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"Deutsche Wirtschaft"

21. August 2003

Polnische Unternehmen aus den Grenzregionen gewinnen immer mehr Marktanteile in Deutschland

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Posen, 17.8.2003 WPROST, poln.

Vor 14 Jahren war Krzysztof Wojciechowski aus Kostrzyn (Köstrin) Berufssoldat gewesen. Er hat jedoch auf die Offizierskarriere verzichtet und auf dem Bau in Deutschland gearbeitet. Mit dem dort verdienten Geld gründete er die Firma Renex, die Bauelemente für Wohnungen herstellt. Heute besitzt er zwei Firmen, die auf dem deutschen Markt agieren. Sowohl er, als auch mehrere tausend polnische Unternehmer, die in der Nähe der Westgrenze leben, können nicht nur durch die Geschäfte im Grenzgebiet ihr Geld verdienen, sondern sie setzen sich auch gegen die deutsche Konkurrenz durch. Sie sind so gut, dass sie den Deutschen fast drei Viertel ihrer Kunden abgeworben haben.

Das Grenzgebiet förderte schon immer intensive Wirtschaftsbeziehungen. (...) Schon fünf Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands machte der Wert der durch die Firmen aus den grenznahen Regionen eingeführten Waren etwa zehn Prozent des gesamten polnischen Importes aus!

"In den achtziger Jahren habe ich auf deutschen Baustellen gearbeitet. Anfang der neunziger Jahre verfügte ich schon über solche Erfahrung bei den Kontakten zu unseren westlichen Nachbarn, dass ich Bescheid wusste, wie ich mich auf diesem Markt behaupten kann", erklärt Ryszard Skobierski, der Vorsitzende der Firma Comfort in Zgorzelec, die sich auf den Export von Baudienstleistungen nach Deutschland spezialisierte. (...)

Viele Unternehmer, die in der Nähe der Westgrenze Polens leben, begannen ihre wirtschaftliche Tätigkeit auf den Märkten. Jedem zwölften von ihnen ist es gelungen, entsprechendes Geld zu verdienen, um eigene Firmen zu gründen. Zur Zeit gibt es entlang der Westgrenze etwa 80 000 kleine polnische Firmen.

"Natürlich wäre es besser, wenn sich in diesem Gebiet die High-Tech-Branche entwickeln könnte. Da es sie aber hier überhaupt nicht gibt, ist diese Form von wirtschaftlicher Tätigkeit besser als überhaupt keine. Diese Menschen leben nicht auf Kosten des Staates. Wenn sie mit den Deutschen arbeiten, lernen sie außerdem schnell dazu und verbessern ihre Effektivität und Konkurrenzfähigkeit. Die Tatsache, dass viele von ihnen gegen die Deutschen gewinnen, zeugt davon, wie viel an Potential und Unternehmungsgeist in den Polen steckt", sagt Krzysztof Dzierzawski, vom Adam Smith-Zentrum.

Paradoxerweise hat die Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen dazu beigetragen, dass sich die Markhändler an der Grenze zu Unternehmern entwickelt haben. Da sie vom Handel nicht mehr leben konnten, gründeten sie kleine Produktions- und Dienstleistungsfirmen. (...)

Zdzislaw Rakoczy, der Inhaber der Firma Auto-Zentrum-Rakoczy, begann seine Expansion auf den deutschen Markt mit der Gründung einer kleinen Autowerkstatt nahe der Grenze: "Um zu erfahren, was meine Kunden aus Deutschland dazu bewegt, ihre Wagen in Polen reparieren zu lassen, beobachtete ich, wie Autowerkstätten auf der anderen Seite der Grenze arbeiten. Es war nicht schwer, die Schwachpunkte herauszubekommen: Die Deutschen geben lange Reparaturtermine und sind teuer. Ein polnischer Automechaniker arbeitet so lange, bis der Wagen repariert ist. Ein deutscher Automechaniker dagegen arbeitet nur bis 18 Uhr. Aus diesem Grunde ist es uns ohne große Mühe gelungen, Kunden abzuwerben", sagt Zdzislaw Rakoczy.

