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Zauderer und Zauberer

Marcel Fürstenau13. Mai 2012

Noch vor kurzem wurde orakelt, Bundeskanzlerin Merkel könne schon bald ohne Koalitionspartner dastehen. Doch die FDP hat sich wieder gefangen. Dank eines Mannes, den viele schon abgeschrieben hatten.

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FDP-Chef Philipp Rösler (l.) auf der Bühne des Parteitags im April in Karlsruhe. Schräg hinter ihm beobachtet Ex-Generalsekretär Christian Lindner die Situation. (Foto: Uli Deck / dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Am Sonntag wird Philipp Rösler Grund zu feiern haben. Egal, wie die Wahl in Nordrhein-Westfalen ausgehen sollte. Denn auf den Tag genau vor einem Jahr wurde er auf dem Parteitag der Liberalen (FDP) in Rostock zum Nachfolger Guido Westerwelles gewählt. Der deutsche Außenminister galt als Auslaufmodell, der Wirtschaftsminister als Hoffnungsträger. Rund 95 Prozent der Delegierten schenkten dem promovierten Mediziner damals ihr Vertrauen, zwölf Monate später kursieren Putschgerüchte gegen Röser selber.

Pünktlich zum Urnengang im größten deutschen Bundesland, in dem ein Fünftel der Bevölkerung lebt, meldet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" unter Berufung auf anonyme Quellen: "Rösler soll gehen". In Hintergrundkreisen des Berliner Regierungsviertels ist davon schon seit Monaten die Rede, nur öffentlich will es niemand sagen. Und nachdem die FDP am vergangenen Sonntag bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein entgegen aller Vorhersagen der Meinungsforscher mehr als acht Prozent erhalten hat, wäre Röslers Sturz kaum vermittelbar.

Lindners Rücktritt sorgte für Ratlosigkeit

Christian Lindner, Spitzenkandidat der FDP bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, spricht am 21. April 2012 in Karlsruhe beim Bundesparteitag der FDP. (Foto: Bernd Weißbrod / dpa)
Schon auf dem Karlsruher FDP-Parteitag im April faszinierte Christian Lindner seine Anhänger.Bild: picture-alliance/dpa

Die Trendwende nach einer Reihe von Wahlschlappen könnte sich in Nordrhein-Westfalen stabilisieren, denn in Umfragen liegen die Liberalen inzwischen bei sechs Prozent. Noch vor wenigen Wochen galt ein Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde als sicher. Verantwortlich für den fast schon atemberaubenden Aufschwung ist Philipp Röslers ehemaliger Generalsekretär Christian Lindner. Wenige Tage vor Weihnachten vergangenen Jahres hatte der 33-Jährige sein Amt niedergelegt. Die Begründung war und blieb nebulös. Es gebe den Moment, in dem man seinen Platz frei machen müsse, "um eine neue Dynamik zu ermöglichen", sagte Lindner. Partei und Öffentlichkeit waren ratlos.

Am wahrscheinlichsten ist, dass Lindner seinem einstigen Weggefährten nicht mehr zutraute, den anfangs gemeinsam angestrebten programmatischen Wechsel der FDP durchzusetzen. Beide wollten weg von der aus ihrer Sicht einseitigen Fokussierung auf Wirtschaft und niedrige Steuern, die Ex-Parteichef Westerwelle unablässig propagiert hatte. Doch Rösler hielt an dieser Strategie im Kern fest, wenn auch weniger penetrant als sein Vorgänger. Lindner hält diesen Kurs, der bei Rösler "Wachstum" heißt, eher für einen Etikettenwechsel als einen inhaltlichen Neuanfang. Nur würde er es nicht so deutlich sagen, weil er seinem Parteichef damit in den Rücken fallen würde.

Lieber neue Wahlen als neue Schulden

Wie Lindner wirklich denkt, ließ er bei seinem Rücktritt als Generalsekretär durchblicken. Zwei Jahre lang habe er die Politik der FDP erklärt und verteidigt, "in schwieriger Zeit habe ich sie mitzugestalten versucht". Es waren die Worte eines Resignierten, eines Gescheiterten, der seinen Chef als Zauderer erlebte. Und nun dieses Comeback nach wenigen Monaten, das nur möglich wurde, weil in Nordrhein-Westfalen die Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten (SPD) und Grünen scheiterte. Zum Scheitern trug auch die FDP bei, weil sie dem von der Landesregierung vorgelegten Haushaltsentwurf wegen der geplanten Neuverschuldung in Milliardenhöhe nicht zustimmte.

In Anbetracht der dramatischen Lage, in der sich die FDP zu diesem Zeitpunkt befand, waren sich die meisten politischen Beobachter einig: Im nächsten Landtag wird es keine Liberalen mehr geben. Nun sieht es so aus, als sollte ihnen mit Lindner an der Spitze das vermeintlich Unmögliche gelingen. Es wäre ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg zurück zu mehr Glaubwürdigkeit. Dazu gehört vor allem Selbstkritik. Als Beispiel nennt Lindner das seines Erachtens zu lange Festhalten am Versprechen, Steuern zu senken. Durch die Staatsschuldenkrise in Europa hätten sich die wirtschaftlichen Bedingungen aber fundamental verändert.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

FDP-Chef Philipp Rösler betritt mit geschlossenen Augen das Rednerpodest in der Berliner Partei-Zentrale. Im Hintergrund die Stellwand mit dem blau-gelben FDP-Logo. (Foto: Axel Schmidt / dapd)
Augen zu und durch? FDP-Chef Philipp Rösler fehlt der Ducrhblick - meinen seine Kritiker.Bild: dapd

In einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte Lindner in diesem Zusammenhang einen leicht umständlich klingenden Satz: "Situationsadäquates Handeln macht Professionalität aus." Nie würde der neue Hoffnungsträger zugeben, dass sich auch und gerade FDP-Chef Rösler angesprochen fühlen darf. Dabei weiß Lindner natürlich, wie es um die Partei insgesamt bestellt ist. Ein gutes Abschneiden in Nordrhein-Westfalen würde der FDP und ihrem Bundesvorsitzenden eine Verschnaufpause bescheren. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 könnte es nur eine kurze sein.

Da die Umfragewerte landesweit noch immer schlecht sind und der Zauderer Rösler miserable Sympathiewerte erhält, wird die entscheidende Frage sehr schnell wieder gestellt werden: Wer soll die FDP in den Bundestagswahlkampf führen? Auch wenn Lindner persönliche Ambitionen bestreitet, er wird sich ihnen stellen müssen. Stimmen, die ihn am liebsten schon in diesem Jahr als Röslers Nachfolger hätten, sind bei genauem Hinhören im Berliner Regierungsviertel bereits zu vernehmen. Es deutet einiges darauf hin, dass Lindner die FDP schon vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen ein wenig verzaubert hat.