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Deutschland hat Interesse an einer Anbindung der Türkei und des Westbalkans

23. März 2006

In einem Interview mit DW-RADIO/Bulgarisch bekräftigt Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, die europäische Perspektive der Balkanstaaten und der Türkei.

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Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD)Bild: picture-alliance/ ZB

DW-RADIO/Bulgarisch: Nach einer Sitzung des bayerischen Kabinetts am Dienstag (21.3.) in Brüssel hat Ministerpräsident Edmund Stoiber vor einem EU-Beitritt der Türkei gewarnt. Nach der bevorstehenden Aufnahme von Kroatien, Bulgarien und Rumänien "muss Schluss sein mit dem Beitrittsautomatismus", so die Worte von Herrn Stoiber. Ist das eine offizielle deutsche Position, oder handelt es sich bloß um eine Äußerung, die die persönliche Meinung Stoibers widerspiegelt?

Gernot Erler: Es handelt sich eindeutig um eine persönliche Meinung des bayerischen Ministerpräsidenten, denn diese Auffassung steht auch im Widerspruch zur Verabredung im Koalitionsvertrag. Da heißt es eindeutig, dass Deutschland ein Interesse an einer Anbindung des Landes, und damit meine ich die Türkei, an die Europäische Union hat. Und da steht drin, dass ausdrücklich bestätigt wird, dass die Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005 aufgenommen worden sind. Da steht auch drin, dass es keinen Automatismus für einen Beitritt gibt und dass es am Ende keine Garantie geben kann und es ein Prozess mit offenem Ende ist. Aber das ist ein klares Bekenntnis zu den Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei. Das ist die Meinung der Koalition.

Teilen Sie die Meinung, dass die Grenze der Aufnahmefähigkeit der EU erreicht ist?

Das ist jedenfalls nicht die Meinung der Koalition, und das steht nicht so im Koalitionsvertrag. Natürlich ist das ein ernsthaftes Thema, aber für uns ist die Erweiterungspolitik der EU auch Friedenspolitik. Wir stehen immer noch unter dem Schock der vier Balkankriege der 90-er Jahre. Und deswegen steht auch in dem Koalitionsvertrag eindeutig drin, dass es auch bleiben soll bei der europäischen Perspektive für die Staaten des Westbalkan, wie das auf dem Europäischen Rat im Thessaloniki 2003 beschlossen worden ist. Insofern ist die Aussage - Bulgarien, Rumänien, Kroatien und dann Schluss - mit der Auffassung der Bundesregierung und der Koalitionsparteien nicht vereinbar.

Kann man also behaupten, dass die große Koalition in Berlin NICHT gegen die EU-Erweiterung mit der Türkei ist?

Das kann man nicht nur behaupten, sondern auch beweisen, weil es im Koalitionsvertrag drin steht, ich habe es eben zitiert. Es gibt hier eine sehr klare Aussage im Koalitionsvertrag, und das war ein wichtiger Gegenstand, über den wir sehr lange beraten haben. Er ist am Ende dann auch an der Spitze der Koalitionäre, d.h. zwischen der Kanzlerin und dem Vizekanzler entschieden worden.

Zum Schluss die Frage: Kommt die Ratifizierung des Beitrittsvertrages von Bulgarien und Rumänien voran? Wann können wir die Einbringung des Gesetzentwurfs im Bundestag erwarten?

Der nächste Schritt ist eine Beratung darüber im Kabinett am 5. April und das ist praktisch die offizielle Einleitung des Ratifizierungsprozesses.

Also doch vor dem Fortschrittsbericht im Mai?

Die Einleitung des Prozesses ist vorher. Aber es ist völlig klar, auch das ist im Koalitionsvertrag abgesprochen, dass am Ende natürlich dieses abschließende Votum der Kommission sehr wichtig sein wird. Das Ratifizierungsverfahren wird auf jeden Fall erst nach diesem Termin abgeschlossen.

Das Interview führte Emiliyan Lilov
DW-RADIO/Bulgarisch, 22.3.2006, Fokus Ost-Südost