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'Nicht wie bei Obama'

7. April 2009

Der Medien- und Politikwissenschaftler Christoph Bieber erklärt im Interview, weshalb er wenig Chancen für die deutschen Parteien sieht, einen großen Teil der Stimmen über den Wahlkampf im Internet zu gewinnen.

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Medien- und Politikwissenschaftler Christoph Bieber (Foto: privat)
Medien- und Politikwissenschaftler Christoph BieberBild: Nennstiel

DW-WORLD.DE: Welche Bedeutung wird das Internet für den kommenden Bundestagswahlkampf haben?

Christoph Bieber: Das Internet wird eine größere Bedeutung haben, als in jedem Bundestagswahlkampf zuvor. Trotzdem läuft es den alten Medien wie Print und Fernsehen noch nicht den Rang ab. Die Politiker und Parteien werden das Netz nutzen, weil sie wissen, dass sie dort auf zwei Ebenen agieren: Auf der einen Seite direkt im Netz, wo sie vermutlich eher tendenziell jüngere Nutzerschichten erreichen, die sonst nicht so sehr auf Politik achten. Auf der anderen Seite sind solche Aktivitäten auch für die alten Medien interessant, um darüber zu berichten. Insofern ist das Internet eine Art Doppelmedium.

Wie beurteilen Sie derzeit die Aktivität der Parteien im Internet?

Anfang des Jahres haben die noch großen Parteien CDU und SPD ihre Websites aufpoliert, damit sie im Bundestagswahlkampf dort eine entsprechende Plattform haben. Das waren keine kleinen Einschnitte. Die Parteien kommunizierten nach außen, dass es sich dabei um eine Hinwendung zu Communities im Netz handele. Wenn man sich die Seiten aber anschaut, insbesondere die CDU-Seite, muss man der Ansicht sein, dass man hier versucht, eine Videoseite zu installieren. Auch bei der SPD ist es sehr stark visuell, auch wenn dort mehr mit stehenden Bildern gearbeitet wird. Der Community-Aspekt wird dort nicht unbedingt sichtbar.

Wie sieht es bei den kleineren Parteien aus?

Zuletzt haben die Grünen ihr so genanntes Wurzelwerk eröffnet. Das geht in die Richtung eines sozialen Netzwerks. Dort versucht man Mitglieder, aber auch Sympathisanten ohne Parteibuch zur Mitarbeit an den Kampagnen zu gewinnen.

Haben die Parteien ein knappes halbes Jahr vor der Wahl genügend Zeit, Mitglieder für diese Netzwerke zu gewinnen?

Die Aktivitäten passieren erst jetzt, im Frühjahr 2009. Das ist meiner Meinung nach aber zu spät. Wie man in den USA gesehen hat, braucht es sehr lange, um eine Wirkungsmächtigkeit wie bei Obama zu entfalten. Seine Kampagne dauerte zwei Jahre lang. Den Zeitraum hat man hier in Deutschland einfach verpasst.

Bei den US-Wahlen profitierte Barack Obama von seinem jugendlichen Image, mit dem er im Internet die überwiegend jungen Nutzer ansprechen konnte. Welcher Kandidat kann in Deutschland diese Rolle einnehmen?

Ich glaube, es lag nicht nur an dieser bestimmten Konstellation - denn jeder Obama braucht auch seinen Bush. Da kein Amtsinhaber im Rennen war, blieb den Kandidaten sehr viel Zeit, sich auf die Kampagnen einzustellen. In Deutschland haben wir mit der großen Koalition eine noch sehr viel extremere Situation, die sich bis zum Sommer gewissermaßen neutralisieren wird. Erst dann kann von einem offenen Wahlkampf gesprochen werden.

Fehlen den deutschen Parteien nicht dennoch junge und charismatische Kandidaten, die im Internet die jungen Nutzer ansprechen können?

Man darf nicht vergessen, dass nicht nur junge Leute das Netz nutzen. Auch bei der Alterskohorte um die 50 ist eine starke Durchdringung im Netz zu sehen. Also: Es geht hier nicht nur um Jung- und Erstwähler.

In Deutschland hieß es früher, dass der Wahlkampf stärker von Inhalten und weniger von Personen bestimmt ist. Hat man mit einer Kampagne, gestützt auf Kurzmitteilungen wie SMS oder Twitter überhaupt eine Chance, seine Botschaften zu transportieren?

SMS, Instant Messaging und Twitter sind natürlich nur ein Teil der Online-Kommunikation und sind mit anderen Angeboten verwoben. Das ist auch in den USA passiert. Niemand hat dort seinen Wahlkampf ausschließlich auf solche Kurznachrichten ausgerichtet, sondern hat damit auf andere Inhalte verwiesen. Genau das wird auch in Deutschland passieren. Es ist daher nur ein weiteres Element in diesem sehr komplexen Online-Wahlkampf.

In den USA haben viele Menschen private Daten wie Telefonnummern und Adressen an die Parteien weitergegeben, um sich an den Kampagnen zu beteiligen. Gibt es diese Bereitschaft auch in Deutschland?

Auf der einen Seite gibt es in Deutschland einen sehr vorsichtigen Umgang mit persönlichen Daten. Andererseits nutzen auch in Deutschland sehr viele Menschen soziale Netzwerke. Innerhalb dieser Netzwerke haben auch gerade jüngere Menschen sehr wenig Skrupel, persönliche Daten preiszugeben. Wenn es der Politik gelingt, hier Zugang zu finden, kann es auch in Deutschland dazu kommen, dass ein direkterer Kontakt zwischen Politikern und Wählern entsteht.

Das Interview führte: Zacharias Zacharakis

Redaktion: Kay-Alexander Scholz