1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschlands Muslime und die Flüchtlinge

Canan Topçu18. Februar 2016

Wie denken muslimische Zuwanderer, die schon länger in Deutschland leben, über die Neuankömmlinge? Canan Topçu hat sich unter afghanischen, türkischen, arabischen und bosnischen Migranten umgehört.

https://p.dw.com/p/1HxDW
Muslimische freiwillige Helfer für Flüchtlinge (Foto: APA)
Bild: picture-alliance/dpa/H. Neubauer

Wenn Fatah Qayumie über die neuen Flüchtlinge spricht, dann greift er auf eigene Erfahrungen zurück: Zu seiner Integration habe beigetragen, dass das Asylverfahren "schnell durch" war. Bald darauf konnte er Deutschkurse besuchen und arbeiten. "Arbeit ist ganz, ganz wichtig", sagt Qayumie. Er hält nichts davon, dass der Staat, wie er meint, "die Leute aushält", das mache sie bequem.

Knapp 30 Jahre ist es her, dass Qayumie aus Afghanistan flüchtete. Auf den Weg machte er sich mit Frau und Kind, einem sechs Monate alten Mädchen. In Deutschland erhielt die Familie bereits nach einem halben Jahr Asyl und Qayumie begann zu arbeiten - anfangs als Reinigungskraft, dann als Taxifahrer und später als Briefsortierer bei der Post, bis er sich schließlich selbstständig machte.

"Zu viele auf einmal"

Inzwischen ist Qayumie 51 Jahre alt, hat fünf Kinder und ein Eigenheim in einem Neubaugebiet bei Gießen. Er ist in der "Facility Management"-Branche tätig und beschäftigt in seiner Firma 70 Personen, hat also weit mehr erreicht, als Politiker und Arbeitsmarktforscher sich von Zuwanderern erhoffen. Warum sollten die Neuankömmlinge das nicht auch schaffen?

Ein Problem sieht Qayumie darin, "dass zu viele auf einmal gekommen sind". Dafür sei auch die Bundeskanzlerin verantwortlich. Das Ergebnis von Angela Merkels Aussage "Wir schaffen das!" sei, dass nun auch all die kommen, "die ihr Land nicht wirklich wegen des Krieges verlassen". Zu ihnen zählt er "Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Balkan" und auch "Leute aus Pakistan und Afghanistan".

Qayumie ist einer der wenigen Muslime, die Merkel wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage kritisieren. Die meisten lassen nichts auf "unsere Kanzlerin" kommen und loben sie. Vom "Wir" ihres Ausspruchs fühlen sich etliche Muslime angesprochen.

Porträt von Angela Merkel (Foto: Getty Images)
Nur wenige Muslime kritisieren Merkels FlüchtlingspolitikBild: Getty Images/S.Gallup

Auf den Punkt bringt es eine junge Frau, Tochter türkischer Arbeitsmigranten aus Frankfurt: "Ich denke, dass ich meinen eigenen Beitrag in meinem 'Mikrokosmos' leisten kann und muss, um irgendwann in vielen Jahren sagen zu können, ich war Teil dieser gesellschaftlichen Herausforderung, habe mitgewirkt und auch etwas getan."

Dieses "Wir" der Kanzlerin scheint also zum Helfen zu motivieren: In ganz Deutschland sind viele muslimische Gemeinden in der Flüchtlingshilfe aktiv. Das Engagement der Moscheegemeinden stützt sich ganz auf ehrenamtliche Aktivitäten ohne institutionelle Förderung. Darauf haben Islamverbände in den vergangenen Monaten immer wieder hingewiesen - und damit auch auf jene Kritik reagiert, sie seien zu wenig in der Flüchtlingshilfe aktiv.

Den Moscheegemeinden fehlt es an professionellem Personal und finanziellen Ressourcen. Denn anders als christliche Organisationen und Wohlfahrtsverbände erhalten sie keine staatlichen Zuschüsse.

Angst vor wachsender Islamfeindlichkeit

Industriemeister Ahmed Araychi ist Vorstandsmitglied eines Moscheevereins, der sich vor allem aus Muslimen marokkanischer Herkunft zusammensetzt. Ihm ist es wichtig, auf das Engagement seiner Gemeinde in der Flüchtlingshilfe hinzuweisen: "Wenn es Deutschland schlecht geht, dann sind wir Muslime auch davon betroffen, also haben wir die Pflicht, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass unser Land die Probleme meistert", sagt der Mittvierziger.

