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Der Orient hat Probleme

12. August 2009

Die arabischen Länder leiden unter gravierenden Bildungsdefiziten und hoher Jugendarbeitslosigkeit. Das sind die Ergebnisse eines aktuellen UN-Berichts. Europa können diese Probleme nicht egal sein, meint Rainer Sollich.

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Bild: DW

Man muss lange blättern, um in dem Bericht Positives zu entdecken. Aber man wird fündig: Der Grad der Luftverschmutzung in den arabischen Ländern - immerhin - ist einer der niedrigsten weltweit. Wer hieraus allerdings auf eine vorbildliche Umweltpolitik oder auf ein erhöhtes Aufkommen abgasreduzierter Autos in stickigen arabischen Mega-Cities schließt, liegt falsch. Die Luft in der arabischen Welt ist im statistischen Durchschnitt zwar überraschend gut. Es könnte aber durchaus schlimmer kommen: Laut UNO sind die guten Luftwerte bloß Ausdruck eines derzeit immer noch herrschenden Mangels an Industrialisierung.

Kernbegriff: Mangel

Und das ist zugleich einer der Kernbegriffe des neuen Entwicklungsberichts: Mangel. Den arabischen Ländern mangelt es nämlich an vielem. Nicht nur an Industrialisierung, an funktionierenden Gesundheitssystemen und an sauberem Trinkwasser - es mangelt ihnen vor allem an Demokratie und "Good Governance", an Menschenrechten und an Respekt gegenüber den eigenen Bürgern. Es gehört zu den traurigen Charakteristika der arabischen Welt, dass es dort trotz einiger ermutigender Reformschübe in den vergangenen Jahren bis heute kaum ein Land gibt, dessen Regierung nicht zumindest das Prädikat "autoritär" verdient. Dazu gehören Diktaturen wie Libyen und Syrien und die Monarchien in den Golfstaaten, ebenso wie Länder, die man trotz einer gewissen Öffnung getrost als Schein-Demokratien bezeichnen kann, wie beispielsweise Ägypten: einer der treuesten Partner des Westens in der Region, einer der stabilsten Pfeiler für eine arabische Aussöhnung mit Israel - aber auch ein Staat, der Folter auf Polizeistationen zumindest duldet und in der Politik keine wirkliche Mitsprache seiner Bürger wünscht.

Die heutigen Probleme der arabischen Welt sind zwar nicht mit westlicher Interessenpolitik zu erklären. Allerdings spielt westliche Politik auch nicht immer eine konstruktive Rolle. Sie zielt oftmals viel zu deutlich darauf ab, in Nahost und Nordafrika den Status Quo zu sichern und verspielt damit Sympathien. Gerade zivilgesellschaftliche Aktivisten in arabischen Ländern müssen immer wieder feststellen, dass Stabilität und wirtschaftliche Interessen für den Westen im Ernstfall Vorrang genießen. Über Menschenrechtsverletzungen wird oft hinweggesehen, Demokratieförderung erschöpft sich in verbalen Bekenntnissen: Spätestens wenn islamistische Kräfte das Rennen machen, erlahmt der westliche Enthusiasmus für arabische Demokratie-Experimente und es wird wieder auf die vermeintlich stabilisierende Wirkung sogenannter "pro-westlicher" Autokraten gesetzt.

Die arabischen Länder können sich nur selbst helfen

Klar ist jedoch: Der Kern der arabischen Entwicklungsprobleme kann nur vor Ort gelöst werden. Dafür sind Visionen notwenig, neue Ideen und neue Initiativen - vor allem im Bereich Bildung, denn hier sind die Defizite besonders eklatant und verhindern einen substanziellen gesellschaftlichen Fortschritt. Von den meisten bestehenden Regimes und Regierungen ist hier freilich kaum mehr als Mangelverwaltung zu erwarten - sie sind vor allem an ihrem eigenen Machterhalt interessiert.

Der Westen muss zwar mit diesen Regierungen kooperieren. Aber er sollte parallel dazu noch viel stärker auf zivilgesellschaftliche Kräfte setzen und diese aktiv fördern - auch im eigenen Interesse. Wenn die arabische Welt nicht durch eigene Kraft aus ihren Konflikten herausfindet, wenn das Bevölkerungswachstum in vielen Ländern dort ebenso kontinuierlich steigt wie Jugendarbeitslosigkeit und Auswanderungsdruck, wenn wegen fehlender Perspektiven eine weitere Radikalisierung künftiger Generationen droht - dann kann dies vor allem der EU nicht egal sein. Es ist ein ernstzunehmendes Gefahrenpotenzial - direkt in ihrer Nachbarschaft.

Autor: Rainer Sollich

Redaktion: Manfred Götzke