1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Forschen für den Krieg

Nils Naumann25. November 2013

Sprengstoff, Panzerglas, Drohnennavigation: Universitäten in Deutschland forschen im Auftrag des Pentagons. Das haben Journalisten enthüllt. Berliner Oppositionspolitiker sind empört und fordern Offenlegung.

https://p.dw.com/p/1AOXn
Philipps Universitaet, alte Universitaet, Marburg, Hessen, Deutschland / Philipps Universität
Drohnen-Forschung für das US-Verteidigungsministerium: Die Philipps-Universität MarburgBild: picture alliance/Arco Images GmbH

Sie ist klein, zitronengelb und sie ist ein Navigationsgenie. Die Wüstenheuschrecke besitzt ein ganz außergewöhnliches Sehorgan. Ob in tiefschwarzer Nacht oder bei gleißendem Sonnenlicht – die Heuschrecke findet ihren Weg, über Tausende von Kilometern. Dabei orientiert sie sich an den Sternen oder am Lichtmuster des Mondes. Vielleicht ein Vorbild für die Navigation in der Luftfahrt – dachten sich die Wissenschaftler der Philipps-Universität Marburg.

"Dieses vermeintlich harmlose Forschungsprojekt", sagt der NDR-Journalist Benedikt Strunz, "hat mich besonders in Erstaunen versetzt". Strunz hat gemeinsam mit einem Team aus Reportern des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der Süddeutschen Zeitung aufgedeckt, dass viele deutsche Universitäten im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums forschen. Auch die Marburger Wissenschaftler. Ihre Arbeit wurde von der U.S. Air Force mit rund 70.000 US-Dollar bezuschusst: "Auf unsere Nachfrage erklärte die Universität, es gehe um Grundlagenforschung."

Bei näherem Hinsehen habe sich aber herausgestellt, dass die Forscher klären wollten, ob die Seheigenschaften der Wüstenheuschrecke auch für Drohnen und zielgelenkte Munition eingesetzt werden können. "Das ist ganz klar Rüstungsforschung", sagt Strunz. Im schlimmsten Fall könnten die Erkenntnisse in Zukunft bei gezielten Tötungen mit Drohnen eingesetzt werden.

Drohnen werden immer wichtiger im modernen Krieg (Foto: Ethan Miller/Getty Images)
Drohnen werden immer wichtiger im modernen KriegBild: Getty Images

Universitäten bestätigen Zusammenarbeit

Marburg ist kein Einzelfall: Insgesamt haben nach Erkenntnissen von NDR und Süddeutscher Zeitung in den vergangenen Jahren 22 deutsche Hochschulen und Forschungsinstitute Geld vom US-Verteidigungsministerium bekommen. Es sollen rund zehn Millionen Dollar aus den USA nach Deutschland geflossen sein. Geld für Rüstungs- und Grundlagenforschung.

So habe die Ludwig-Maximilians-Universität in München vom US-Verteidigungsministerium 2012 mehr als 470.000 US-Dollar erhalten, um militärische Sprengstoffe zu verbessern. Die Fraunhofer-Gesellschaft forschte für die US-Armee an Panzerglas und an Sprengköpfen. An die Wissenschaftler der Universität des Saarlands flossen im Januar 2012 über 120.000 US-Dollar, um die mathematische Verarbeitung von Sprachstrukturen zu erforschen. Die Universitäten haben die Zahlungen bestätigt.

Brunnen vor dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Oberbayern). (Foto: Andreas Gebert dpa/lby)
Sprengstoffforschung: Die LMU MünchenBild: picture-alliance/dpa

Unter den vom US-Militär geförderten Einrichtungen befinden sich auch Hochschulen, die sich selbst in sogenannten Zivilklauseln einen Verzicht auf militärische Forschung auferlegt haben. Solche Klauseln würden dadurch zur "Farce", kritisierte die hochschulpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Nicole Gohlke. Die betroffenen Hochschulen sehen allerdings keinen Verstoß gegen die Klauseln. So erklärte die Universität Bremen, ein US-finanziertes Satellitenforschungsprojekt diene der Grundlagenforschung und sei mit der Zivilklausel vereinbar. Viele der Projekte gehören zur sogenannten Dual-Use-Forschung, die Ergebnisse können also zivil und militärisch genutzt werden.

Opposition fordert mehr Transparenz

Der Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, wies Kritik an der Annahme von Aufträgen des US-Militärs zurück. "Grundsätzlich gibt es keinen Grund, das Verteidigungsministerium eines mit Deutschland eng verbündeten Staates als Projektträger auszuschließen".

Horst Hippler (Foto: Frank Leonhardt dpa)
Kritik unberechtigt: Horst HipplerBild: picture-alliance/dpa

Der Physiker und Friedensforscher Jürgen Altmann von der Technischen Universität Dortmund ist skeptischer: "Es ist schon problematisch, wenn sich die Wissenschaft der Kriegsvorbereitung widmet. Besonders problematisch ist es aber, für das US-Militär zu forschen. Schließlich führen die USA Angriffskriege und zwar auch ohne Autorisierung des UN-Sicherheitsrates." Die Wissenschaft müsse immer die möglichen Konsequenzen ihres Handelns im Auge behalten.

"Die meisten Universitäten haben diese Kooperationen vorher nicht an die große Glocke gehängt", sagt der NDR-Reporter Strunz. Die Journalisten fanden die Informationen erst in einer US-Datenbank.

Jürgen Altmann, Physiker an der Universität Dortmund (Foto: DW/Matthias von Hein)
Skepis angebracht: Jürgen AltmannBild: DW

Die Opposition reagierte mit Kritik auf die Veröffentlichungen. "Es ist unglaublich, dass das bisher nicht öffentlich bekannt war", erklärte die Linken-Politikerin Gohlke. Der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, forderte die Unis auf, Transparenz über ihre Drittmittelprojekte herzustellen. "Nur die Offenlegung der vertraglichen Eckdaten ermöglicht den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über die ethische Bewertung der Forschungsprojekte."

Übrigens vergibt auch die deutsche Regierung militärische Aufträge an Forschungseinrichtungen. Das Bundesverteidigungsministerium teilte jetzt mit, in den vergangenen drei Jahren seien im Schnitt jährlich etwa zehn Millionen Euro geflossen. Die Bandbreite reiche dabei von wehrtechnischen bis hin zu sozialwissenschaftlichen Aufträgen. Genaueres will das deutsche Verteidigungsministerium nicht bekannt geben. Detaillierte Angaben seien "aus Gründen der militärischen und der zivilen Sicherheit nicht möglich". Der NDR-Journalist Strunz wünscht sich auch hier "mehr Transparenz".