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Deutschland gegen Angriffskriege

Christina Ruta24. Oktober 2012

Angriffskriege sollen zukünftig strafrechtlich verfolgt werden können. Dieser internationale Beschluss wurde vor zwei Jahren erarbeitet. Deutschland übernimmt nun eine Vorreiterrolle bei der Ratifikation.

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Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Er war von vornherein umstritten: der Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten in den Irak 2003. Ab 2017 könnten die Verantwortlichen ähnlicher Militärinterventionen vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag angeklagt werden: wegen des Tatbestandes der Aggression. Das beschlossen die damals 111 Vertragsstaaten des IStGH 2010 auf einer Überprüfungskonferenz zum Statut des Gerichtshofes in Kampala, Uganda. Nun hat die Bundesregierung den Ratifikationsprozess begonnen. Am Donnerstag (18.10.2012) brachte sie einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein. Bislang haben nur Liechtenstein und Samoa den Ratifikationsprozess abgeschlossen.

Aus der Vergangenheit gelernt

Christoph Safferling, Professor für internationales Straf- und Völkerrecht der Universität Marburg, bewertet die Vorreiterrolle der Bundesrepublik im Ratifikationsprozess sehr positiv. Die besondere Verantwortung Deutschlands ergibt sich für ihn aus der Geschichte. Das erste Mal, das Völkerstrafrecht tatsächlich gegen Individuen angewandt wurde, waren die "Nürnberger Prozesse". Ab 1945 wurden hochrangige Nazis wegen Kriegsverbrechen angeklagt und verurteilt. "Jahrzehnte nach den Nürnberger Prozessen stellen wir fest, dass wir gut damit gefahren sind, die Nazi-Verbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg zu verurteilen - oder von der internationalen Gemeinschaft verurteilen zu lassen", so der Völkerrechtler.

Porträt von Prof. Christoph Safferling Foto: Florian Hansen
Christoph Safferling ist Professor für Völkerrecht in MarburgBild: Florian Hansen

Noch in diesem Jahr soll der Bundestag über den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts abstimmen. Innerhalb der Opposition begrüßen vor allem die Grünen den Vorstoß. Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen, sagte in seiner Bundestagsrede: "Nun müssen Präsidenten oder Armeeführer damit rechnen, wegen völkerrechtswidriger Invasionen, Bombardements oder Blockaden anderer Länder persönlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies ist gerade für uns Deutsche ein wesentlicher Meilenstein in der völkerrechtlichen Entwicklung." Bis 2017 müssen mindestens 30 der momentan 121 IStGH-Vertragsstaaten den Beschluss ratifizieren, damit der Gerichtshof seinen Kampf gegen Angriffskriege beginnen kann.

Vorgehen können die Ermittler dann gegen politische und militärische Führer, die für militärische Angriffshandlungen gegen andere Staaten verantwortlich sind, falls diese Angriffe gegen das in der UN-Charta festgelegte Gewaltverbot verstoßen. Kriege, die der Selbstverteidigung dienen oder mit einem UN-Mandat geführt werden, fallen nicht unter den Tatbestand der Aggression. "Die Voraussetzung für den Tatbestand der Aggression ist immer, dass eine offensichtliche Verletzung der UN-Charta und des dort festgelegten Systems kollektiver Sicherheit zu beobachten ist", erläutert Völkerrechtsexperte Safferling. Darüber hinaus müssen die Verantwortlichen ermittelt werden können, die entsprechende Militärbefehle gegeben haben. Gegen einfache Soldaten, die Befehle entgegen nehmen, wird der IStGH nicht ermitteln dürfen.

Die Gambierin Fatou Bensouda, seit 2012 Chefanklägerin des IStGH (Foto: Reuters)
Die Gambierin Fatou Bensouda ist seit 2012 Chefanklägerin des IStGHBild: Reuters

Einschränkungen bei der Strafverfolgung

Rückwirkend kann ab 2017 niemand zur Rechenschaft gezogen werden. Grundsätzlich wären aber Militäraktionen wie der amerikanische Einmarsch in den Irak 2003 oder der sowjetische Einmarsch in Afghanistan in den 80er Jahren Szenarien, bei denen man den Tatbestand der Aggression gegebenenfalls annehmen könnte, meint Safferling. Es sei aber - etwa im Gegensatz zu dem deutschen Überfall auf Polen 1939 - in den meisten Fällen sehr schwierig festzustellen, ob ein Staat tatsächlich den Tatbestand erfüllt und offensichtlich gegen die UN-Charta verstößt, oder nicht doch etwa von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch macht: "Wir haben es nicht mit einem Schwarz-Weiß-Schema zu tun. Häufig haben wir bürgerkriegsähnliche Zustände oder komplexe Situationen", so Safferling. "Nehmen Sie zum Beispiel den Fall Irak, in dem eine große Nation behauptet, sie werde durch terroristische Zellen oder Massenvernichtungswaffen bedroht, und dann selbst zu Waffen greift und den Staat überfällt".

Auch bei sogenannten humanitären Interventionen zum Schutz der Bevölkerung eines Staates sei unklar, inwieweit gegen geltendes Völkerrecht verstoßen wird. "Das sind alles Grauzonen, bei denen die UN-Charta keine eindeutige Antwort gibt", so der Völkerrechtler. Dementsprechend werde sich ab 2017 wohl auch nicht viel ändern - insbesondere da es noch formale Hürden bei der Strafverfolgung gebe.

Kein Mangel an Schlupflöchern

Die UN-Vetomächte Großbritannien und Frankreich - mit Unterstützung der USA - haben in Kampala noch weitere Einschränkungen des IStGH durchgesetzt: Erst wenn der UN-Sicherheitsrat festgestellt hat, dass eine völkerrechtswidrige Aggression vorliegt, kann der Chefankläger des IStGH überhaupt ermitteln. Gelangt der Sicherheitsrat innerhalb von sechs Monaten nicht zu einer solchen Feststellung, kann der Chefankläger noch einen anderen Weg gehen: Auf Eigeninitiative oder auf Initiative eines Staates kann die Zustimmung der IStGH-Vorprüfkammer zur Eröffnung des Verfahrens beantragt werden.

Jedoch bleibt den IStGH-Vertragsstaaten die Möglichkeit, eine solche Rechtsprechung des IStGH nicht anzuerkennen. Damit können sie ihre Staatsbürger vor Strafen schützen. Einflussreiche Staaten, wie die UN-Vetomächte USA, China oder Russland, haben sich der Rechtsprechung durch den IStGH ohnehin nicht unterworfen. Diesem ist in seinem nun zehnjährigen Kampf gegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord überhaupt nur in einem Fall eine Verurteilung gelungen: im Verfahren gegen den kongolesischen Kriegsverbrecher Thomas Lubanga. Andere Tatverdächtige - bislang ausschließlich Afrikaner - mussten aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden.

Der Kongolese Thomas Lubanga (2. v. r.) bei seinem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: EPA)
Der Kongolese Thomas Lubanga (2. v. r.) bei seinem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den HaagBild: picture-alliance/dpa

Dennoch hat die Änderung des Statuts, wonach zukünftig Angriffskriege grundsätzlich verurteilt werden können, eine wichtige symbolische Bedeutung, wie Safferling erklärt: "Symbolisches Strafrecht ist nicht wertloses Strafrecht. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass man vom moralisch-ethischen Ansatz her sagt: Aggressionskriege sind strafwürdig und verbrecherisch."