1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsche Literatur aus Prag

12. März 2010

Vor 100 Jahren gab es in Prag viele deutschsprachige Schriftsteller, die lesbare Spuren hinterlassen haben. Das Prager Literaturhaus will diesen Teil der tschechischen Geschichte schützen: das originale Multikulti.

https://p.dw.com/p/MOiS
Bild des Schriftstellers Franz Kafka (Foto: AP)
Kafka schrieb auf DeutschBild: AP

Prag war einmal eine Stadt, in der es eine lebendige deutschsprachige Gemeinschaft gab, die vor allem von jüdischen Autoren wie Franz Kafka und Max Brod bestimmt wurde. Sie lebten in einer abgeschlossenen Welt der Literatur – die mit dem Holocaust und der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand. Seit 2004 bemüht sich das Prager Literaturhaus darum, dieses literarische Vermächtnis zu erhalten und zu fördern.

"Wissen Sie, warum sich Franz Kafka und Jaroslav Hasek nie getroffen haben?" fragt Lucie Cernohousova, die Direktorin des Prager Literaturhauses. Das könnte der Anfang eines klugen literarischen Witzes sein oder eine einfache historische Tatsache. Tatsächlich ist es von beidem etwas: "Kafka verbrachte seine Zeit in den Kaffeehäusern und Hasek war vor allem in Kneipen anzutreffen."

Parallelwelten

Franz Kafka (1883-1924), Autor von "Der Prozess", und Jaroslav Hasek (1883-1923), Verfasser von "Der brave Soldat Schweijk", schrieben maßgebliche literarische Werke des 20. Jahrhunderts. Sie lebten in derselben Stadt zur selben Zeit und trotzdem haben sich ihre Wege nie gekreuzt: Hasek, der tschechische Schriftsteller par excellence, verbrachte seine Zeit mit Biertrinken in den Spelunken von Zizkov, einem Prager Vorort der Arbeiterklasse. Kafka, ein Jude aus bürgerlichem Hause, sprach zwar fließend Tschechisch, schrieb aber fast nur auf Deutsch. Er lebte in einer Welt der Kaffeehäuser und die prägende Sprache dieser Welt war das Deutsche.

Lucie Cernohousova, Leiterin des Prager Literaturhauses (Foto: Prager Literaturhaus)
Lucie Cernohousova möchte den Tschechen deutsche Kulturgeschichte vermittelnBild: Prager Literaturhaus

Lange literarische Tradition

Es ist eine ironische Nuance, dass Kafka heute das Aushängeschild der jüdischen Literaten Prags ist, obwohl er selbst nie von seinem eigenen Talent überzeugt war und seinen unveröffentlichten Nachlass nach seinem Tod zerstört haben wollte. Um Kafkas Vermächtnis muss man sich also keine Sorgen machen. Deshalb macht es sich das Prager Literaturhaus zur Aufgabe, die Werke seiner weniger bekannten Kollegen zu erhalten. "Die Tradition der deutschsprachigen Literatur in Prag reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück", erklärt Cernohousova. "Viele Tschechen wissen das nicht. Das Prager Literaturhaus soll zeigen: da existiert eine lange Tradition. Da gibt es ein großes kulturelles Erbe, das mit unserer Kultur verbunden ist – und mit unseren Wurzeln." Das Vermächtnis der Prager deutschen Literatur ist tatsächlich beeindruckend:

  • Ranier Maria Rilke: einer der wichtigsten Poeten deutscher Sprache. Geboren 1876 in der böhmischen Hauptstadt und 1926 gestorben – gerade mal zwei Jahre nach Kafka.
  • Gustav Meyrink (1890-1932): Kam von Wien nach Prag und war fasziniert von den düsteren Straßen aus Kopfsteinpflaster im jüdischen Ghetto. Das Ghetto dient als Szenerie für sein mystisches Meisterwerk "Der Golem“.
  • Franz Werfel (1890-1945): Werfel war Journalist, Autor und Freund Kafkas. Er wird oft als Erfinder des Expressionismus bezeichnet.
  • Egon Erwin Kisch (1885-1948): Kisch war ein umtriebiger und begeisterter Journalist und bekennender Kommunist. Er beleuchtete die Prager Gassen und Nächte und seine Reportagen führten ihn später in die entlegensten Winkel der Erde.
  • Max Brod (1884-1968): Franz Kafkas engster Freund. Er ignorierte Kafkas Wunsch, seine unveröffentlichten Werke zu verbrennen.

