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Der Yukos-Prozess ist eine quälende Prozedur

Cornelia Rabitz21. Mai 2005

Der Prozess dauerte ein Jahr und auch die Urteilsverkündung zieht sich hin. Das Moskauer Gericht verzögert bewusst, meint Cornelia Rabitz. Und Russland macht einen großen Schritt zurück, weg vom Ziel der Demokratie.

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Es ist eine quälende Prozedur, die in dem stickigen Moskauer Gerichtssaal nun schon seit Tagen vor sich geht: Mit monotoner Stimme verliest die Richterin das Urteil gegen Michail Chodorkowski und seinen Geschäftspartner Platon Lebedew. Nicht mehr als 50 Seiten täglich mag sie sich zumuten - und dabei umfasst der gesamte Urteilstext, der sich wortgleich an die Anklageschrift anlehnt, 1000 Seiten. Es ist eine Urteilsverkündung auf Raten. Geht es in diesem Tempo weiter, so kann das Ganze wohl 20 Tage dauern.

Offensichtliche Verzögerungstaktik

Das Interesse der Weltgemeinschaft am Ausgang des Verfahrens, die Aufmerksamkeit der Medien, dürfte darüber erlahmen, und dies ist wohl Absicht. Die Anhänger Chodorkowskis, die am ersten Tag noch vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten, sind längst von der Miliz abgedrängt worden. Jetzt sieht man nur noch die Parolen derer, die eine strenge Bestrafung des "Raubkapitalisten" fordern, entsprechend ist auch die Berichterstattung in den staatlich gelenkten russischen Medien.

Die Nervenprobe ist der Gipfelpunkt einer langen Kette von Demütigungen, die die Angeklagten seit Beginn des Verfahrens erdulden mussten. Deren augenfälligste ist ihre unwürdige Zurschaustellung in einem grauen Käfig - wie wilde Tiere oder brutale Schwerverbrecher. Willkür begleitete den Prozess von Anfang an. Parallel wurde der Yukos-Konzern zerschlagen, Chodorkowski, einer der reichsten Männer Russlands, ruiniert, seine Anwälte behindert. Es wurden Steuergesetze nachträglich geändert, um sie passend zu machen für eine politisch gewollte Anklage. Niemand hat ernsthaft daran geglaubt, dass es ausschließlich um Steuerhinterziehung, Betrug und andere Delikte gegangen ist. Für die in den frühen 1990er-Jahren grassierenden wilden Privatisierungen, für persönliche Bereicherung jenseits der Legalität, für den Transfer von Milliardengewinnen ins Ausland, hätten die russischen Behörden auch andere Oligarchen zur Rechenschaft ziehen können und müssen.

Exempel statuiert

Der schamlose Raub unter den Augen des Staates, der sich in der Ära von Wladimir Putins Amtsvorgänger Boris Jelzin vollzogen hat, ist mit dem Verfahren gegen Chodorkowski nicht aufgearbeitet. Es wäre eines tatsächlichen Rechtsstaates würdig gewesen, diese Vorfälle politisch unvoreingenommen juristisch untersuchen zu lassen. Immerhin sind nicht nur einige wenige über Nacht zu Milliardären geworden, sondern es sind sehr viele Menschen in jener Zeit dramatisch verarmt. Ihre Empörung, ihr Wunsch nach Genugtuung, ja Rache, ist verständlich. Man hätte ihnen Genugtuung verschaffen können durch ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren gegen alle Profiteure der wilden Kapitalisierung, auch die darin verwickelten Staatsbeamten und Politiker.

Das Exempel aber wurde an Michail Chodorkowski statuiert. Einem Unternehmer, der nicht nur sehr reich geworden ist, sondern der dabei modern gewirtschaftet und aus maroden Staatsbetrieben einen international angesehenen Konzern gemacht hat. Er hatte es gewagt, den Pakt zwischen den Reichen und den Mächtigen, zwischen den

Wirtschaftsfürsten und dem Kreml zu brechen. Er hat sich in die Politik des Landes eingemischt, sich als Putin-Gegner positioniert, unabhängige Parteien und Stiftungen finanziert. Dafür bekommt er nun die Rache der Herrschenden zu spüren.

Ruf der Justiz ruiniert

Schuldig im Sinne der Anklage: Das stand vom ersten Tag an fest. Die Justiz hat sich zum willigen Werkzeug der Politik gemacht und es spielt daher am Ende kaum noch eine Rolle, ob Chodorkowski und sein Partner Lebedew schließlich zu zehn, zu acht oder zu fünf Jahren Haft oder Arbeitslager verurteilt werden. Es geht darum, ein Exempel zu statuieren. So gesehen war es ein Schauprozess, nur fehlten die in den finstersten sowjetischen Zeiten üblichen erzwungenen Selbstbezichtigungen der gedemütigten Angeklagten.

Die russische Justiz ist endgültig in den schweren Verdacht geraten, sich politisch instrumentalisieren zu lassen. Ihr Ruf ist ruiniert. Darüber hinaus ist das Vertrauen in die Politik des Landes angeschlagen, schon gibt es Meldungen, dass ausländische Investoren irritiert sind und Russland meiden. Sie registrieren, wie beschädigt dort rechtsstaatliche Garantien, zum Beispiel das Eigentumsrecht, inzwischen sind. Einmal mehr offenbart sich in diesen Tagen: Bis es wirklich ein demokratischer Rechtsstaat geworden ist, muss Russland noch einen weiten Weg zurücklegen. Diese Woche hat gezeigt: Es gibt nicht nur Hindernisse auf diesem Weg, es geht sogar immer noch ein Stück zurück.