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Die Anerkennungskuh

21. April 2009

15 Jahre nach dem Genozid ist das Misstrauen gegenüber den Hutu noch immer groß. Die Erfahrung mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung soll helfen, den Völkermord aufzuarbeiten. Auch mit ungewöhnlichen Mitteln.

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Pastor Gratien und Gerd Hankel (Foto: Christine Harjes)
Gerd Hankel zeichnet mutige Ruander ausBild: DW / Harjes

Im Hof des ruandischen Pastors Gratien steht eine deutsche Kuh. Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung lehnt sich über den Bretterverschlag und tätschelt die schwarz-weiß gefleckte Kuh. Bekommen hat Pastor Gratien das Tier vom Hamburger Institut für Sozialforschung als Auszeichnung für seinen Mut während des Genozids.

Auszeichnung für Hutu mit Zivilcourage

Für den Völkerrechtler Gerd Hankel ist das ein Weg zur Versöhnung zwischen Hutu und Tutsi. Seit 2002 beschäftigt sich der Wissenschaftler mit dem Völkermord in Ruanda. 2007 hat er zum ersten Mal 14 so genannte "Gerechte" in Ruanda ausgezeichnet. "Gerechte", das sind Hutu, die im Genozid den Mut hatten, Tutsi zu retten. Pastor Gratien hat 320 Tutsi in seiner Kirche vor den Hutu-Milizen beschützt. Mit Mut hat das für den Hutu wenig zu tun: "Ich hatte keine Angst" sagt Pastor Gratien. "Ich wusste, dass die Menschen, die in Not waren, Menschen wie ich sind. Sie hatten sich nichts zu schulden kommen lassen. Deshalb wollten meine Familie und ich lieber mit den Menschen sterben, die zu mir gekommen waren."

Pastor Gratien (Foto: Christine Harjes)
Pastor Gratien hat 320 Tutsi gerettetBild: DW / Harjes

Mit Diskussionen über Deutschland Tabus brechen

Gerd Hankel will mit der Auszeichnung von Hutu wie Pastor Gratien zeigen, dass nicht alle Hutu auf der Seite der Täter gestanden haben. Die Ehrung der "Gerechten" fand im Rahmen einer Konferenz statt, auf der Hankel auch die deutsche Vergangenheit thematisiert hat. Der Vergleich mit dem Holocaust helfe bei der Aufarbeitung der ruandischen Geschichte, sagt Hankel: "Wir haben festgestellt, dass nachdem wir einen Film über die Befreiung der KZs gezeigt haben, der Bedarf zu diskutieren und nachzufragen sehr groß war", sagt der Wissenschaftler. Ganz allmählich sei die Diskussion dann zum Genozid in Ruanda umgeschwenkt. "Auf diese Weise wurden gewisse Tabus durchbrochen.“

Parallelen zur deutschen Geschichte

In Deutschland und in Ruanda hat die Bevölkerung den Massenmord hingenommen und weggesehen. Etwas, dass man kaum verstehen oder erklären kann. Hankel sieht aber auch viele große Unterschiede zwischen den beiden Völkermorden. Ein ganz wesentlicher Unterschied sei, dass in Deutschland die Opfer oder die Überlebenden nicht lange in Deutschland waren, sondern sehr schnell ins Exil gegangen seien. "Hier in Ruanda leben Täter, Opfer, Überlebende zusammen. Und das ist natürlich etwas, was eine ganz besondere Brisanz ausmacht", sagt Hankel.

Annäherung an die Überlebenden

Urkunde (Foto: Christine Harjes)
Die Urkunde für die "Gerechten"Bild: DW / Harjes

Für Pastor Gratien hat sich das Zusammenleben mit den Opfern nach seiner Auszeichnung verändert. Die Konferenz und die Ehrung der "Gerechten" wurden von den ruandischen Medien aufmerksam verfolgt und so ist die Geschichte vom mutigen Pastor schnell bekannt geworden. Die Beziehungen zwischen ihm und den Überlebenden seien anschließend sehr gut geworden, sagt Pastor Gratien. "Sie freuen sich für mich, dafür dass ich diese Auszeichnung bekommen habe."

Faustin Murangwa Bismark hat im Exil in der Demokratischen Republik Kongo gelebt, als die gesamte Familie seiner Mutter im Genozid umgebracht wurde. Nach dem Völkermord ist Faustin nach Ruanda zurückgekehrt. In der ersten Zeit sei er Extremist gewesen sagt Faustin. "Zu Anfang war es schwer, für mich waren alle Hutu gleich. Ich habe sie alle in die selbe Schublade getan. So als ob alle an den Massakern teilgenommen hätten. Ich konnte ihnen nicht vertrauen. Ich konnte sie nicht ertragen."

Vorurteile abbauen

Der Jurist hat an der Versöhnungskonferenz teilgenommen und arbeitet schon lange mit Gerd Hankel zusammen. Heute geht Faustin anders mit der Vergangenheit um. Geholfen hat ihm dabei auch das Projekt des Hamburger Instituts für Sozialforschung von Gerd Hankel. "Du verstehst, dass es auch eine andere Realität gab, eine Realität, die die Leute oft nicht gern hören. Und das ist die Realität der Gerechten." Und, fügt er hinzu, es habe auch Hutu gegeben, die niemanden schützen konnten, aber die die Massaker auch nicht unterstützt haben.

Helfen im Namen Gottes

Für Pastor Gratien war es selbstverständlich, den Tutsi zu helfen. Trotzdem ist er stolz auf die Ehrung - so viele Jahre nach dem Ende des Völkermordes: Er habe nie mit einer Ehrung gerechnet, sagt er. "Ich habe das als Christ getan, im Namen Gottes."

Seine Kuh nennt Pastor Gratien übrigens "Anerkennungskuh". Selbst wenn sie keine ruandische Kuh, sondern eine deutsche ist – einen Namen bekommt auch sie. So wie alle Kühe in Ruanda.

Autorin: Christine Harjes / Redaktion: Dirk Bathe