Haufenweise deutsche Kultur

Die Werke dieser Autoren – und vieler anderer – findet man in den Regalen des Prager Literaturhauses, dessen Bestand deutscher Literatur aus Prag mit dem der tschechischen Nationalbibliothek durchaus konkurrieren kann. Im Literaturhaus kann man sich an den Schreibtisch von Lenka Reinerova setzen, der letzten deutschen Schriftstellerein aus Prag. Sie hat 2004 – vier Jahre vor ihrem Tod im Alter von 92 Jahren – das Prager Literaturhaus gegründet.

Lenka Reinerovas Schreibtisch, deutschsprachige Schriftstellerin vor dem 2. Weltkrieg in Prag (Foto: Prager Literaturhaus)
Schreibtisch von Lenka ReinerovaBild: Prager Literaturhaus

Das Haus ist eine Oase der Ruhe: Es liegt in einem Hof hinter einer massiven Holztür, die auf eine der belebten Einkaufsstraßen Prags führt. Das Literaturhaus ist vor allem ein Zentrum für Forscher und Studenten, die sich mit den Werken deutscher Literatur in Prag beschäftigen. Wenn die aktuellen Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind, wird zum Haus ein Café mit regelmäßigen Abendveranstaltungen gehören. Bisher fanden diese Abende an verschiedenen Orten der tschechischen Hauptstadt statt.

"Wenn Sie nach deutscher Kultur suchen, dann finden Sie sie hier", sagt Gabriela Rottova. Sie ist für eine Veranstaltung über die in Prag geborene Schriftstellerin Auguste Hauschner ins Café Krasny Ztraty gekommen. "Man kann in Prag ein deutsches Kulturleben leben." Deutsche Kultur sei überall, meint ihr Begleiter, Petr Smetana. "Sie ist hier tief verwurzelt, ob das jetzt Franz Kafka, Max Brod, Meyrink oder wer auch immer ist. Deutsche Kultur lebt hier weiter", sagt er.

Eine andere Art Multikulti

Lucie Cernohousovas möchte diese Kultur für die zukünftigen Generationen erhalten. "Ich nehme an, dass tschechische Schulkinder heute noch glauben, die Deutschen seien erst im Zweiten Weltkrieg hierher gekommen“, erklärt Cernohousova. "Da gibt es eine große Wissenslücke in der Bevölkerung. In der Schule habe ich nie von dieser kulturellen Tradition gehört. Es geht ja nicht nur um Literatur, sondern Kultur, Musik...eigentlich fast alle Bereiche des menschlichen Lebens.“

Karlsbrücke in Prag (Foto:dpa)
Blick auf die Prager InnenstadtBild: picture-alliance/dpa

Die Prager lernen die Geschichte ihrer Stadt zwar als die Geschichte einer multikulturellen Metropole kennen, aber das heutige Prag ist auf eine ganz andere Art multikulturell als damals. Heute gibt es Starbucks Filialen, Thai Massage Salons, und viele ukrainische und vietnamesische Immigranten. Aber im Gegensatz zur deutschen Tradition, bleiben diese Minderheiten flüchtig und haben bisher keine tieferen kulturellen Spuren in Tschechien hinterlassen. Die Zeiten, in denen die Intellektuellen der Stadt in zwei Sprachen parlierten, nämlich Tschechisch und Deutsch, sind lange vorbei.

Autor: Rob Cameron/Peter Klaiber

Redaktion: Marlis Schaum