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Der Widerstand der militärischen Elite Israels

Peter Philipp26. September 2003

Kritik aus den eigenen Reihen ist in Israels Armee nichts Neues. Selten bekam sie aber so viel Aufmerksamkeit, wie der Protest der 27 Piloten, die Angriffe gegen zivile Ziele für unmoralisch halten.

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Israels Kampfpiloten: Helden oder Verräter?Bild: AP

Israels Ministerpräsident Ariel Scharon wittert Anzeichen von Landesverrat, ein Offizier der Luftwaffe vergleicht das Verhalten einiger seiner Kollegen mit dem Verkauf von Waffen an den Feind und der ehemalige Staatspräsident Ezer Weizman empfiehlt ihnen, "den Schwanz zwischen die Beine zu nehmen" und die Luftwaffe so schnell wie möglich zu verlassen. Unter solch heftigen Beschuss sind 27 Piloten der Luftwaffe geraten, die in einem inzwischen veröffentlichten Brief an Luftwaffen-Kommandeur Dan Halutz mitteilten, sie seien nicht mehr bereit zu Einsätzen in den besetzten palästinensischen Gebieten, denn Angriffe gegen zivile Ziele dort seien "illegal und unmoralisch".

Im Ruch des Landesverrats

Die 27 Briefschreiber - nur neun von ihnen heute noch aktive Piloten - hatten begonnen, sich nach einem Vorfall vor zwei Monaten zusammenzutun: Bei der gezielten Ermordung des von Israel gesuchten "Hamas" Kommandanten Salah Shehadeh wurden von den Raketen der angreifenden israelischen Flugzeuge außer Shehade auch 16 unbeteiligte Zivilisten getötet und über 100 weitere verletzt. Offene Kritik am Vorgehen des Militärs auch aus den Reihen der Streitkräfte ist in Israel nicht neu, selten aber hat sie so viel Aufsehen erregt wie jetzt, obwohl solches Verhalten in Israel immer schon als eine Art Landesverrat betrachtet wurde.

Kampfpiloten in Israel
Israeli Air Force Piloten vor ihrem F-16 KampfflugzeugBild: AP

Israel kennt kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung - außer dass es ultraorthodoxe Thora-Schüler vom Militärdienst befreit. Die Zahl derer, die sich im Laufe der Jahre dem Dienst an der Waffe widersetzten, ist deswegen auch entsprechend klein: Sie wurden meist für eine gewisse Zeit ins Gefängnis gesteckt und gelten seitdem als "Ungediente" - ähnlich wie einst in Preußen - als Parias der Gesellschaft.

Zerstörtes Wohnhaus in Gaza Stadt nach einem israelischen Raketenangriff, getötet wurde Salah Shehadeh, Militärchef der Hamas und mindestens weitere 11 Menschen,
Zerstörtes Wohnhaus in Gaza Stadt nach dem israelischen Angriff auf Salah Shehadeh, Militärchef der Hamas. Mindestens weitere 11 Menschen wurde dabei getötet.Bild: AP

Eine zweite Gruppe waren jene, die sich weigerten, Dienst in den besetzten Gebieten zu tun, weil sie die Besatzung ablehnten und dies politisch mit ihrer Ablehnung der Besatzung begründeten. Einige dieser Friedensaktivisten wurden ähnlich behandelt wie Kriegsdienstverweigerer, andere aber wurden einfach in andere Einheiten innerhalb Israels versetzt. Öffentlicher Protest aus dem Militär gegen die israelische Politik in den besetzten Gebieten schlug sehr hohe Wellen, als eine ganze Einheit, die während der ersten Intifada Dienst in der Westbank tun musste, sich in einem offenen Brief geschlossen über unzulässige Befehle und Praktiken des Militärs beschwerte.

Neue Qualität des Protests

Der Protest der Piloten jetzt hat aber eine neue und andere Qualität: Piloten der Luftwaffe gehören zu den am meisten respektierten und bewunderten Offizieren in Israel und ihr Wort hat deswegen besonderes Gewicht - selbst, wenn einige der Unterzeichner längst Reservisten und zu alt sind, um ernsthaft in den besetzten Gebieten eingesetzt zu werden. Für sie und vor allem für jene neun Piloten, die bis jetzt bei Angriffen im Gazastreifen und in der Westbank eingesetzt wurden, bleibt es ein Dilemma, dass diese Einsätze nicht darauf abzielen, feindliche Streitkräfte zu besiegen, sondern immer häufiger, um zivile Infrastruktur zu zerstören und um gesuchte Führer und Aktivisten radikaler palästinensischer Gruppen anzugreifen und zu töten.

Diese Einsätze werden weltweit verurteilt, weil sie ohne jeden Prozess und ohne jede rechtskräftige Verurteilung des Gegners stattfinden und weil dabei immer wieder Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen werden. Eine schweigende Mehrheit in Israel ist freilich bereit, solche Liquidierungen als "notwendiges Übel" zu akzeptieren, weil die radikalen palästinensischen Gruppen ihren Kampf gegen Israel mit Terroranschlägen und Überfällen fortsetzen und - so beteuert die Regierung Scharon tagtäglich - die PLO-Führung unter Yasser Arafat nichts gegen sie unternehme.

Verpflichtung zum Widerstand

Eine ebenso verstummte Minderheit verweist zwar darauf, dass gerade Israel immer wieder darauf bestanden hatte, dass Soldaten - erst recht aber Offiziere - das Recht und auch die moralische Verpflichtung haben, sich ungesetzlichen und unmoralischen Befehlen zu widersetzen.

Solch ein moralischer Ansatz wird aber heute in Israel verdrängt von denen, die das Verhalten der Piloten für ungesetzlich und unzulässig halten. Dabei haben sie bis zu einem gewissen Punkt vielleicht auch Recht: Keine Armee der Welt wird zulassen, dass ihre Angehörigen sich in einer Krisensituation in der Öffentlichkeit kritisch mit ihren Einsatzbefehlen oder der dahinter stehenden Politik auseinandersetzen. Und in den meisten Armeen dürften solchen Militärs härtere Strafen drohen als in Israel: Die noch aktiven Briefschreiber werden wohl aus dem Dienst entlassen und die Regierung wird wohl versuchen, möglichst rasch "zur Tagesordnung überzugehen".