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Vom Terror überrollt

Richard A. Fuchs, Berlin 15. Juli 2016

Eigentlich hätte am Pariser Platz in Berlin ausgelassene Stimmung herrschen sollen - beim deutsch-französischen Fest. Doch nach der Terror-Tat von Nizza fließen hier Tränen und Blumen werden niedergelegt.

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Trauer um die Opfer von Nizza am Pariser Platz in Berlin (Foto: Richard Fuchs)
Bild: DW/R.Fuchs

Nur noch wenige Handgriffe, dann hat Raphaël die beiden runden Herdplatten wieder in einer Kiste verstaut. Crêpes wollte der 27-jährige Franzose auf diesen Platten machen, nach einem Rezept seiner bretonischen Großmutter. Doch seit der Terror-Tat von Nizza ist hier am Pariser Platz in Berlin nichts mehr wie zuvor. Das deutsch-französische Fest ist für einen Tag unterbrochen. Im stillen Gedenken an die über 80 Opfer.

Raphaël ist vor wenigen Tagen aus Frankreich eingeflogen, um seinen Bruder mit seiner Catering-Firma bei der Crêpes-Produktion zu unterstützen. Nach der Absage hilft er, das kleine Kochzelt vor dem Brandenburger-Tor leerzuräumen. Ein flaues Gefühl im Magen begleitet ihn dabei, sagt der französische Student. Denn er selbst wohnt nur wenige Meter von der Ufer-Promenade entfernt, an dem am Donnerstagabend in Nizza ein Lastwagen ungebremst eine Menschenmenge überrollte. "Ich verstehe das alles nicht, denn Nizza ist wirklich eine ganz ruhige und wunderschöne Stadt, in der es keine Spannungen gibt zwischen den Leuten."

"Ich ändere mein Leben nicht. Nicht wegen denen!"

Jetzt diese Schreckensbilder auf seinem Smartphone zu sehen, und das hier von Berlin aus, das schmerzt, sagt der junge Franzose. Dennoch will er sich nicht vom Terror einschüchtern lassen, will sich nicht mit den wiederkehrenden Anschlägen abfinden. "Ich ändere mein Leben nicht. Nicht wegen denen!"

Raphaël im Zelt (Foto: Richard Fuchs)
Raphaël ist Student aus Nizza - und fassungslos, was in seiner Heimat geschehen istBild: DW/R.Fuchs

Wenige Meter von Raphael entfernt, vor der mit Absperrgittern gesicherten französischen Botschaft, herrscht mehr Trauer als Trotz. Eine Frau im hellbraunen Mantel eilt in schnellem Schritt auf das Gitter zu, legt einen Strauß gelber Rosen nieder. Nach jedem Terroranschlag in Frankreich sei sie hierher zurückgekommen, hat Blumen abgelegt und inne gehalten. Über ihre Wangen rollen Tränen. Die Frau arbeitet hier am symbolträchtigen Pariser Platz - beinahe täglich. Das Einzige, was über ihre Lippen gehen will, lautet: "Warum?"

Vor der französischen Botschaft wehen die europäische und die französische Flagge auf Halbmast. Am Rand drängen sich Touristengruppen aus verschiedenen Ländern Europas. In der Mitte des Platzes sammeln sich langsam Trauernde zum stillen Gedenken. Kurz nach 14 Uhr tritt der französische Botschafter auf die Bühne vor dem Brandenburger Tor. Philipp Etienne dankt all jenen, die Solidarität zeigen. Gemeinsam mit Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller leitet er eine Schweigeminute ein. Und in der Tat wirkt der belebte Platz zumindest für einige Sekunden wie eingefroren. Nur die starken Windböen stürmen weiter.

Frankreichs Botschafter appelliert an die Berliner: "Die Werte, die gestern wieder angegriffen wurden, sind unsere gemeinsamen Werte, in Deutschland, in Frankreich, in Europa". Und Berlins regierender Bürgermeister ergänzt: "Auch wenn es schwer fällt und wenn wir wütend sind: Man darf Hass jetzt nicht mit Hass begegnen." Es gelte, nicht nebeneinander her zu leben, sondern es miteinander zu schaffen. Über die Agenturen laufen Meldungen, dass sich unter den Anschlagsopfern auch Schüler einer Berliner Gesamtschule befinden. Vielen Passanten des Pariser Platzes scheint der Anschlag und die Todesmeldungen ins Gesicht geschrieben zu sein.

