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Deutschlands erste Frau im Kanzleramt

Bernd Gräßler22. November 2005

Mit der heutigen Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin steht erstmals eine Frau an der Spitze der deutschen Politik. Hinter ihr liegt ein schwieriger Weg.

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Angela Merkel überwand zahlreiche WiderständeBild: AP

Angela Merkel und Gerhard Schröder
Gerhard Schröder geht, Angela Merkel kommtBild: AP

Sie glaube doch nicht im Ernst, dass diese Sozialdemokratische Partei in eine Regierung unter ihrer Führung eintreten werde, schleuderte Gerhard Schröder seiner Nachfolgerin noch am Wahlabend entgegen. Eine bewusste Provokation an der Grenze zur Beleidigung. Denn Angela Merkel hatte, wenn auch mit einem schlechten Ergebnis, die Wahl gewonnen. Einen kurzen Moment schien die Wahlsiegerin irritiert, doch dann - mit der Rückendeckung der Union - meldete sie ihren Machtanspruch unbeirrt an. "Dieses Land wird durch demokratische Spielregeln zusammengehalten. Das war so und das muss so sein", sagte Merkel. "Und das sind wir auch unseren Gründervätern und Gründermüttern schuldig, meine Damen und Herren."

Die Gründer der Bundesrepublik kennt die 51-jährige Physikerin allerdings nur aus Geschichtsbüchern und vom Hörensagen. Denn als jene agierten, wuchs Angela Merkel als Pfarrerstochter im kleinen Ort Templin in der DDR auf. Doch mit großer Selbstverständlichkeit stellt sie sich in die Tradition eines Konrad Adenauer oder Helmut Kohl, sie "fremdelt" auch nicht mit der Geschichte der CDU, der sie erst seit 1990 angehört. Angela Merkel sieht sich selbst längst als gesamtdeutsche Politikerin.

Was ist ostdeutsch an ihr?

Angela Merkel bei George Bush
Merkel im Februar 2005 mit US-Präsident George W. BushBild: AP

Das speziell Ostdeutsche müssen Journalisten aus ihr herausfragen, etwa wenn immer wieder nach Gemeinsamkeiten mit Matthias Platzeck, dem gleichaltrigen neuen SPD-Vorsitzenden gesucht wird. Sie glaube, dass es eine einigende Erfahrung mit Matthias Platzeck gebe, erklärte Merkel einmal. Das sei die Erfahrung, dass Veränderung etwas Gutes bewirken kann. "Das haben wir 1989 erlebt und das werden wir in die Politik einbringen", erklärte Merkel. Ansonsten seien sie und Platzeck natürlich zwei unterschiedliche Menschen.

Matthias Platzeck sieht das ähnlich: "Jemand, der in der DDR gelebt hat, dann das Ende und den ganzen Umbruch miterlebt hat und dann von einem Tag zum anderen gespürt hat, dass nichts mehr so ist, wie es vorher war - da schärft sich der Blick für Risiken aber auch für Chancen gesellschaftlicher Entwicklung."

Einzigartige Karriere

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Merkel besucht als Umweltministerin 1995 die Gorlebener AtomanlagenBild: dpa

Entschlossen packte Angela Merkel die Chance beim Schopf, die ihr das Ende der DDR bot. Die promovierte Physikerin stieg nach der Wende in die Politik ein, wurde stellvertretende Regierungssprecherin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere. Dabei fiel sie durch präzise Arbeit und schnelle Auffassungsgabe auf. Als "Quotenfrau aus dem Osten" gelangte sie als Ministerin ins Kabinett Helmut Kohls, galt als sein "Mädchen", wurde nach seinem Rückzug vom CDU-Vorsitz 1998 überraschend Generalsekretärin der CDU unter Wolfgang Schäuble.

In der Spendenaffäre der CDU wagte sie sich als erste aus der Deckung, drängte auf Aufklärung und forderte ihre Partei in einem Zeitungsbeitrag auf, sich von Kohl zu lösen. Das gilt als ihr entscheidender Coup, der die Weichen stellte für eine einzigartige Karriere bis ins Kanzleramt. Angela Merkel besitze einen ausgeprägten Machtinstinkt und taktisches Geschick, heißt es, sie sei vorsichtig und eher misstrauisch, der Kreis der Menschen, denen sie vertraue, sei sehr klein. Auch ihr Privatleben schirmt die kinderlose Politikerin ab, ihr Ehemann, der Chemieprofessor Joachim Sauer, gibt keine Interviews.

Deutschland dienen wollen

Vertrauensfrage Bundestag Angela Merkel
Angela Merkel im BundestagBild: AP

Seit ihr niemand mehr den Anspruch streitig macht, Kanzlerin zu sein, wirkt sie befreit, lächelt mitunter glücklich. Was sie im Innersten antreibt, kann nur vermutet werden. Ehrgeiz, Wille zur Macht behaupten ihre Gegner und Rivalen. Sie selbst sagt, es gehe ihr nicht um Karrieren: "Es geht um etwas anderes: Wir wollen Deutschland dienen. Ich will Deutschland dienen. Deutschland kann es schaffen, und gemeinsam werden wir es schaffen."

Die oft gestellte Frage, wofür sie inhaltlich stehe, beantwortet Angela Merkel selbst gern in der Wir-Form und sie verweist dann auf das Wahlprogramm der CDU: "Erstens: Wechsel zu Klarheit und Verlässlichkeit. Zweitens: ein Wechsel zu Arbeit und Wachstum in diesem Land. Drittens: Wechsel zu einer Zukunft von Familien und Kindern und viertens Wechsel zu Zuversicht und Chancen, das heißt für eine bessere Politik."

Angela Merkel stehe für eine andere Republik, dynamischer und schneller, aber auch kälter und härter, schreibt der "Spiegel". Den Sozialstaat empfinde sie als Korsett. Für radikale Reformen allerdings, wie sie im Wahlprogramm standen, braucht sie in der großen Koalition die Zustimmung der Sozialdemokraten. In einer Umfrage vermuten trotzdem 61 Prozent der Bürger, Frau Merkel werde eine starke und durchsetzungsfähige Kanzlerin sein.