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Die alltägliche Gewalt gegen Polizisten

Anna Peters16. Februar 2014

165 Mal am Tag werden Polizisten in Deutschland angegriffen. Tendenz steigend. Aber woran liegt das?

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Demonstranten und Polizisten stehen sich in Hamburg gegenüber (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es geschah an einem Sonntagmorgen. Eine Frau, die von ihrem Ehemann misshandelt worden war, rief die Polizei. Ihr Kind war alleine bei ihrem Mann zurückgeblieben, jemand solle es da rausholen. Zwei Polizisten wurden zu der Wohnung geschickt. Norbert Spinrath war einer von ihnen. Ein Routineeingriff, harmlos, dachte er, als er vor der Wohnungstüre stand. Doch was die Frau nicht erwähnt hatte: Ihr Mann war ein Waffennarr. Sekunden später sah Spinrath, wie der Lauf einer Pistole auf ihn gerichtet wurde. Mit einem beherzten Satz nach vorne konnten sein Kollege und er den Mann überwältigen. Der Schuss, der für Spinrath bestimmt war, ging in die Decke.

Geiselnahmen, betrunkene Raufbolde oder Raubüberfälle: Ein Job als Polizist kann Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Das war schon immer so. Doch in den letzten Jahren ist die Gewalt gegen Polizisten immer weiter gestiegen. So zitiert die Website des Vereins "Keine Gewalt gegen Polizisten" die Polizeiliche Kriminalstatistik, wonach alleine von 2011 bis 2012 die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf den "Freund und Helfer" von rund 53.000 auf etwa 60.000 pro Jahr gestiegen sei. Konkret heißt das: In Deutschland wird im Schnitt 165 Mal pro Tag ein Polizist angegriffen.

"Bullenschlampe" und "Drecksbullen"

Norbert Spinrath (SPD): Susie Knoll/Florian Jänicke (SPD-Fraktion)
Norbert Spinrath: "Wir haben heute eine andere Gewalt"Bild: spdfraktion.de (Susie Knoll/Florian Jänicke)

"Wir haben heute eine andere Gewalt als früher", ist Norbert Spinrath überzeugt. Der heutige Berufspolitiker und SPD-Bundestagsabgeordnete kennt die Polizei seit 1974. Vor allem der Respekt gegenüber den Uniformierten habe seiner Erfahrung nach abgenommen. Diesen Eindruck teilt auch Markus Vogt, ein 40-jähriger Polizist aus Rheinland-Pfalz. "Bullenschlampe" und "Drecksbullen" seien Beleidigungen, die Frauen und Männer in Polizeiuniform täglich hören müssten, sagt er.

Deutschlandweit für Aufsehen gesorgt haben im vergangenen Dezember Auseinandersetzungen in Hamburg zwischen Polizisten und Aktivisten, die sich vehement für einen Erhalt des linken autonomen Kulturzentrums "Rote Flora" einsetzen. Eine Demonstration endete in schweren Krawallen. Steine und Flaschen wurden von mutmaßlichen Linksautonomen auf Polizeibeamte geschmissen. Laut Polizei wurden 120 Beamte verletzt, einige von ihnen schwer. Schon einen Tag zuvor, am 20. Dezember, hatten Unbekannte die Davidwache in Hamburg mit Steinen und Farbbeuteln angegriffen.

Wie eine Facebook-Gruppe zum Selbstläufer wurde

Hamburg, 29. Dezember 2013: Der Journalist Andreas Hallaschka sitzt an seinem PC und arbeitet, als er die ersten Meldungen über einen weiteren Angriff auf die Davidwache liest. Vermummte sollen Polizisten mit Steinen und Pfefferspray angegriffen haben. Hallaschka ist fassungslos. Auf Facebook postet er: "Warten wir auf den ersten Toten?" Dann will er weiter arbeiten, aber er kann nicht. Die Ereignisse in seiner Stadt lassen ihn nicht los. Kurzentschlossen gründet er eine Facebook-Gruppe "Solidarität mit den Beamten der Davidwache". Eigentlich für seine Freunde gedacht, wird die Seite über Nacht zum Selbstläufer. Binnen weniger Tage hat die Gruppe über 50.000 Fans.

Auf der Seite wird rege diskutiert - nicht nur über Hamburg. Es geht um Gewalt gegen Polizisten und andere Uniformierte in ganz Deutschland. Die meisten der Gruppenmitglieder wollen ihre Solidarität bekunden. Auf der Seite ist eine ganze Fotoserie mit Bürgern, die sich vor der Davidwache ablichten, Kleinkindern, die in einer viel zu großen Polizeiuniform keck in die Kamera grinsen. Der Tenor: Schaut, wir stehen hinter euch! Auch Markus Vogt ist Mitglied der Seite. Als Moderator unterstützt er Andreas Hallaschka. Gewalt gegen Polizeibeamte habe man in Hamburg bisher achselzuckend hingenommen, sagt Hallaschka. "Aber jetzt, wo es die Diskussion in der Facebook-Gruppe gibt, wird deutlich, dass man das nicht mehr hinnehmen will oder kann."

Markus Vogt (Foto: privat)
Polizist Markus Vogt will den Menschen helfenBild: privat

Seitdem er die Gruppe gegründet hat, bekommt er massenweise Zuschriften aus ganz Deutschland: "Da gibt es Geschichten von Polizisten, die nicht mehr ihren Dienst ausüben können, die psychisch vollkommen zerrüttet sind, die körperlich schwer verletzt wurden", erzählt er. Auch direkt in der Gruppe melden sich Polizeibeamte zu Wort, die auf ihre Situation aufmerksam machen möchten. So schreibt Christian Boening, Polizist aus Niedersachsen: "Wir haben keine Lobby in der Politik und wir haben keine Lobby in den Medien. Wir sind Mittel zum Zweck."

Eine Gesellschaft von Einzelkämpfern wird zum Problem

So groß die Solidarität der meisten Gruppenmitglieder auch ist - eine Minderheit nutzt die Plattform auch, um über Polizisten und die Köpfe hinter der Initiative herzuziehen. "Ganz häufig wird auch auf unserer Facebook-Seite argumentiert, dass wenn die Polizei sich vermummen darf, ich das doch auch darf! Da sage ich: Nein! Das ist einfach nicht erlaubt. Und dieses ganz grundsätzliche Rechts- und Unrechtsbewusstsein ist bei manchen verrutscht."

Woher diese Einstellung und wachsende Gewaltbereitschaft einzelner kommt? Für Norbert Spinrath hat es klar mit dem Erziehungsstil seiner Generation zu tun: "Meine Generation hat aufgeklärte, selbstbewusste Jugendliche und Erwachsene hinterlassen wollen. Genau das ist aber oft schief gegangen." Das Ergebnis: Einzelkämpfer, "die nicht mehr das Miteinander im Vordergrund sehen, sondern nur den Vorteil der eigenen Person."

Ähnlich sieht es auch der Polizist Markus Vogt: "Heute ist der Mensch individueller geworden und damit auch rücksichtsloser.“ Jene, die Polizisten angreifen, vergessen gerne, dass sie "die Uniform angreifen, aber den Menschen darunter verletzen", sagt er. Trotz der zunehmenden Gewalt gegen Polizisten, kann Markus Vogt sich keinen anderen Beruf vorstellen: "Ich will den Leuten helfen - das ist mein alltäglicher Antrieb."