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Deutschland und die Todeslisten

Naomi Conrad, Berlin 30. Dezember 2014

Welche Rolle hat die Bundeswehr bei den gezielten Tötungen von Taliban-Kämpfern in Afghanistan gespielt? Aus geheimen Dokumenten geht hervor, dass sie Informationen für Tötungslisten zugeliefert hat.

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Bundeswehr Soldaten in Afghanistan (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan (2009)Bild: Reuters/F.Bensch

Die Handys der beiden Taliban-Sprecher, die, so hat es ein Kontakt in Pakistan gesagt, aktuell sein sollen, bleiben am Dienstagvormittag (30.12.2014) durchgängig abgeschaltet. Vielleicht haben die beiden Männer längst ihre Nummern gewechselt, vielleicht schalten sie sie nur an, wenn sie einen Anruf machen wollen - aus Sicherheitsgründen: Denn mit Hilfe von Handysignalen orten westliche Geheimdienste in Afghanistan und Pakistan ihre Ziele. Soll heißen: Die Menschen, die sich auf der "Capture or Kill"-Liste der westlichen Allianz befinden, die also entweder gezielt getötet ("targeted killing" in der internationalen Militärsprache) oder festgenommen werden sollen.

Eine Liste, die im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan eine zentrale Rolle gespielt hat, so schreibt es der "Spiegel": Demnach habe die Nato mit ihrer Liste, auf der zeitweise 750 Personen gestanden haben sollen, nicht allein auf den Führungskreis gezielt, sondern "auch die mittlere und untere Ebene in großem Stil ausgeschaltet." Die Autoren berichten von einer "gnadenlosen Jagd" auf Taliban-Kämpfer und ihre Sympathisanten. Aber auch Drogenhändler hätten auf der "Todesliste" gestanden, was bisher nicht bekannt war. Denn die Taliban könnten "nicht besiegt werden, ohne den Drogenhandel zu unterbinden", zitiert der "Spiegel" aus vertraulichen Unterlagen der Isaf-Truppen und der amerikanischen und britischen Geheimdienste aus den Jahren 2009 bis 2011, die aus dem Bestand des Whistleblowers Edward Snowden stammen sollen.

Deutschlands Rolle

Auch Deutschland soll bei den umstrittenen gezielten Tötungen eine größere Rolle gespielt haben, als bisher angenommen: Das schreibt die "Bild"-Zeitung am Dienstag (30.12.2014). Demnach soll der deutsche Generalmajor Markus Kneip, der 2011 Regionalkommandeur Nord der Isaf in Afghanistan war, persönlich "Personenziele" ausgewählt haben. Im deutschen Hauptquartier in Masar-e-Scharif, das soll aus geheimen Dokumenten der Bundeswehr hervorgehen, die der Zeitung nach eigenen Angaben vorliegen, soll es eine sogenannte "Target Support Cell" gegeben haben. Deren Aufgabe? Mit Hilfe des Bundesnachrichtendienstes (BND) "Informationen für die Nominierung möglicher Personenzielen zu sammeln", so der Autor. Diese seien dann Kneip zur Genehmigung vorgelegt worden. Unter anderem soll der BND Telefonnummern, die zur Ortung des Taliban-Führers Kari Jusuf eingesetzt werden konnten, übermittelt haben.

Bundeswehrsoldat gibt kleinem Kind eine Wasserflasche (Foto: Miguel Villagran/Getty Images)
Mehr als Blümchen pflücken? Bundeswehrsoldat in Afghanistan (2010)Bild: Getty Images/M. Villagran

Neu sind die Behauptungen, dass Deutschland eine aktive Rolle bei den gezielten Tötungen spielt, allerdings nicht: Berichte darüber gibt es seit mindestens dem Jahr 2010. Im Januar 2012 schrieben die Autoren der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik in ihrer Studie "Targeted Killings", dass Deutschland im Rahmen des militärischen Engagements in Afghanistan "unmittelbar" in Targeting-Prozesse eingebunden sei, bei denen es darum gehe, Personen zu identifizieren, die festgenommen oder gegebenenfalls gezielt getötet werden sollen. Es greife aber ein nationaler Vorbehalt, wonach von der deutschen Einsatzführung regelmäßig nur eine Empfehlung zum Festsetzen, nicht aber zum Töten ausgesprochen werde.

"Bundeswehr nicht zum Blümchen pflücken da"

Aber letztlich lasse sich nicht ausschließen, dass Personen, die von deutscher Seite vorgeschlagen wurden, trotzdem getötet worden seien. "Sei es, weil sie sich der Festnahme gewaltsam wiedersetzen, sei es, weil sie als feindliche Kämpfer und damit als legitime Ziele eingestuft werden", so die Autoren der Studie.

Anders formuliert: Bundeswehr und BND liefern die Namen von Menschen, die dann von anderen getötet werden? "Selbstverständlich", so Egon Ramms. Der General a.D. war vier Jahre lang Kommandeur des "Allied Joint Force Command" im niederländischen Brunssum und damit auch zuständig für den NATO-Einsatz in Afghanistan. Deutsche Soldaten seien schließlich nicht in Afghanistan gewesen, "um Blümchen zu pflücken", so der Ramms in einem Radiointerview. "Das ist ein normaler militärischer Einsatz."

Die Opposition fordert derweil eine rückhaltlose Aufklärung: "Die gezielte Tötung von Verdächtigen, ohne Gerichtsverfahren und Urteil, ist Mord", so der Linken-Politiker Jan van Aken. Sollte Deutschland tatsächlich Namen oder Telefonnummern an die NATO-Todeslisten gemeldet haben, müsste dies strafrechtlich verfolgt werden.

Über Zukunft der Taliban-Bekämpfung sollen in Zukunft die Afghanen selbst entscheiden: Die NATO-Mission endet offiziell am 31. Dezember mit dem Abzug der Isaf-Truppen, zurück bleibt eine kleinere Ausbildungsmission.