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Spontane Solidarität

29. Oktober 2009

Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland ist auch heute teilweise noch schwierig. Auch wegen der großen Erwartungen, die viele Polen an den großen Nachbarn haben, die dieser aber nicht immer ganz erfüllt.

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Marienkirche und Tuchhallen in Krakau (Foto: dpa)
Marienkirche und Tuchhallen in KrakauBild: picture-alliance/ZB

Im Interview: Janusz Reiter ist ein polnischer Diplomat, Germanist und Publizist. Von 1990 bis 1995 war er polnischer Botschafter in Deutschland, bis 2007 in den USA.

DW-WORLD.DE: Wie war die Reaktion Polens, als die Mauer in Berlin gefallen ist?

Janusz Reiter, Botschafter Polens in Deutschland von 1990 bis 1995 (Foto: Bronska)
Janusz Reiter, ehemaliger Botschafter Polens in DeutschlandBild: DW

Janusz Reiter: Das war eine sehr spontane, sehr emotionale Solidarität mit der DDR, mit den Ostdeutschen. Polen war vielleicht das einzige Land in Europa, in dem die deutsche Frage ernsthaft diskutiert wurde. Und die Schlussfolgerung war, dass wir eigentlich keine Angst vor der deutschen Vereinigung haben sollten, denn die deutsche Vereinigung würde den Weg zu einer Vereinigung Europas öffnen. In der Bevölkerung gab es eine vorher nie gekannte Begeisterung und die Unterstützung für die DDR-Bürger, weil vielleicht zum ersten Mal in dieser Form die Freiheitsbestrebungen der Polen und der Deutschen nicht nur inhaltlich in einem Zusammenhang standen, sondern auch ähnliche Formen annahmen. Die Demonstrationen in den DDR-Städten erinnerten viele an ähnliche Demonstrationen, die in Polen stattgefunden hatten. Plötzlich schauten die Menschen auf die DDR und sagten: "Das sind Menschen wie wir."

Was für Auswirkungen hatte der Mauerfall auf Polen?

Die deutsche Teilung war der Kern der Nachkriegsordnung in Europa und in dem Augenblick, in dem die deutsche Teilung zu Ende ging, stellte sich die Frage nach der Zukunft Europas. In Polen stellte sich insbesondere die Frage nach der Zukunft des Verhältnisses zu Deutschland und das bedeutet auch nach der polnisch-deutschen Grenze und nach der künftigen Stellung Deutschlands in Europa und Polens in Europa.

Nun ist es 20 Jahre her, dass die Mauer gefallen ist. Wie sieht Polen das wiedervereinigte Deutschland heute?

Helmut Kohl begrüßt Marek Edelmann, den letzten Überlebenden des Warschauer Ghettos, aufgenommen im November 1989 (Foto: dpa)
Helmut Kohl besucht Polen im Jahr 1989Bild: picture-alliance/dpa

Die Ängste, die manche vielleicht vor 20 Jahren hatten: Deutschland würde vielleicht zu groß sein und würde seine neue Größe, seine neue Macht gegen andere ausspielen. Diese Angst gibt es in dieser Form nicht mehr. Deutschlands Größe ist heute kein Grund für die Nachbarn, Angst zu haben. Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland ist immer noch nicht ganz frei von Ambivalenz oder von Spannungen, aber aus anderen Gründen. Polen ist ein Land, das sich an Deutschland misst. Polen sucht immer noch seinen Platz in Europa und aus verschiedenen psychologischen und historischen Gründen spielt Deutschland auf dieser Suche eine besonders wichtige Rolle.

Wie bewerten Sie, wie bewertet Polen die Rolle Deutschlands innerhalb der Europäischen Union?

Karte Deutschland und Nachbarland Polen (DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Bild: DW

Deutschland ist ein Land, das aufgrund seiner geographischen Lage, seiner Geschichte und auch seines Potenzials eine besondere Verantwortung für Europa trägt. Wenn wir manchmal Deutschland etwas strenger beurteilen als viele andere europäische Völker, dann liegt das nur daran, dass wir von Deutschland mehr erwarten. Deutschland ist eben nicht nur eines unter vielen Ländern, sondern es ist ein Land in der Mitte Europas mit einer besonderen Verantwortung für Europa.


Das Interview führte Justyna Bronska.

Redaktion: Susanne Henn