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Deutschland sucht seine Rolle

1. September 2003

Mit ihrem Widerstand gegen den US-Kriegskurs im Irak hat die Bundesregierung ihre klassische Rolle als Juniorpartner der Amerikaner abgelegt. Die Deutschen tun sich aber schwer, ihre Interessen zu artikulieren.

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Vor dem Zerwürfnis: US-Präsident Bush und Bundeskanzler Schröder am 22. Mai 2002 in BerlinBild: AP

Was sich bei der deutschen Wiedervereinigung und dem Zerfall der Sowjetunion angedeutet hat, wird mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges immer deutlicher: Die Rolle der Bundesrepublik als Juniorpartner der mächtigen Amerikaner ist Schnee von gestern. Selbstbewusst bot Bundeskanzler Gerhard Schröder der US-Regierung in Sachen Irak die Stirn und handelte sich dafür heftige Kritik von allen Seiten ein.

Dass er mit seinem Anti-Kriegskurs auch noch die Bundestagswahl vor knapp einem Jahr gewann, verbitterte besonders die CDU/CSU-Opposition. Fast gebetsmühlenartig fordern die Christdemokraten seitdem die Rückkehr der rot-grünen Bundesregierung auf den Pfad der atlantischen Bündnistreue. Konkrete Vorstellungen von einer neuen weltpolitischen Rolle des wiedervereinigten Deutschland hat aber auch die Opposition im Reichstag nicht.

Rätselraten um deutsche Interessen

Eberhard Sandschneider, frisch gebackener Leiter des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, sieht im unklaren außenpolitischen Kurs Deutschlands eine Gefahr. Er meint, es sei schädlich, wenn Deutschland seine Interessen in der Welt nicht klar artikuliert: "Unsere Nachbarn erwarten von uns als mächtigem Nationalstaat mitten in Europa, dass wir unsere Interessen definieren, um sie dann mit ihren eigenen abgleichen zu können. Wir geben ihnen aber wenig, woran sie sich halten können."

Selbst einflussreiche US-Politiker wie der republikanische Senator Richard Lugar fordern von den Deutschen, dass sie erst einmal herausfinden sollen, was in ihrem nationalen Interesse liegt. Lugar ist davon überzeugt, dass die US-Regierung die Mitarbeit der Deutschen im Irak nicht um jeden Preis einfordern sollte. Die Bundesregierung sollte sich nicht nur deshalb im Irak engagieren, "um den Bündnispartner USA zufrieden zu stellen". Mögliche Hilfeleistungen Deutschlands im Zweistromland "müssen aus dem nationalen Interesse der Deutschen erwachsen", argumentiert der Vorsitzende des mächtigen Kongress-Ausschusses für Außenpolitik.

Außenpolitik made in Berlin

Auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfs im September 2002 hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Bundestag verkündete, über die "existentiellen Fragen der deutschen Nation" werde "in Berlin entschieden und nirgendwo anders". Was trotzig an die Adresse der Kritiker in Deutschland und den USA gerichtet war, hat den Kurs der deutschen Außenpolitik dauerhaft geändert, glaubt Gregor Schöllgen, Historiker an der Universität Erlangen-Nürnberg. Hinter die Festlegung Schröders, die deutsche Außenpolitik werde in Berlin gemacht und nicht etwa in Washington, "wird auch keine künftige Bundesregierung mehr zurückgehen können, ganz gleich, wer sie führt und auf welche Parteienkonstellation sie sich stützt", sagt Schöllgen.

Der Geschichtswissenschaftler plädiert schon lange für eine neue Definition der globalen Interessen der Berliner Republik. Schon 1993 hatte er in der deutschen Außenpolitik eine tief sitzende "Angst vor der Macht" diagnostiziert. Nachdem Schöllgen in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" das Ende der "transatlantischen Epoche" verkündet hatte, legte er jetzt publizistisch nach: Sein gerade erst erschienenes Buch "Der Auftritt" trägt den Untertitel "Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne". Prominenter Redner bei der Buchvorstellung Ende August in Berlin war Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Dass der Bundeskanzler zunehmend bereit ist, die außenpolitischen Interessen Deutschlands zu definieren, zeigte seine Reaktion auf den Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad am 19. August 2003, in der er den neuen Kurs in der deutschen Irak-Politik formulierte: Deutschland habe ein "eigenes nationales Interesse" an Frieden und Stabilität im Nahen Osten, "einer der Schlüsselfälle dafür" sei "die Wiederaufbauarbeit im Irak." (tko)