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Der Wahlkampf des belarussischen Oppositionskandidaten Milinkewitsch

2. Februar 2006

Bald wird in Belarus ein Präsident gewählt. Gegen den autoritär regierenden Aleksandr Lukaschenko tritt Aleksandr Milinkewitsch an. DW-RADIO sprach mit ihm am 1. Februar in Brüssel über den Wahlkampf in seiner Heimat.

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Aleksandr Milinkewitsch bei einem Treffen mit Bürgern der Stadt Polozk, nördlich von Minsk (November 2005)Bild: AP

Bei der Präsidentschaftswahl am 19. März tritt der seit 12 Jahren autoritär regierende Aleksandr Lukaschenko zum dritten Mal an. Durch eine Verfassungsänderung im Jahr 2001 hatte er sich selbst diese erneute Kandidatur ermöglicht. Viele Beobachter rechnen damit, dass auch diese Wahl manipuliert wird. Sein schärfster Gegner, Oppositionskandidat Aleksandr Milinkewitsch, findet, dass sein Land reif für einen Wechsel sei und will Belarus zu einer westlichen Demokratie verhelfen. Der 58-jährige Physikprofessor ist parteilos und entstammt der polnischen Minderheit von Belarus. Er hat in den USA studiert und spricht vier Fremdsprachen. Bis Lukaschenkos Machtübernahme im Jahre 1994 war Milinkewitsch stellvertretender Bürgermeister seiner Heimatstadt Grodno. Danach leitete er die inzwischen verbotene Bürgerrechtsorganisation "Ratuscha" und engagierte sich im belarussischen Helsinki-Komitee.

Breite Koalition gegen Diktatur

Im Oktober 2005 wurde Milinkewitsch von den wichtigsten Oppositionsparteien zum gemeinsamen Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl nominiert. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte er dazu: "In unserer Koalition finden sich sowohl Kommunisten als auch Sozialdemokraten und Liberale zusammen. Eins haben wir begriffen: Wenn wir uns nicht einigen, wird in Belarus noch sehr lange Diktatur herrschen. Zusammen können wir sie schnell bekämpfen. Wir alle wollen in einem freien und demokratischen Land leben."

Kein Zugang zu den Massenmedien

Seit seiner Nominierung ist Milinkewitsch ständig unterwegs. Für seine Zulassung zur Präsidentschaftswahl muss er mindestens 100.000 Unterschriften seiner potentiellen Wähler nachweisen. Allerdings sind die Möglichkeiten, sich den Wählern vorzustellen, sehr begrenzt. Als Oppositionskandidat hat Milinkewitsch keinen Zugang zu den Massenmedien, die ohnehin in staatlicher Hand sind. Daher muss er besonders einfallsreich sein: "Wir nutzen diesen Wahlkampf als Mittel, um möglichst viele Menschen zu erreichen und sie über Alternativen zu einem Leben in Angst zu informieren. Wir setzen auf die Kampagne von Tür zu Tür - fahren quer durchs Land und klopfen an jede Tür. So bekamen wir bisher von jedem dritten eine Unterschrift, trotz dafür drohender Repressionen. Statt der benötigten 100.000 benötigter Unterschriften haben wir landesweit bereits die doppelte Zahl".

Gespaltene Gesellschaft

In zahlreichen Gesprächen mit der Bevölkerung stellt der Oppositionskandidat fest, dass der Wunsch nach Veränderungen in Belarus immer größer wird. Im Land gebe es eine starke Proteststimmung. Immer mehr Menschen sind bereit, gegen das totalitäre Regime aktiv zu werden: "Die belarussische Gesellschaft ist gespalten: Die einen - in der Regel junge und gebildete Menschen - sehnen sich nach Freiheit und Demokratie. Die anderen - hauptsächlich die ältere Generation - wollen keinen Wechsel, denn im Land gibt es bestimmte soziale Sicherheiten: Die Renten sind zwar klein, werden aber rechtzeitig ausgezahlt; die Arbeitslosenquote ist relativ gering. Die meisten wünschen sich jedoch ein anderes Leben. Sie haben es satt, ihr Dasein in ständiger Angst und Erniedrigung zu fristen."

"Manchmal habe ich Angst"

In seiner Rolle als Herausforderer des autoritären Präsidenten braucht Milinkewitsch eine große Portion Mut. Denn durch sein Vorhaben, Lukaschenko abzulösen, bringt er sich und seine Familie in große Gefahr. Trotzdem will Milinkewitsch nicht aufgeben: "Freiheit bekommt man nicht geschenkt, manchmal muss man dafür Opfer bringen. Wie jeder Mensch habe ich natürlich manchmal Angst, fasse aber den Mut, sie zu überwinden. Immer mehr Menschen empfinden das Gleiche wie ich. Wir haben es einfach satt, in einer Atmosphäre zu leben, in der es kaum Perspektiven gibt; wenn unsere Kinder nicht ins Ausland gehen wollen, hier aber keine Arbeit finden können; wenn ältere Menschen erniedrigt werden, wenn man im Fernsehen ständig nur Lügen hört, wenn das Land sich nicht mehr entwickeln kann, sondern nur in Isolation abdriftet."

Wahl droht zur Farce zu werden

Trotz der Proteststimmung im Land und seiner Bemühungen erwartet Aleksandr Milinkewitsch am 19. März ein klares Wahlergebnis. Auch dieses Mal droht die Wahl zu einer Farce zu werden: "Es wird mindestens 70 Prozent der Stimmen für Lukaschenko geben. Eine geringere Zahl lässt er nicht zu. Aber wir verfallen nicht in Depression. Unser Ziel ist es, in den Köpfen unserer Mitbürger zu gewinnen, sie davon zu überzeugen, dass sie ein Recht auf ein besseres Leben haben."

Olja Melnik
DW-RADIO, 2.2.2006, Fokus Ost-Südost