1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschlands Exporte: Gefahr für Europa?

16. Januar 2012

Deutschland exportiert deutlich mehr, als es importiert. Das sorgt für Streit. Doch sind die Exportüberschüsse tatsächlich verantwortlich für die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa?

https://p.dw.com/p/13kRw
Container stehen an einem Verladeterminal des Hamburger Hafens (Foto: dapd)
Bild: dapd

Deutschland geht es gut, auch in der Krise. Allen Unkenrufen zum Trotz brummt die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Tiefstand. 2011 überschritt der Wert der ins Ausland verkauften deutschen Waren erstmals den magischen Wert von einer Billion Euro. Zwar kauften die Deutschen im Gegenzug auch kräftig ein, doch unterm Strich ergab sich ein Außenhandelsüberschuss von 156 Milliarden Euro. Allein 20 von 27 EU-Staaten haben ein Defizit im Handel mit Deutschland.

Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sieht darin aber kein Problem. Die Bedeutung der europäischen Nachbarstaaten für den Export Deutschlands nehme eher ab, während die Bundesrepublik bei den Importen eine immer größere Rolle spiele. "Die Kritik, die aus unseren Nachbarländern am deutschen Exportmodell immer wieder geäußert wurde, geht an der Realität vorbei. Tatsache ist nämlich, dass Deutschland Import-Europameister ist und damit die Konjunkturlokomotive des europäischen Raums", so Keitel.

Dynamik auf Kosten der anderen?

Gustav Horn sieht im Exportüberschuss einen Grund für die Krise (Foto: dpa)
Exportüberschuss als Vorbote der Krise: Gustav HornBild: picture-alliance/dpa

Exportüberschüsse sind für Deutschland nichts Neues. Schon immer wurde mehr ins Ausland verkauft als von dort eingeführt. Doch seit etwa zehn Jahren klafft die Schere zwischen Ausfuhren und Einfuhren deutlich auseinander. Im Jahr 2007 erreichte der Überschuss mit 195 Milliarden Euro seinen bislang höchsten Wert.

Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, deutet diese Entwicklung als Vorboten der Krise im Euro-Raum. Die Schuldenkrise sei in ihrem Ursprung eine Leistungsbilanzkrise. In der Leistungsbilanz werden die Ein- und Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen gegenübergestellt.

Über Jahrzehnte hätten sich immer mehr Länder im Ausland verschuldet, sowohl privat als auch staatlich, so Horn. Gleichzeitig hätten andere Länder, allen voran Deutschland, Überschüsse erzielt. "In der Debatte wird dabei die Meinung vertreten, das sei eine gute Sache und ein Ausdruck von hoher Leistungsfähigkeit. Wir sagen ganz klar: Das ist nicht nur ein Ausdruck hoher Leistungsfähigkeit, es ist auch Vorbote einer Krise", so Horn.

Deutschland glaube zwar, dass seine Volkswirtschaft reicher sei, das stimme aber nicht. Die Überschüsse basierten schließlich auf den Schulden der weniger wettbewerbsfähigen Abnehmerländer. "Was nützt mir mein Reichtum im Ausland, wenn er von den Schuldnern nicht mehr bedient werden kann? Davon habe ich nichts", so Horn. Außerdem verschlechtern die Defizite der Importeure deren Bonität am Anleihemarkt und erhöhen auf Dauer damit die Gefahr eines Bankrottes.

Horns Lösungsansatz klingt sehr einfach: Die Deutschen müssten mehr verdienen, die Löhne also kräftig erhöht werden. Dann steige der Konsum, die Binnenwirtschaft könne Gas geben, und das würde sich auch in den Importen aus dem Ausland spiegeln. "Die Exportwirtschaft soll das tun, was sie tut: exportieren. Sie soll nicht sagen, jetzt sind wir aus europäischen Gründen mal ein bisschen vorsichtig. Definitiv nein, das ist ein europäischer Wettbewerb und der soll in vollem Umfang erblühen", betont Horn.

Die Erträge aus diesen Exporterfolgen müssten jedoch den Menschen in Deutschland zugute kommen, etwa in Form höherer Lohnabschlüsse. "Damit sie diese Erträge ausgeben, für inländische wie für ausländische Waren. Und dadurch soll ein Gleichgewicht hergestellt werden", erklärt der Ökonom.

Die Wirtschaft lehnt Lohnerhöhungen ab

Michael Hüther ist gegen Lohnerhöhungen (Foto: Karlheinz Schindler)
Lohnerhöhungen als Münchhausen-Theorem: Michael HütherBild: picture alliance/ZB

Eine Argumentation, die nicht von allen geteilt wird. Michael Hüther, Präsident des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), bringt sie geradezu in Rage. So sehr, dass er die literarische Gestalt des Lügenbarons von Münchhausen bemüht: "Wenn es dieses Münchhausen-Theorem, man könne sich über Lohnerhöhungen allein aus dem Sumpf ziehen, wirklich gäbe, dann wäre das ein attraktives Theorem. Aber es bleibt leider ein Münchhausen-Theorem."

Die Lohnstückkosten in Deutschland seien im internationalen Vergleich bereits sehr hoch, Deutschland habe in der Vergangenheit keineswegs zu stark auf die Lohnbremse getreten. In einem internationalen Vergleich an 28 Standorten würden nur Großbritannien, Frankreich, Italien und Dänemark noch höhere Lohnstückkosten als Deutschland aufweisen, so Hüther.

Die Exportstärke der deutschen Industrie erklärt der IW-Direktor vor allem durch die Qualität der Produkte und die Kundenorientierung der Unternehmen. Trotzdem sei der Preis ein großes Thema, höhere Löhne würden deshalb schaden. Ein in der Krise stabiles Deutschland sei für den Euro-Raum sicherlich besser als ein kranker Mann Europas, der seine Nachbarn mit in den Abgrund ziehe. "Was wir am besten tun können, ist, unsere Volkswirtschaft dynamisch zu halten und damit auch eine Importnachfrage in die Eurozone zu senden." Auch über die Vorleistungen, also jene Produkte, die deutsche Firmen importieren müssen, um ihre Waren herstellen zu können, würden die europäischen Länder profitieren, so der IW-Direktor.

Dass das allein nicht ausreichen wird, weiß auch Hüther. Aus Ländern wie Griechenland, Portugal und Spanien seien trotz aller Reformbemühungen kurzfristig keine Industrieländer zu machen, dafür gebe es dort viel zu viele strukturelle Probleme. Europa werde noch lange mit Ungleichgewichten leben müssen. Die könnten aber nicht dadurch ausgeglichen werden, dass erfolgreiche Länder ihre Erfolge einschränken, sondern nur über Transfermechanismen, also beispielsweise über die europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds.

Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Andreas Becker