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Die Balkan-Migranten vor der Wahl

Emir Numanovic, Wien20. Mai 2016

Österreich wählt am Sonntag einen neuen Bundespräsidenten. Beide Kandidaten, so unterschiedlich sie politisch sind, buhlen auch um die Gunst der Wähler aus dem ehemaligen Jugoslawien. Emir Numanovic berichtet aus Wien.

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Ein Migrant in Wien liest eine Zeitung in serbischer Muttersprache (Foto: DW/Numanovic)
Informationen auf allen Kanälen: Auch die muttersprachliche Presse ist eine wichtige QuelleBild: DW/E. Numanovic

"Sollte ich zur Wahl gehen, wähle ich Van der Bellen. Der Hofer verkauft sich gerade als nett und freundlich, aber er ist gefährlich, und es wird wohl auf jede Stimme ankommen", sagt Osman, ein Bosnier, der seit fünf Jahren in Österreich wahlberechtigt ist. Genauso wie der gebürtige Serbe Petar: "Die FPÖ wirbt um uns Serben, aber ich traue ihnen nicht ganz. Ich finde aber gut, dass sie für weniger Ausländer sind, wir haben schon zu viele", sagt Petar und nippt an seinem Kaffee.

Alexander Van der Bellen von den österreichischen Grünen oder Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ? Selten haben sich bei einer Wahl in Österreich so konträre politische Persönlichkeiten gegenübergestanden wie bei der bevorstehenden Bundespräsidentenwahl. Für Osman und Petar macht das die Sache nicht einfacher, auch weil sie keine klare politische Meinung haben. So wie die meisten Menschen aus den Balkanstaaten, von denen insgesamt etwa 133.000 in Österreich wahlberechtigt sind. Doch diese Wahl könnte auch sie am 22. Mai zur Urne bewegen.

Das meint auch Goran Novakovic, Autor und Mitarbeiter in der Abteilung Integration und Diversität der Stadt Wien. "Die ehemalige jugoslawische Community geht traditionell selten zur Wahl, doch im zweiten Wahlgang könnte sich das ändern", sagt er. Es sei möglich, dass die FPÖ besondes die Serben, Kroaten und Bosnier mobilisiere, denen die Politik der Grünen generell zu liberal sei, wenn es um die Rechte von muslimischen Migranten und Flüchtlingen gehe, erklärt Novakovic.

Kneipe "Lepa Brena" in Wien (Foto: DW/Numanovic)
Kneipe "Lepa Brena" in Wien: Schnaps am Vormittag und laute MusikBild: DW/E. Numanovic

FPÖ wirbt um serbische Wähler

Da die FPÖ mit den Themen Migration und Islam besonders bei der serbischen Community auf Stimmenfang geht, könnte sich das wiederum auf das Verhalten der Wähler aus Bosnien auswirken, sagt Nedad Memic, Publizist und langjähriger Chefredakteur von "Kosmo", einer der auflagestärksten Zeitschriften für Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien. "Die FPÖ bemüht sich um die serbische Gemeinschaft - in erster Linie mit sehr problematischen Statements über Bosnien und Herzegowina", sagt er. So werde sogar Milorad Dodik nach Wien eingeladen, Präsident der Teilrepublik Srpska in Bosnien-Herzegowina, die überwiegend von Serben bewohnt wird. "Und der hat jetzt in der serbischen Gemeinschaft zum zweiten Mal eine Wahlempfehlung für die FPÖ abgegeben", erklärt Memic.

Eine solche Politik spricht jene an, denen die sogenannten serbischen "nationalen Fragen" wichtig sind. "Viele sind aber in Wien aufgewachsen, in einer seit Jahrzehnten multiethnischen Stadt, und die Botschaften der FPÖ sind nicht das einzige Kriterium für die Entscheidung an der Urne", glaubt Memic.

40 Prozent der wahlberechtigten Zuwanderer leben in Wien, so spielt sich auch der Kampf um die Stimmen der Migranten vom Balkan hauptsächlich in der Hauptstadt ab. Und in letzter Zeit immer mehr zwischen den Sozialdemokraten der SPÖ und den Rechtspopulisten der FPÖ. Generell, so Memic, seien die Wähler aus dem ehemaligen Jugoslawien der Sozialdemokratie zugewandt. Doch aus der ersten Wahlrunde gingen Van der Bellen und Hofer als die beiden stärksten Kandidaten hervor, den SPÖ-Rivalen ließen sie weit hinter sich. Und nun stellt sich die Frage, ob die SPÖ-zugewandten Migranten in Österreich ihre Stimme im zweiten Wahlgang Van der Bellen geben werden.

Grüne anstatt SPÖ

Einer aus der bosnischen Gemeinschaft in Wien, der das empfiehlt und auch in der SPÖ tätig ist, ist Ahmed Husagic. Er war Kandidat der Wiener SPÖ bei der letzten Wahl auf Landesebene, und er ist sich sicher, dass sich Wähler aus dem ehemaligen Jugoslawien nicht auf die populistischen Parolen der FPÖ beeindrucken lassen werden. "Sie wissen, dass das nichts bringt und dass sie davon nicht besser leben werden. Und sie wissen auch, dass eine ähnlich Rhetorik in Jugoslawien den Krieg ausgelöst hat." Es gebe außerdem keinen vernünftigen Grund, Norbert Hofer zu wählen.

"Die FPÖ will eine Krankenversicherung nur für Migranten einführen. Sie wollen die Sozialhilfe für Migranten kürzen, und diese sollen ausgewiesen werden, wenn sie länger auf Jobsuche sind", sagt Husagic. So könne man bei dieser Wahl nur Alexander Van der Bellen wählen, ist er sich sicher.

Gäste im "Lepa Brena" in Wien (Foto: DW/Numanovic)
Gäste in "Lepa Brena" in Wien: wir wollen keine Moslems mehr!Bild: DW/E. Numanovic

Ein wichtiges Signal

Der österreichische Präsident hat zwar als Repräsentant des Staates nicht viele Befugnisse. Doch würde Hofer Bundespräsident, könnte das eine Fortsetzung der Veränderung auf parlamentarischer Ebene nach sich ziehen - immer weniger Einfluss der SPÖ und immer mehr Einfluss der FPÖ. Zumal sich die SPÖ gerade in einer Krise befindet.

Doch warum ist die SPÖ so schwach geworden? "In Zeiten der Krise sind die Erwartungen der Menschen unrealistisch", sagt Husagic. "Die SPÖ steht zwar für kostenlose Kindergärten, günstige Bildung, niedrigere Steuern und höhere Löhne, das sind unsere Werte, aber das wird ständig abgewertet", ärgert sich Husagic.

Dass die Abwertung des politischen Gegners, auch persönliche Angriffe, tatsächlich zur Strategie der FPÖ gehören, davon hat man sich in Österreich zuletzt in den vielen öffentlichen Duellen der Präsidentschaftskandidaten überzeugen können. Eine Methode, die auch im von Serben besuchten Wiener Kafee Lepa Brena gut ankommt, wo schon am Vormittag Bier und Schnaps konsumiert werden.

Doch etwas anderes wird entscheidend sein, ist sich Goran Novakovic sicher. "Es wird eher die traditionelle Zugehörigkeit oder Sympathie für die eine oder andere Partei entscheiden, aber auch, wie man die Welt sieht. Und es ist auch eine Wahl, die eher wahlmüde Migranten aufwecken könnte."