1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Cyberspace & Co

Marcus Bösch15. Februar 2013

Ich geh' online. Erst zum Terminal, dann hochladen und erstmal ein bisschen im Internet surfen. Marcus Bösch meldet sich aus einem Leipziger Hotel gleich hinter dem Datenhighway.

https://p.dw.com/p/17e23
Schlüssel für das Antikhotel in Leipzig. Foto: Marcus Bösch
Schlüssel für das Antikhotel in LeipzigBild: Marcus Bösch

Ich sitze im Frühstücksraum der ehemaligen Pension Völkerschlachtdenkmal, jetzt Antikotel, in Leipzig und esse ein Leberwurstbrot. Das letzte Leberwurstbrot habe ich bei meiner Oma gegessen. Es muss 1987 gewesen sein, der Fernseher lief, es gab Abendbrot im Wohnzimmer und es war viel zu viel Senf auf dem Brot. Warum ich daran denken muss? Es hätte meiner Oma im Stadthotel mit - Zitat - "Geschichte, Charme und antiken Möbeln" sicherlich gut gefallen.

Der Terminal

Hier ist alles so früher. Die Ausgabe der Zeitung "Leipziger Neuste Nachrichten" stammt aus dem Jahr 1913. Ich nehme an, dass es sich dabei um ein Faksimile handelt. Der Stuhl, der demonstrativ im Treppenaufgang steht, ist aber wohl echt. Zumindest hängt ein eingerahmtes Bild über dem Stuhl und auf dem steht: Originalstuhl aus der Paulinerkirche zu Leipzig - gesprengt am 30. April 1968. Nicht wirklich alt, aber auf alt gemacht sind die zahllosen Emaille-Schilder, die hier überall den Weg weisen.

Und jetzt kommen wir - behutsam hergeleitet - zum Kern dieser Kolumne. Es handelt sich um ein in Fraktur beschriftetes Emaille-Schild, auf dem "Internet-Terminal" steht. Und genau hier auf diesem kleinen unscheinbaren Schild manifestiert sich eine postmoderne Gleichzeitigkeit, die Historiker in ferner Zukunft zum Jauchzen bringen wird. Der so genannte Terminal ist ein hölzerner Sekretär, in dessen Umrahmung ganz offenbar ein Tablet-PC der Marke Apple steckt. Ein Aufkleber mit dem Hinweis "Start" weist auf die einzige Taste hin.

Cyberspace und Datenhighway

Emaille-Schild mit dem Schriftzug "Internetterminal" im Leipzig Antikhotel. Foto: Marcus Bösch
Bild: Marcus Bösch

Mit einem einzigen Klick verlässt man nun den hölzernen Sekretär, in dessen Schubfach sich mehrere Generationen von Telefonbüchern stapeln, man verlässt die knarzenden Dielenböden, die Bauernschränke und historischen Postkarten an der Wand und taucht ein in die aufregende neue Welt des Cyberspaces, da wo auf dem Datenhighway gerast, auf Seiten gesurft, wo hochgeladen und downgeloadet wird.

Wir landen also mitten in den 1990er Jahren, auf einem Gerät der 2010er Jahre in einer Umgebung, die gewollt und ungewollt ein Sammelsurium des gesamten 20. Jahrhunderts repräsentiert. Und zwar vor allem die Teile, die lieber im 19. Jahrhundert geblieben wären.

Und während man natürlich eben so gut über das kleine Schildchen hinwegsehen, es als Petitesse abtun könnte, so könnte man ebenso gut Zeit aufwenden, dem Begriff des Terminals nachzuspüren.

"Ich geh ins Internet"

Ein Empfangsgebäude, das man bei Eisenbahn, Luftverkehr, Schifffahrt, Autobusverkehr und Seilbahnen findet. Ein Internet-Terminal, auch Surfterminal oder Surfstation, als technische Einrichtung für den Internetzugang, der im öffentlichen oder im halböffentlichen Raum genutzt wird. Oder besser wurde. Denn Internet-Terminals sind obsolet, sobald jeder und jede mit einem mobilen Gerät ihrer oder seiner Wahl eine Internetverbindung herstellen kann.

Während das passiert, können wir dabei zusehen, wie im öffentlichen Raum so genannte Internet-Cafes - meist mit einem @-Zeichen als visuellem Gestaltungsmerkmal versehen - wieder verschwinden. Und zwar nur wenige Jahre nachdem sie plötzlich auftauchten. Nicht sehen, aber spüren kann man derweil auch das Verschwinden von Verben und Substantiven, die die Tätigkeit des “ins Internet gehens“ umschreiben. Gewundert habe ich mich noch, als meine Tochter plötzlich anfing, davon zu sprechen, dass sie "o" sei. Während unsereins noch "online ging" und Daten "hochlud".

Brot mit Pflaumenmus

Und während ich hier gerade im Frühstücksraum ein weiteres Brot mit Pflaumenmus bestreiche, frage ich mich, ob die Zusatzinformation, dass ich einen Artikel "im Internet" lese oder "für das Internet" schreibe, noch irgendeinen Mehrwert hat. Die Zeiten des Cyberspace sind vorbei. Es hat ihn nie gegeben. Auf dem Home-Screen des so genannten Internet-Terminals findet sich übrigens die App Angry Birds - mit Geschichte, Charme und antiken Möbeln.

Marcus Bösch war irgendwann 1996 zum ersten Mal im Internet. Der Computerraum im Rechenzentrum der Universität zu Köln war stickig und fensterlos. Das Internet dagegen war grenzenlos und angenehm kühl. Das hat ihm gut gefallen.

DW-Netzkolumnist Marcus Bösch
DW-Netzkolumnist Marcus BöschBild: DW/M.Bösch

Und deswegen ist er einfach da geblieben. Erst mit einem rumpelnden PC, dann mit einem zentnerschweren Laptop und schließlich mit geschmeidigen Gerätschaften aus aalglattem Alu. Drei Jahre lang hat er für die Deutsche Welle wöchentlich im Radio die Blogschau moderiert. Seine Netzkolumne gibt es hier jede Woche neu.