-Experte Henning Melber von der Dag Hammarskjöld Stiftung in Stockholm. Andere Kolonialmächte seien ebenfalls nicht zimperlich gewesen. "Die Besonderheit Deutschlands im Falle von Südwestafrika ist jedoch, dass sich hier in aller Öffentlichkeit ein Krieg vollzog, der den heutigen Kriterien eines Völkermords entspricht."

Adrian Dietrich Lothar von Trotha - Foto: dpa
Generalleutnant von Trotha: "Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf"Bild: picture-alliance/dpa

Seit 1948 ist Völkermord ein Straftatbestand im Völkerrecht; nämlich dann, wenn eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zerstört werden soll. Generalleutnant Lothar von Trotha hatte am 2. Oktober 1904 den Befehl ausgegeben, innerhalb der deutschen Grenzen auf jeden Herero zu schießen, egal ob bewaffnet oder nicht. "Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf", so von Trotha. In einem Brief an den Generalstab wollte er "die Nation als solche vernichtet“ sehen. Die Reichsregierung in Berlin hob seinen Vernichtungsbefehl später auf. Mitglieder der Familie des Generalleutnants haben sich mittlerweile bei Nachkommen des damaligen Herero-Häuptlings Samuel Maharero für die begangenen Taten entschuldigt.

Kein Kniefall in Windhuk

Schwerer tut sich die deutsche Bundesregierung. "Sie vollführt seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 einen eher peinlichen Eiertanz", so Namibia-Experte Melber. Seinerzeit beschloss der Bundestag, dass es eine besondere historische Verantwortung für die ehemals deutsche Kolonie gibt. "Das ist ein wunderschöner Euphemismus", sagt Melber. "Den Begriff des Völkermordes, der aus namibischer Sicht allemal gerechtfertigt wäre, nimmt die deutsche Regierung nicht in den Mund." Mit einer Ausnahme. Zum einhundertjährigen Gedenken an die Herero-Aufstände im Jahr 2004 sagte die damalige Ministerin für Entwicklungshilfe, Heidemarie Wieczorek-Zeul: "Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde." Ein General von Trotha würde dafür heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt, so Wieczorek-Zeul.

Lageskizze zum Herero-Aufstand aus der Deutschen Kolonialzeitung vom 29. Sept. 1904 - Foto: Bundesarchiv
Lageskizze aus der Deutschen Kolonialzeitung vom 29. Sept. 1904.Bild: Bundesarchiv/R 8048/474

Im Bundestag scheiterten mehrere Anträge der Linksfraktion sowie der Grünen und der Sozialdemokraten, die Niederschlagung des Herero-Aufstandes als Völkermord anzuerkennen. Gegner dieser Anträge, insbesondere aus den Reihen der Unionsfraktion, verweisen darauf, dass Namibia aus Deutschland die höchsten Pro-Kopf-Zahlungen an Entwicklungsgeldern weltweit bekommt. Dies sei eine Form der Wiedergutmachung. Seit 1990 hat Deutschland laut Auswärtigem Amt Namibia rund 800 Millionen Euro an Hilfsgeldern zur Verfügung gestellt.

Es mangele jedoch an einem Schuldeingeständnis und auch an entsprechenden symbolischen Akten, sagt Experte Melber, der etwa auf den Kniefall Willy Brandts von 1970 verweist. Damit hatte der damalige Bundeskanzler die Bitte um Vergebung für deutsche Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg ausgedrückt.

Rückkehr der Totenschädel

Viele Herero und Nama haben bis heute das Gefühl, dass Deutschland mit zweierlei Maß misst, wenn es um historische Schuld geht. Manche meinen, die Ermordung von Juden im Holocaust würde von Deutschen als moralisch verwerflicher betrachtet als die Ermordung ihrer Vorfahren zu Beginn des Jahrhunderts. Mit Klagen auf Schadenersatz konnten sich Vertreter der beiden Stämme bislang vor internationalen Gerichten nicht durchsetzen. Die namibische Regierung hat keine Reparationsforderungen gestellt, unterstützt jedoch mehr und mehr die Position der Herero und Nama.

Deutsche Truppen in Südwestafrika (1904) - Foto: Bundesarchiv
Deutsche Truppen in Südwestafrika (1904): 15.000 Soldaten um den Herero-Aufstand niederzuschlagenBild: Bundesarchiv/183-R18799

Ein dunkles Kapitel der deutsch-namibischen Geschichte wurde im vergangenen Jahr geschlossen. Die Universität Freiburg übergab einer namibischen Delegation 14 Totenschädel aus ihrem Bestand, die daraufhin bestattet werden konnte. Historische Quellen zeigen, dass während des Herero-Aufstands menschliche Überreste gesammelt wurden. Einige tauchten später in Sammlungen an Universitäten in Deutschland auf. 2011 hatte die Berliner Charité schon die Gebeine von 20 Menschen an Namibia zurückgegeben.