Araychi ist aber auch der Ansicht, dass in Deutschland auf hohem Niveau gejammert werde. "Wir alle müssen bereit sein, ein bisschen zu verzichten, um Menschen in Not zu helfen." Das Land sei wirtschaftlich stark, es gebe hier genug Arbeit und Wohlstand. Angst vor wirtschaftlichen Problemen und einer unsicheren ökonomischen Zukunft äußern nur wenige Muslime.

Allerdings gibt es bei einem Teil Angst vor noch größerer Islamfeindlichkeit. Manche Muslima, die ein Kopftuch trägt, hat den Eindruck, dass das Umfeld in den vergangenen Monaten skeptischer und feindlicher geworden ist. Viele befürchten einen Imageverlust durch die Neuankömmlinge, von denen Schätzungen zufolge etwa 80 Prozent Muslime sind.

Es gibt keine messbaren Erkenntnisse darüber, wie religiös diese Menschen wirklich sind. Experten mutmaßen, dass ein Teil derer, die aufgrund des islamistischen Terrors aus ihrer Heimat geflohen sind, ein eher gespaltenes Verhältnis zum Islam haben und nicht ausgeprägt religiös sind.

"Wir haben uns in all den Jahren so sehr um Anerkennung bemüht", erklärt Ayşe Eroğul. Jetzt befürchtet die 28-jährige Studentin "einen Rückfall in Hinblick auf die gesellschaftliche und politische Integration von Muslimen, weil sich die Neuen mit den Gepflogenheiten in diesem Land nicht auskennen und sich schlecht benehmen".

Empathie mit den Geflüchteten

Solche Überlegungen sind Selma Öztürk-Pınar fern. Sie wurde als Tochter türkischer Gastarbeiter in Hannover geboren und ist 37 Jahre alt. "Probleme bei der Anerkennung hatten wir auch schon vorher", sagt Öztürk-Pınar. Es sei absurd, wenn sich wegen der Neuankömmlinge unter den "alteingesessenen" Migranten und Muslimen die Angst vor wachsenden Ausgrenzungen breit mache, sagt die Juristin, die sich mit ihrem Kopftuch als Muslima zu erkennen gibt.

Öztürk-Pınar plädiert für Empathie mit den Geflüchteten. Sie seien traumatisierte Menschen, litten unter dem Verlust der Heimat und benötigten Unterstützung nach der Ankunft in Deutschland. Anders als die Generation ihrer Eltern seien die Neuankömmlinge aber durchaus im Vorteil.

Moscheegemeinden engagieren sich für Flüchtlinge (Foto: dpa)
Moscheegemeinden engagieren sich für FlüchtlingeBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Ihre Integration in die Gesellschaft könne schneller und besser gelingen, denn "es gibt hier schon eine Infrastruktur". Dazu gehörten auch die Moscheegemeinden und die vielen Selbsthilfeorganisationen von Migranten, die sich um die Belange von Muslimen kümmerten, sagt Öztürk-Pınar.

Andere vertrauen auf die deutsche Politik und die institutionellen Hilfsnetzwerke. Mersudin Cehadarevic meint, dass Flüchtlinge "hier gut versorgt und gut aufgehoben" sind. Der 42-Jährige kam 1989 im Zuge einer Familienzusammenführung aus Bosnien nach Deutschland. Inzwischen hat er selbst eine Familie, ist Autohändler und engagiert sich ehrenamtlich als Vorsitzender eines Moscheevereins in Frankfurt.

Anfangs sei auch in seiner Gemeinde viel über die Flüchtlinge gesprochen worden, berichtet Cehadarevic. "Wir haben sogar Geld gespendet." Inzwischen seien Flüchtlinge nicht mehr "das" Thema in der Moschee.

Auch wenn er sich nicht aktiv an der Flüchtlingshilfe beteiligt, beschäftigt ihn das Thema sehr. Kummer bereiten ihm vor allem all die, die in den Kriegsgebieten den Bombardements ausgesetzt sind und um ihr Leben bangen müssen. Er sei zwar Muslim, überblicke aber trotzdem nicht die Kriege in den Gebieten und Ländern, in denen Muslime lebten, sagt Cehadarevic.

Warum sich "Sunniten und Schiiten, Türken und Kurden die Köpfe einhauen", warum "Idioten mit ausgetrocknetem Gehirn" von sich behaupteten, Muslime zu sein und Menschen ermorden, bleibt ihm ein Rätsel. Der vierfache Vater fühlt sich überfordert von den Geschehnissen auf der Welt und beruhigt sich mit Gebeten. Eines davon lautet so: "Lieber Gott, hilf den Menschen, zu Verstand zu kommen und in Frieden miteinander zu leben."