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Politik

Empörung über Bozdag-Besuch

2. März 2017

Der Streit um die Untersuchungshaft gegen den Journalisten Yücel ist für die deutsch-türkischen Beziehungen eine Belastungsprobe. Ein Auftritt des türkischen Justizministers in Baden-Württemberg sorgt für Kritik.

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Deutschland Türkei Oberhausen Auftritt Ministerpräsident Binali Yildirim
Türkische Politiker wie Ministerpräsident Yildirim werben bei Deutschtürken für eine Verfassungsreform (Archivbild)Bild: Reuters/W. Rattay

Ungeachtet der Spannungen wegen der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei will der türkische Justizminister Bekir Bozdag in Deutschland bei einer politischen Veranstaltung auftreten. Bei dem Abendtermin mit Bozdag im baden-württembergischen Gaggenau handele sich um die Gründungsversammlung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), teilte ein Sprecher der Stadt Gaggenau mit.

Die Stadt Gaggenau war Berichten zufolge über den Auftritt des Ministers nicht informiert, der in sozialen Netzwerken von Deutschtürken intensiv beworben werde. Nach Angaben der türkischen Regierungspartei AKP handelt es sich aber um einen Wahlkampfauftritt, bei dem der Minister um Zustimmung für ein Präsidialsystem beim bevorstehenden Referendum in der Türkei werben will.

Türkei Bekir Bozdag Justizminister
Der türkische Justizminister Bekir Bozdag will bei einer Wahlkampfveranstaltung in Deutschland sprechen (Archivbild)Bild: Getty Images/C. Somodevilla

Schwere Kritik an dem Auftritt Bozdags kam von Linken-Chef Bernd Riexinger. "Der türkische Despot führt die Bundesregierung am Nasenring durch die Manege", sagte Riexinger mit Blick auf Präsident Recep Tayyip Erdogan. Bozdag wolle für Erdogans "Allmachtsfantasien" auf Stimmenfang gehen. Die schwarz-grüne Landesregierung Baden-Württembergs solle den Auftritt verhindern. "Die Bundesregierung muss unmissverständlich klar machen, dass in Deutschland nicht Stimmung für die Einrichtung einer Diktatur gemacht werden darf."

Druck der Bundesregierung lässt Türkei kalt

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Vorabend die Freilassung Yücels gefordert und die Achtung der Pressefreiheit angemahnt. "Unabhängiger Journalismus muss existieren können, Journalisten müssen ihre Arbeit machen können", sagte Merkel beim Politischen Aschermittwoch der CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Die Bundesregierung werde alles in ihrer Macht stehende tun, um auf eine Freilassung Yücels hinzuwirken.

Can Dündar zum Fall Yücel

Trotz massiven Drucks auf die Türkei gab es aber keinerlei Anzeichen für ein Einlenken Ankaras. Yücel war am Mittwoch in das Gefängnis in Silivri rund 80 Kilometer westlich von Istanbul verlegt wurde. In einem handschriftlich verfassten Brief hatte er sich erstmals seit seiner Festnahme an die Öffentlichkeit verwandt. "Es mag sich merkwürdig anhören, aber mir kommt es so vor, als hätte ich ein kleines Stück meiner Freiheit zurückgewonnen." Die Haftbedingungen seien in der neuen Unterbringung deutlich besser, schreibt er: "Tageslicht! Frische Luft! Richtiges Essen! Tee und Nescáfe! Rauchen! Zeitungen! Ein echtes Bett! Eine Toilette für mich alleine, die ich aufsuchen kann, wann ich will." Der Journalist bleibt optimistisch: "Obwohl sie mich meiner Freiheit beraubt, bringen mich das Verhör und die Urteilsbegründung noch immer zum Lachen." 

Deutschland Brief von Deniz Yücel aus dem Gefängnis in der Türkei
"Hallo Welt": Yücels Brief aus der HaftBild: picture-alliance/dpa/WeltN24

Yücel drohen fünf Jahre U-Haft

Yücel hat die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Er wird seit dem 14. Februar in der Türkei festgehalten, zunächst in Polizeigewahrsam, seit Montagabend dann in Untersuchungshaft. Ihm werden Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen. Ein Haftrichter in Istanbul hatte am Montag Untersuchungshaft angeordnet. Diese kann bis zu fünf Jahre dauern.

Nach einem Treffen mit dem Generalsekretär des Europarats in Straßburg hatte Bozdag am Mittwoch auf die Frage nach einer Freilassung von Yücel auf die Unabhängigkeit der türkischen Gerichte verwiesen. In Deutschland stößt das Vorgehen der türkischen Behörden auf scharfe Kritik.

Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Brand (CDU), sieht die Türkei auf dem Weg in eine Diktatur. "Ein Absegnen seines Präsidialsystems im Referendum wäre der nächste Schritt Richtung Diktatur", sagte Brand der "Welt". Bereits jetzt zweifelt Brand die Rechtsstaatlichkeit der Türkei an. Die Unabhängigkeit ihrer Justiz sei "ein Märchen". Viele Richter seien zu Erfüllungsgehilfen einer Verhaftungsmaschine geworden.

Maas: "Zeit der leisen Töne vorbei"

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ist dagegen, dass auch der türkische Präsident Erdogan in Deutschland für die von ihm gewünschte Verfassungsänderung werben darf. Unter Hinweis auf die Untersuchungshaft gegen Yücel sagte Maas: "Ich finde, bei dem was da geschieht, sind wir an einer Stelle, wo die Zeit der leisen Töne vorbei sein muss." An anderer Stelle hatte Maas auf ein Einhalten der Meinungsfreiheit gepocht: "Türkische Politiker, die in Deutschland auftreten, sollten wissen, welch hohes Gut für uns die Presse- und Meinungsfreiheit ist. Und: Wer bei uns die Meinungsfreiheit für sich reklamiert, sollte auch selbst Rechtsstaat und Pressefreiheit gewährleisten"

Als nächster Minister auf Wahlkampftour in Deutschland kündigte sich der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi an. Er will am Sonntag in einem Kölner Bezirksrathaus zu Anhängern Erdogans sprechen. Diesen Plan bestätigte das türkische Generalkonsulat in Essen der "Rheinischen Post". Bei dem geplanten Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April dürfen auch rund 1,4 Millionen Türken in Deutschland mitwählen.

myk/stu (dpa, afp)