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Deutschland, einig Sportnation?

Christoph Matiss2. Oktober 2015

Ist der deutsche Sport 25 Jahre nach der Wende tatsächlich geeint? Oder sind noch Spuren der Teilung zu finden? Und wie steht die Bundesrepublik eigentlich zu ihrer Dopingvergangenheit? Unsere Analyse gibt Antworten.

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Sportstars aus der DDR (Bildergalerie)
Bild: Getty Images/A. Hassenstein

Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vor einem Vierteljahrhundert mussten auch zwei Sportsysteme zusammengeführt werden. Die meisten der im Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR organisierten Sportarten schlossen sich 1990 dem damaligen Deutschen Sportbund (DSB) der Bundesrepublik an. Doch was auf dem Papier unkompliziert klingt, war und ist es in der Realität keineswegs.

Ob die Probleme und das Misstrauen der Nachwendezeit daran einen Anteil haben, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen, fest steht aber: In den Führungsgremien der größten deutschen Sportverbände spielen Repräsentanten aus der ehemaligen DDR heute praktisch keine Rolle mehr. Prof. Helmut Digel, der von 1993 bis 2001 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) war, sieht gar eine "Dominanz des westlichen Sportmodells".

Trennung sogar bei Funktionären

Eine wirkliche Vereinigung der Sportverbände wurde schon auf sprachlicher Ebene verhindert. "Die Begriffe 'alte und neue Länder' haben bis heute eine Spaltung zur Folge", meint Digel. Wenn man die fünf ostdeutschen Bundesländer den elf alten als konkurrierenden Block gegenüberstellt, werde das "der Sache kulturell, ökonomisch und politisch längst nicht mehr gerecht".

Helmut Digel und Christina Obergfoell
Helmut Digel (r.) gratuliert Speerwerferin Christina Obergfoell (l.) zu Gold bei der Leichtathletik-WM 2013Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Auf der Ebene der Funktionäre zeigte sich von 1990 an ein gegenseitiges Misstrauen. Das zeigte sich ganz praktisch durch die Sitzordnung der Repräsentanten: Bei den offiziellen Sitzungen und sogar im geselligen Rahmen saßen die Vertreter der östlichen Landesverbände in einem abgeschlossenen Block ihren neuen Kollegen aus der Bundesrepublik gegenüber. Diese Trennung hatte vor allem zwei Ursachen: die Doping-Vergangenheit im DDR-Sport und mögliche politische Verstrickungen der DDR-Funktionäre. Denn mit der Wiedervereinigung intensivierten sich auch die Untersuchungen zu möglichen früheren Stasi-Mitarbeiten. Das galt natürlich auch für die Sport-Repräsentanten und zog sich über Jahre hin.

"Wie eine Teflonplatte"

Auch wenn sich beim Thema Doping und dessen Aufarbeitung in den vergangenen Jahren viel getan hat, bleibt es ein brisantes Problem. Für Digel wurde der Kampf gegen die unlauteren Mittel in der Bundesrepublik trotz Aufklärungskampagnen und der Einführung der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) "nicht engagiert" geführt, im Osten hätte es diesen Kampf gar nicht gegeben.

Spätestens hier treten diejenigen Sportler auf den Plan, denen zum 25-jährigen Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung nicht zum Feiern zumute ist. Ines Geipel, frühere Top-Sprinterin und Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins (DOH), beklagt massiv den Umgang mit Doping-Opfern durch die Bundesrepublik. Der DOH habe die belasteten Strukturen im Osten immer wieder angemahnt, aber "der Sport funktioniert wie eine Teflon-Platte, an dem jede kritische Substanz abprallt", so Geipel. Schon zweimal bekamen die Doping-Opfer in der Vergangenheit Zahlungen durch Bund und Wirtschaft. Im Jahr 2002 erhielten 194 Anspruchsberechtigte je 10.500 Euro vom Staat. 2006 zahlten Bund und das Pharmaunternehmen Jenapharm 2,5 Millionen Euro.

Ines Geipel ehemalige DDR-Athletin
DDR-Sprinterin Geipel: "Wieder nur die halbe Lösung"Bild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Auf die neuerliche Einmalzahlung von zehn Millionen Euro, die das Innenministerium jetzt in Aussicht gestellt hat, reagiert Geipel mit gemischten Gefühlen. Die Einmalzahlung in dieser Höhe sei ohne Frage ein Schritt in die richtige Richtung, weil die Politik in der Anerkennung der Opfer noch nie so weit gegangen sei. "Trotzdem wäre es wieder nur die halbe Lösung", so Geipel. Die Opfer bräuchten Zusagen über den Tag hinaus. Vor etwa einem halben Jahr hatte der DOH deshalb die Einrichtung eines Akutfonds in Höhe von 32 Millionen Euro gefordert, die z.B. für einen spezialisierten Ärztestab, juristische Hilfen und eine professionellere Beratungsstelle nötig seien.

Sport kein Allheilmittel

Dr. Andreas Höfer, Direktor des Deutschen Sport- und Olympiamuseums in Köln, betont bei allen Diskussionen um noch bestehende Probleme zwischen Ost und West die Kraft des Sports: "Der Sport ist immer dann ein Vorreiter und Katalysator, wenn es darum geht, Menschen zusammenzubringen. […] Da hat der Sport in den letzten 25 Jahren sehr viel geleistet." Als Meilensteine auf dem Weg zu einer sportlichen Wiedervereinigung Deutschlands sieht er insbesondere die Olympischen Spiele 1992 in Albertville und Barcelona, bei denen erstmals nach der Wende eine gesamtdeutsche Olympia-Mannschaft aufgelaufen war. Die dort vorhandene "Aufbruchsstimmung" und die "vielen Medaillen" hätten so manchen Funktionär träumen lassen, auch wenn letztlich nicht alle Träume wahrgeworden sind. Das liege laut Höfer aber auch in der Natur der Sache. Eine wirkliche Wiedervereinigung sei politisch und gesellschaftlich einfach zu komplex: "Das kann der Sport nicht leisten."