Der Erfolg eines Menschen motiviert die anderen. In der Stadt Zgorzelec, die 36 000 Einwohner hat, besitzt jeder zehnte Bewohner eine eigene Firma. Fast 500 Firmen, die auf deutsche Kunden eingestellt sind, agieren auf den zwei großen Märkten in der Nähe der Grenze. Die Besucher aus dem Ausland machen ihre Einkäufe in den Geschäften in Zgorzelec und nehmen die Dienste der Friseure und der Zahnärzte in Anspruch, da die Preise um die Hälfte oder gar um zwei Drittel niedriger sind als in Deutschland. In dem Hotel "Pod Orlem" ("Zum Adler") veranstalten die Deutschen Familientreffen, Geschäftskonferenzen und sogar Hochzeiten.

Eine ähnliche Geschäftsatmosphäre herrscht in den Grenzorten Leknica und Slubice Beide Orte arbeiten mit den Partnerstädten jenseits der Grenze (Bad Muskau bzw. Frankfurt an der Oder – MD) zusammen. Auf beiden Seiten der Oder gibt es große Märkte. Der größte befindet sich in Leknica, wo es 2 000 Marktstände gibt und wo sich 2 500 Menschen mit dem Handel beschäftigen. Durch diesen Markt belegt Leknica den dritten Platz unter den polnischen Gemeinden bezüglich der Pro-Kopf-Investitionen.

"Die Menschen, die an der Grenze ihre Geschäfte gemacht haben, nutzten ihre Chance und verdienten dank der Preisunterschiede. Jetzt müssen sie sich umstellen und ihre Dienstleistung direkt dem deutschen Kunden anbieten. Immer mehr von ihnen wissen jedoch genau, wie das geht", sagt Professor Witold Orlowski, Wirtschaftsexperte und Berater des Präsidenten Kwasniewski.

In Deutschland ist das Klischee verbreitet, dass die Qualität der deutschen Produkte und Dienstleistungen die polnische weit übersteigt. Den polnischen Firmen gelingt es aber, dieses Klischee zu widerlegen. Um zu gewinnen, müssen sie jedoch ein viel besseres Angebot präsentieren als ihr deutscher Konkurrent. (...)

Polen, die mit Deutschen zusammenarbeiten, müssten Eigenschaften annehmen, die frührer als typisch deutsche Tugenden galten und heute immer seltner dort anzutreffen sind. Es handelt sich dabei um Verlässlichkeit, Qualität der Produkte und um Ordnung. Jetzt kommt es sogar dazu, dass die deutschen Geschäftspartner unzuverlässig sind, oder dass sie versuchen, den polnischen Partner zu hintergehen:

"Die Deutschen meinen, dass die Polen lieber auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten, als vor deutschen Gerichten zu prozessieren. Aus diesem Grunde sind sie manchmal nicht ehrlich. Sie sind sich noch nicht darüber bewusst, dass sie mit einem Partner zu tun haben, der immer besser wird, auch in Bezug auf juristische Fragen", sagt Ryszard Skobierski. (...)

"In Wahrheit gibt es zwischen uns und den Deutschen eine Mauer aus Hindernissen und Mangel an gutem Willen. Das alles sieht nur während der Treffen der Politiker wunderbar aus", sagt Andrzej Szymczak, Leiter der Firma Topping aus Zgorzelec (...).

"Viele Deutsche sind an einer Zusammenarbeit nicht interessiert. Sie würden lieber unsere besten Leute abwerben, anstatt Geschäfte mit uns zu machen. Wenn sie sich schon für eine Zusammenarbeit mit uns entscheiden, dann können wir nur als Subunternehmen agieren", sagt Adam Jaske, Vizevorsitzender der Informatikfirma MaxElektronik aus Zielona Gora (Grünberg).

Im Laufe von wenigen Jahren haben die Polen nicht nur gelernt, Geschäfte zu machen, sondern auch sich gegen die Deutschen zu behaupten und besser abzuschneiden. Aus diesem Grunde werden sie oft mit Schikanen der deutschen Beamten konfrontiert. Die polnischen Firmen werden häufig kontrolliert und man verlangt die Erfüllung von Sanitärbedingungen, die nicht einmal die deutschen Firmen erfüllen.

Aber wenn man den Polen das Leben schwer macht, wirkt sich dies fördernd auf sie aus. Je schwierigere Bedingungen ihnen von den deutschen Behörden gestellt werden, desto konkurrenzfähiger werden sie. (Sta)