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Zum Tod von Bärbel Bohley

12. September 2010

Politiker und Weggefährten würdigen Bärbel Bohley als unbeugsame Kämpferin gegen Unterdrückung und Unrecht. Der Beitrag der am Samstag verstobenen DDR-Bürgerrechtlerin zur friedlichen Revolution 1989 bleibe unvergessen.

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Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung: Bärbel Bohley am 9.11.1989 (Foto: picture-alliance/dpa)
Bärbel Bohley 1989Bild: picture-alliance/ dpa

Bundespräsident Christian Wulff reagierte "mit tiefem Mitgefühl" auf den Tod der DDR-Bürgerrechtlerin. "Mit ihrem Sinn für Anstand und ihren unverrückbaren Standpunkten gegenüber Willkür und Unrecht habe sie "das Lebensgefühl vieler Menschen im Osten Deutschlands zum Ausdruck gebracht", heißt es in einem Kondolenzschreiben des Bundespräsidenten an den Sohn der Verstorbenen. Für viele im Westen sei Bohley die glaubwürdige Stimme jener gewesen, die sich durch staatliche Bevormundung nicht gängeln ließen.

"Wir Deutsche sind Bärbel Bohley zu Dank verpflichtet."

Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung: Bärbel Bohley (2009) (Foto: DW)
Die Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung 2009 in ihrer Berliner WohnungBild: DW

"Zutiefst betroffen" zeigte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Bürgerrechtlerin sei eine der "bedeutenden Stimmen der Freiheit" gewesen und unerschrocken ihren Weg gegangen. "Für viele, auch für mich, waren ihr Mut und ihre Gradlinigkeit beispielhaft", so Merkel. Sie behalte Bärbel Bohley als eine Persönlichkeit in Erinnerung, die die friedliche Revolution und den Weg zur deutschen Einheit ermöglicht hat. "Wir Deutsche sind Bärbel Bohley zu Dank verpflichtet." Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bezeichnete die Verstorbene als "unbeugsame Vorkämpferin für Freiheit und Gerechtigkeit". Die deutsche Wiedervereinigung sei durch Menschen wie Bärbel Bohley überhaupt erst möglich möglich geworden.

SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, Bärbel Bohley sei für viele Menschen in Ost und West die "Mutter Courage in der DDR" gewesen. Die Stadt Berlin verliert mit dem Tod der engagierten Malerin nach den Worten des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) eine starke Persönlichkeit, die nie den Weg bequemer Anpassung gegangen sei. Auch ihr Rolle als Mahnerin in den Jahren des Zusammenwachsens werde unvergessen bleiben.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Renate Künast und Jürgen Trittin, bezeichneten Bohley als "eine große Freiheitskämpferin, eine große Deutsche". Sie habe beharrlich für Freiheit gekämpft, als das noch mit wirklichen Gefahren verbunden war und wirklichen Mut erforderte. Auch später habe sie "nie ein Blatt vor den Mund" genommen.

Symbolfigur der Freiheitsbewegung

Die DDR-Bürgerrechtlerin und Künstlerin Bärbel Bohley war am Samstag (11.09.2010) im Alter von 65 Jahren in Gehren in Mecklenburg-Vorpommern im Kreis engster Angehöriger verstorben. Sie erlag einem Krebsleiden, wie die Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin weiter mitteilte. Bohley zählte zu den Gründungsmitgliedern dieser Gesellschaft, die nach dem DDR-Dissidenten Professor Robert Havemann benannt ist. Bohley, die unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, galt seit Mitte der achtziger Jahre als "Stimme der DDR-Opposition".

Preisverleihung "Quadriga" 2009: In der ersten Reihe (v.li.) der ehemalige tscheschiche Präsident Vaclav Havel, Bärbel Bohley, der Sänger Marius Müller-Westernhagen, EU-Kommissionspräsident Barros und der frühere sowjetische Partei-und Staatschef Michail Gorbatschow (Foto: DW)
Preisverleihung "Quadriga" 2009: links neben Bohley der ehemalige tscheschiche Präsident Vaclav Havel, rechts der Sänger Marius Müller-Westernhagen, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und der frühere sowjetische Partei-und Staatschef Michail GorbatschowBild: DW

Die am 24. Mai 1945 in Berlin geborene Bärbel Bohley hatte an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studiert und arbeitete seit 1974 als freischaffende Künstlerin. Die Malerin und Pazifistin geriet bald ins Visier der DDR-Saatssicherheit. 1982 gehörte sie zu den Initiatorinnen des unabhängigen Netzwerkes "Frauen für den Frieden". Sie wurde mehrfach inhaftiert, zum ersten Mal 1983/84, als sie in sechswöchige Untersuchungshaft kam. Das DDR-Regime warf ihr "landesverräterische Nachrichtenübermittlung" vor, unter anderem wegen der Kontakte zur Friedensbewegung in Ost- und Westeuropa. 1986 gehörte Bohley zu den Gründungsmitgliedern "Initiative Frieden und Menschenrechte". Am 9. September 1989 initiierte sie gemeinsam mit anderen Regimekritikern den Gründungsaufruf für die Bürgerbewegung "Neues Forum", dem sich innerhalb weniger Tage 250.000 Menschen anschlossen. Für das "Neue Forum" saß Bohley im Wendeherbst 1989 am "Runden Tisch".

Bärbel Bohleys Arbeitszimmer in Berlin (Foto: DW)
Bärbel Bohleys Arbeitszimmer in BerlinBild: DW

Enttäuscht zeigte sich Bärbel Bohley darüber, dass die DDR-Bürgerrechtsbewegung nach dem Mauerfall am 9. November 1989 an Bedeutung verlor. Im September 1990 besetzte Bohley zusammen mit anderen Aktivisten das Stasi-Akten-Archiv in der Berliner Normannenstraße. Diese Aktion habe schließlich zur gesetzlich geregelten Einsicht in die Stasi-Unterlagen geführt, betonte Tom Sello von der Havemann-Gesellschaft. In den 1990er Jahren organisierte die Künstlerin in ihrer Berliner Wohnung "Montagsrunden", um zu verhindern, dass alte DDR-Seilschaften wieder mächtig wurden.

Engagement für Hilfsbedürftige im früheren Jugoslawien

Ab 1996 lebte und arbeitete Bohley vorwiegend im ehemaligen Jugoslawien. Sie leitete in Bosnien ein Wiederaufbauprogramm und ermöglichte Waisen und Kindern aus Flüchtlingsfamilien des ehemaligen Jugoslawiens gemeinsame Sommerferien in Kroatien. Bis zum Ausbruch ihrer Krebserkrankung lebte sie in der Nähe von Split in Kroatien. Im Frühjahr 2008 kehrte sie zur Behandlung nach Berlin zurück. Sie zog sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Ihr politischer Nachlass wird im Archiv der DDR-Opposition der Havemann-Gesellschaft aufbewahrt.

Autoren: Hartmut Lüning, Pia Gram (dpa, epd, dapd)
Redaktion: Christian Walz