Brandenburger Tor in Berlin (Foto: Reuters/H. Hanschke)
Das deutsch-französische Fest in Berlin wurde unterbrochenBild: Reuters/H. Hanschke

Schwappt die Atmosphäre der Angst nach Deutschland?

Abdessalem Salihi ist Marokkaner und lebt seit zwölf Jahren in Berlin. Er schaut auf den Platz - blickt immer wieder den Wolken nach. Auch er hätte auf dem Fest kochen sollen und findet die Absage dennoch richtig. "Heute zu feiern, das fände ich auch nicht wirklich richtig lustig." Viele aus seiner marokkanischen Familie leben in Frankreich, einige auch im Süden. "Meine Angst ist, dass der Terror zu Normalität wird und dass am Ende ein Riesenkonflikt zwischen Inländern und Ausländern steht." Viele Franzosen hätten das Vertrauen in muslimische Ausländer verloren, viele Muslime fühlten sich irgendwie verloren in diesem Land. "Schlimm wäre es, wenn diese Atmosphäre der Angst jetzt auch zu uns nach Deutschland herüberkommt."

Damit das nicht geschieht, arbeitet Heidi Marleen Kuhlmann am Pariser Platz. Direkt neben der französischen Botschaft, im Delors-Institut. Benannt nach dem berühmtesten EU-Kommissionspräsidenten Frankreichs, entwickelt die junge Wissenschaftlerin Strategien, wie Europas Einigung gelingen kann. Kein einfacher Job, in Zeiten von Terror und Brexit. An diesem Freitag eilt sie von Konferenz zu Konferenz. Der Blick fällt dazwischen abwechselnd einmal auf den Pariser Platz vor der Tür, dann wieder auf das eigene Smartphone.

Viele französische Mitarbeiter des Think Tanks waren zur Anschlagszeit in Südfrankreich im Urlaub. Ihr Fazit an diesem denkbar schlechten Tag: "Ich denke, das Wichtigste ist, dass aus diesem Terror kein Alltag wird". Ihre Arbeit sieht sie dabei in direktem Zusammenhang mit der langfristigen Terrorbekämpfung. Denn nur wenn Europa von der Mehrheit der Bürger als Teil der Lösung wahrgenommen werde, so Kuhlmann, könne der Terror wirklich besiegt werden.

Abdessalem Salihi vor Zelten des deutsch-französischen Fests in Berlin (Foto: Richard Fuchs)
Abdessalem Salihi hat Angst, dass die Terror-Atmosphäre nach Deutschland schwapptBild: DW/R.Fuchs

"Deutschland hat bislang unverschämtes Glück gehabt"

Auf dem Pariser Platz glauben jedoch wenige Passanten, dass der Terror schon bald besiegt sein könnte. Viele haben ein mulmiges Gefühl bei ihrem Spaziergang in Berlins zentralster Lage. "Berlin hätte gestern Nizza sein können", sagt eine Passantin. Ein anderer Spaziergänger ergänzt. "Deutschland hat bis jetzt einfach nur unverschämtes Glück gehabt, dass nichts passiert ist".

Eine ungewöhnliche Szene ergänzt dieses Bild. Zwei französische Zirkuskünstler drängen sich zwischen den rund 300 Versammelten vor dem Brandenburger Tor nach vorne, schauen ungläubig auf das, was um sie herum passiert. Die ganze Nacht sind sie aus Südwestfrankreich mit dem Auto nach Berlin gefahren. Sie scheinen die wirklich letzten zu sein, die von den Geschehnissen erfahren haben. Eigentlich hätten sie gleich Trampolin-Stunts vorführen sollen. Das ist jetzt abgesagt, was einer der beiden Künstler bedauert. "Ich hätte das eigentlich gut gefunden, hier Luftsprünge zu machen, auch zu Ehren der Getöteten. Es ist ein gutes Zeichen für das Leben."