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Meister der Poetry-Slam

29. Oktober 2009

Drei Tage lang finden in Düsseldorf die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften statt, bei denen Bühnenliteraten um die Gunst des Publikums ringen. 250 Teilnehmer präsentieren 50 Stunden gedichtetes Wort.

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Poetry-Slam-Stadtmeister Nico Semsrott von Düsseldorf hält eine Trophäe in der Hand.
Am Start ist auch der Düsseldorfer Stadtmeister Nico Semsrott.Bild: zakk

Der Trend kommt aus den USA, genauer: aus Chicago. Als Gründervater Marc Kelly Smith Mitte der achtziger Jahre zum ersten Mal auf eine Lesung ging, schlief er angeblich vor Langeweile fast ein. Literatur, beschloss Smith damals, müsste einfach anders präsentiert werden. Nämlich: frecher, amüsanter und kommunikativer. Herausgekommen ist dabei Poetry Slam - ein amüsanter Dichterwettstreit auf der Bühne, bei dem nicht nur der Vortragende zu Wort kommt. Denn auch das Publikum mischt sich bei solchen Slams immer wieder lautstark ein. Applaudiert, lacht, kritisiert oder gähnt. Und treibt manchmal bei Missfallen einen Teilnehmer auch schon mal mit Buhrufen von der Bühne.

Direkter Draht zum Publikum

Sofas auf der Poetry-Slam-Bühne
Dichten gegen die ZeitBild: zakk

Der Kontakt zwischen dem Autor und seinen Zuhörern ist beim Poetry Slam sehr eng. Und das Urteil über einen Text erfolgt immer sofort. Das ist bei negativer Kritik für Anfänger zwar gewöhnungsbedürftig. Doch etablierte Stars der Slam-Szene wie der Kölner Florian Cieslik lieben gerade den direkten Kontakt zu ihrem Publikum. "Das ist eine basisdemokratische Geschichte mit anarchischen Tendenzen", schwärmt Cieslik. "Jeder kann mitmachen. Jeder kann vortragen, was er will. Und die Leute hören es sich an und reagieren spontan."

Jeder kann mitmachen

Slam Poet kann tatsächlich jeder werden. Alles, was man dazu braucht, ist nur ein selbst geschriebener Text und den Mut, ihn öffentlich vorzulesen. Hilfsmittel wie Musik, Filme oder Kostüme sind allerdings nicht erlaubt. Auch Singen darf man während seines Vortrags nicht. Und die Zeit auf der Bühne ist auch bei den Düsseldorfer Meisterschaften auf nur sechs Minuten beschränkt. Inhaltliche Vorschriften aber, gar eine literarische Qualitätszensur gibt es beim Poetry Slam so gut wie gar nicht. Und es ist wohl gerade diese Unkompliziertheit, mit der man hier zum Bühnendichter werden kann, die diese Live-Literatur auch in Deutschland immer beliebter macht.

Ein Publikumsrenner mit Quotengarantie

War Poetry Slam bis Ende der 90er Jahre hinein hauptsächlich ein Berliner Phänomen für wenige Freaks, ist die amüsante Turbo-Dichtung inzwischen zur boomenden Trendgattung mit Quotengarantie aufgestiegen, die längst sogar eine eigene Fernsehsendung hat. In mehr als siebzig deutschen Städten finden inzwischen regelmäßig Slams statt, wo vor allem junge Männer um die Wette dichten. Und traten bei den allerersten deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaften 1997 gerade einmal siebzehn Kandidaten gegeneinander an, sind es diesmal in Düsseldorf nicht weniger als 250 Teilnehmer aus vier verschiedenen Ländern. Denn auch in Österreich, der Schweiz und in Lichtenstein hat man die Lust am Slam entdeckt.

Fließende Grenze hin zu Comedy und Kabarett

Kugeln in einem Netz
Wie beim Lotto, alles ohne Gewähr: Die Auslosung der StartreihenfolgeBild: zakk

Der Siegeszug des Poetry Slams scheint also nicht mehr aufzuhalten zu sein. Wahrscheinlich auch deswegen nicht, weil diese Bühnendichtung sehr unterhaltsam ist und nicht immer klar vom Kabarett und Standup-Comedy zu unterscheiden. Denn, wer nur ein paar Minuten Zeit hat, sein Publikum zu begeistern, der setzt natürlich meistens lieber auf witzige Pointen als auf schwerer verständliche Experimente oder allzu verstörende Themen. "Man kann natürlich nicht sagen, dass alles, was beim Poetry Slam stattfindet, auch hochwertige Literatur ist", räumt Heike Billhardt von daher freimütig ein, Pressesprecherin der diesjährigen Düsseldorfer Slam-Meisterschaft 2009. "Es ist Bühnenliteratur, die Leute erreichen möchte. Und als solche sollte man sie nicht immer unbedingt auch als Buch abdrucken." Dennoch wurde die Lesebühne auch schon für manchen deutschen Schriftsteller zum Karriere-Sprungbrett. Bachmannpreisträger Michael Lenz oder Kultschreiber Jakob Hein etwa trugen ihre ersten Texte bei Berliner Poetry Slams vor. Andere Stars der Szene wie Volker Strübing oder Marc-Uwe Kling (die beide auch in Düsseldorf auftreten) sind hingegen heute auch als Kabarettisten erfolgreich.

Familiäre Spaßgefühle in der Slamely

Doch trotz fortschreitender Popularisierung und Professionalisierung des Poetry Slams: Anders als im übrigen Literaturbetrieb, wo oft verbissener Ehrgeiz und Schriftsteller-Neid herrschen, gibt man sich in der Lesebühnen-Gemeinde immer noch betont freundlich, hilfsbereit und feierlustig. Nicht umsonst nennt sich die Szene, die stark von jüngeren Männern dominiert wird, gern "Slamely": eine Wortneuschöpfung aus "Slam" und "Family". Denn wer als Slam Poet auf sich hält, der sieht sich weniger als Konkurrenz denn als Kumpel beim Dichter-Wettstreit. Und freut sich darum (zumindest nach außen hin) auch über die gelungene Performance des Nebenmanns. Beim Poetry Slam gehört es zum guten Ton, das olympische Credo eines "Dabei-Sein-Ist-Alles" zu beschwören, sogar bei den deutschsprachigen Meisterschaften. "Bei solchen Treffen wie hier in Düsseldorf", sagt jedenfalls Florian Cieslik, "geht es mehr um ein Zusammentreffen der Szene und vor allem darum, dass wir gemeinsam drei Tage lang eine Riesen-Fete feiern!" Es ist wohl nicht zuletzt dieser entspannte, augenzwinkernde Umgang mit der eigenen Kunst, der Slam Poetry so sympathisch wirken lässt.

Autorin: Gisa Funck

Redaktion: Sabine Oelze