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"Deutsch-ungarische Beziehungen sind hervorragend"

14. Februar 2002

- Interview mit dem Vorsitzenden der Parlamentariergruppe, Reinhard Freiherr von Schorlemer

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Budapest, 11.2.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Jan Mainka

Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrages wurde im Bundestag ein Entschließungsantrag zur weiteren Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit im zusammenwachsenden Europa verabschiedet. Maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des Dokuments war die deutsch-ungarische Parlamentariergruppe.

Frage:

Wie kam es zu dem interfraktionellen Antrag?

Antwort:

Die deutsch-ungarischen Beziehungen sind so hervorragend, dass sich mit ihnen bei uns im Parlament leider kaum beschäftigt wird. Anders als verschiedene Sorgenkinder spielt Ungarn im Bundestag kaum eine Rolle. Da unsere beiden Länder eine über tausendjährige Geschichte verknüpft und Ungarn in der jüngsten Vergangenheit sehr viel für uns getan hat, haben wir das jetzige Jubiläum bewusst genutzt, um trotzdem einmal Ungarn zum Thema zu machen.

Frage:

Worum geht es in dem Antrag?

Antwort:

Zum einen wird die Bundesregierung aufgefordert, die bilateralen Beziehungen auf allen Gebieten weiter auszubauen. Weiterhin soll sie alles unternehmen, um den Beitrittsprozess Ungarns zur Europäischen Union weiter aktiv zu unterstützen.

Frage:

Von ungarischer Seite wird in letzter Zeit immer wieder beanstandet, dass sich die EU-Integration des Landes unnötig in die Länge ziehe.

Antwort:

Das sehe ich genauso. Ich halte nichts davon, dass ein Land, was theoretisch beitrittsfähig ist, auf Länder warten muss, die ihre Hausaufgaben noch nicht so gründlich erledigt haben. Man darf nicht vergessen, welche enormen Mehrbelastungen sich ein Land schon heute aufbürdet, um den EU-Ansprüchen gerecht zu werden. Diese Opfer dürfen nicht vergebens sein, sondern sollten mit einem zügigen Beitritt honoriert werden. Vor diesem Hintergrund kann ich mir beispielsweise eine erste Beitrittsrunde auch ohne Polen vorstellen, zumindest wenn das Land nicht energisch die noch offenen Kapitel abschließt. Natürlich hoffe ich, dass Polen es schafft.

Frage:

Worin sehen Sie die Bedeutung des Antrags?

Antwort:

Abgesehen von der PDS haben sich alle Fraktionen des deutschen Bundestages mit ihrer Zustimmung zu dem Antrag dazu verpflichtet, alles für eine weitere Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit zu unternehmen. Das heißt, die deutsch-ungarischen Beziehungen werden sich unabhängig vom Wahlausgang bei uns im Herbst weiter entwickeln.

Frage:

Warum hat sich die PDS-Fraktion dem Antrag nicht angeschlossen?

Antwort:

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bringt grundsätzlich keine gemeinsamen Anträge mit der PDS-Fraktion ein. Bei der Abstimmung über diesen Antrag hat sich die PDS enthalten.

Frage:

Was hat es mit dem deutsch-ungarischem Jugendbüro auf sich, das unter Punkt sieben im Entschließungsantrag genannt wird?

Antwort:

Zwischen Ungarn und Deutschland spielt das Thema Aussöhnung wie bei Frankreich, Polen oder Israel zum Glück keine Rolle. Von daher haben wir auf den Ausdruck Jugendwerk verzichtet. Dennoch würden wir es begrüßen, wenn auch in der Relation Deutschland-Ungarn eine Institution geschaffen würde, in deren Rahmen sich Kinder und Jugendliche beider Länder kennen lernen können. Bis jetzt ist das ganze aber zunächst erst einmal als Anregung von Seiten der Parlamentarier zu verstehen. Die Umsetzung in die Praxis wird über das entsprechende Ministerium erfolgen. Wir werden uns lediglich über den Fortgang der Angelegenheit erkunden.

Frage:

Was verbirgt sich hinter der deutsch-ungarischen Parlamentariergruppe?

Antwort:

Im Bundestag gibt es 49 Ländergruppen. Die ungarische entstand Ende der 80er Jahre. Ihr erster Vorsitzender war der heutige Innenminister Otto Schily, der damals noch zu den Grünen gehörte. 1990 ging der Gruppenvorsitz an die CDU, von der ich für dieses Amt gewählt wurde. Als ich die Position antrat, zählte unsere Gruppe 105 Mitglieder. Damit waren wir hinter der amerikanischen und Israel die drittstärkste Ländergruppe. Hinter dem enormen Zuspruch verbarg sich in vielen Fällen einfach Dankbarkeit für den Beitrag Ungarns zur deutschen Wiedervereinigung. Heute befinden wir uns mit 57 Mitgliedern noch vor der russischen, österreichischen und tschechischen Gruppe im guten Mittelfeld. Insgesamt 32 Gruppen sind kleiner als unsere.

Frage:

Was sind die Aufgaben Ihrer Gruppe?

Antwort:

Zu Beginn sahen wir die Aufgabe unserer Gruppe vor allem darin, Ungarn beim Aufbau des Parlamentarismus und der Schaffung der für eine Marktwirtschaft notwendigen Gesetze zu unterstützen. Konkrete Erfahrungen konnten wir insbesondere bei der Privatisierung weitergeben. Auch bei der Integration Ungarns in die NATO hat unsere Gruppe eine aktive Rolle gespielt. Heute sehen wir unsere wichtigste Aufgabe darin, den hohen Stand der bilateralen Kontakte weiter auszubauen und zu pflegen sowie alles für eine möglichst schnelle Aufnahme des Landes in die EU zu unternehmen. Dazu gehört auch, dass wir bei unseren westlichen Partnern die Augen für die Chancen der Osterweiterung öffnen und bestehende Ängste versuchen abzubauen.

Frage:

Was sind Ihre persönlichen Motive für Ihr Eintreten für Ungarn?

Antwort:

Mich hat die Reaktion des Westens auf den Ungarnaufstand 1956 stark geprägt. Es hat mich sehr berührt, wie das Land aufgestanden war, um sich mit Blut die verlorene Freiheit wiederzuholen und nach der Niederschlagung vom Westen jahrzehntelang allein gelassen dahindarben musste. Aus dieser Anteilnahme entsprang bei mir der Wunsch, diesem Land wie auch immer zu helfen. (fp)