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Debatte über deutsche Atompolitik

13. März 2011

SPD und Grüne wollen kürzere AKW-Laufzeiten, Umweltminister Röttgen spricht von einer Zäsur, die Kanzlerin bekennt sich zur Atomenergie und verspricht "Sicherheitschecks". Das Unglück in Japan verunsichert auch Berlin.

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Greenpeace-Aktivisten demonstrierenvor dem Atomkraftwerk Neckarwestheim (Foto: dapd)
Atomkraftgegner am Wochenende in Baden-WürttembergBild: dapd

Obwohl deutsche Politiker wie Außenminister Guido Westerwelle betonen, Hilfe und Mitgefühl für die japanische Unglücksregion müssten derzeit im Mittelpunkt stehen, haben andere doch schon den erwarteten Streit über die Atompolitik begonnen. Die Debatte wird auch von den Landtagswahlen am 27. März in Baden-Württemberg beflügelt, wo vier Atomkraftwerke in Betrieb sind. Im badischen Philippsburg steht unter anderem ein 32 Jahre alter Siedewasserreaktor, der gleiche Typ wie der Unglücksreaktor in Fukushima.

Sigmar Gabriel (Foto: AP)
Ex-Umweltminister Gabriel fordert: "Abschalten"Bild: AP

Nachdem Kanzlerin Angela Merkel am Samstag lediglich Sicherheitsüberprüfungen der Atommeiler angekündigt hatte, forderte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Sonntag (13.03.2011) die Abschaltung von alten Kernkraftwerken, die nicht mehr nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik nachrüstbar seien. Der einstige Bundesumweltminister sagte, die Annahme, weil es in Deutschland keine Tsunamis und keine so starken Erdbeben wie in Japan gebe, könne man veraltete Reaktoren am Netz lassen, sei falsch. Letztlich gehe es immer um die Frage, was in Kernkraftwerken bei einem Ausfall des Stroms und damit der Notkühlung passiere. Stromausfälle könnten aber auch durch Störungen der Notstromaggregate ausgelöst werden, wie es sie 2006 im schwedischen Forsmark gegeben habe, sagte Gabriel. Die älteren Reaktoren seien auch nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert.

Weltweit kein Schutz gegen Kernschmelze

17 Atomreaktoren sind derzeit in Deutschland am Netz, die allesamt in den 70er und 80er Jahren gebaut wurden. Die deutschen Anlagen sind nach offiziellen Angaben erdbebensicher, aber für wesentlich schwächere Beben als die japanischen ausgelegt. Das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich in Rheinland-Pfalz wurde 1988 sogar wegen Erdbebengefahr stillgelegt.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sagte, seit langem sei bekannt, dass kein Kernkraftwerk in der ganzen Welt für den Fall einer Kernschmelze ausgelegt sei. Die sei ein zentraler Punkt gewesen, warum die rot-grüne Bundesregierung unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder 2001 mit den Atomkonzernen den Atomausstieg in Deutschland ausgehandelt und ein Neubauverbot verhängt habe.

SPD, Grüne und Linke forderten, die von der jetzigen Bundesregierung vor wenigen Monaten beschlossene Laufkraftverlängerung der deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre wieder rückgängig zu machen. Von der SPD geführte Bundesländer haben kürzlich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die längere Betriebsdauer der AKWs geklagt.

Umweltminister Röttgen sieht eine "Zäsur"

Kanzlerin Merkel will derzeit die auch von vielen Journalisten gestellte Frage, ob an der Laufzeitverlängerung für die AKWs zu rütteln sei, nicht beantworten. Man werde zunächst sehen, welche Schlussfolgerungen aus den Ereignissen in Japan zu ziehen seien, sagte sie lediglich.

Atommeiler Biblis (Foto: dpa)
Dunkle Wolken über Deutschlands ältestem Atommeiler in BiblisBild: picture-alliance/dpa

Der Schock über eine Atomkatastrophe, die sich ausgerechnet im Hochtechnologieland Japan mit seinen angeblich sicheren Kraftwerken ereignete, ist allerdings auch Regierungspolitikern anzumerken. Er habe das Gefühl, das "etwas Fundamentales" eingetreten sei, was er noch gar nicht richtig erfassen könne, sagte CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen: "Das ist schon eine Zäsur, weil ja jetzt doch das eingetreten ist, von dem man immer gesagt hat, das kann nicht passieren, wir haben alle Sicherungen dagegen. Das ist etwas sehr Veränderndes."

Dagegen bekennt sich die gelernte Physikerin Angela Merkel weiterhin zur "friedlichen Nutzung der Kernenergie". Sie halte diese auch heute für "verantwortbar" und "vertretbar", wobei aber der Schutz und die Sicherheit der Menschen "oberstes Gebot" seien. Immerhin betont sie, man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Bisher wird in Berlin nicht deutlich, was dies bedeuten könnte.

Technische Nachrüstung gilt als unbezahlbar

Beteuerungen von Regierungspolitikern, die Kraftwerke seien sicher, wechseln sich ab mit Ankündigungen, man werde die Sicherheit überprüfen. Der Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl sagt, ein solcher Check müsse notwendigerweise zur Abschaltung der "besonders gefährlichen Uralt-Meiler" führen. Ihre technische Nachrüstung gilt als unbezahlbar. Die Energiekonzerne können pro Atomkraftwerk nur mit bis zu 500 Millionen Euro zur Kasse gebeten werden, was nicht ausreicht. Der Rest ginge zu Lasten des Staates: Er würde von Geld bestritten, das die Kraftwerksbetreiber eigentlich als Gegenleistung für die verlängerten Restlaufzeiten zur Förderung erneuerbarer Energien in einen Fonds einzahlen sollen.

Wenn die Energiekonzerne die von der Regierung genehmigten Laufzeiten ausschöpfen, wären manche Atommeiler rund 50 Jahre am Netz. Viel zu lange, meinen die Experten.

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Sabine Faber