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Die Basis stimmt

Judith Hartl31. Juli 2002

Die mittlerweile 79. deutsch-französischen Regierungskonsultationen am Dienstag (30.7.2002) in Schwerin haben nur wenig konkrete Ergebnisse gebracht. Judith Hartl mit einer Rückschau.

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Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac haben zwei Erklärungen unterschrieben: zum einen über die Entwicklung gemeinsamer
Beobachtungs-Satelliten und zum anderen über eine Neuregelung des deutsch-französischen Abiturs. Dafür gab es umso mehr Appelle an die Zusammenarbeit und Beschwörungen der Freundschaft beider Länder, die vor fast 40 Jahren im so genannten Elysée-Vertrag besiegelt wurde.

Nach vielen Jahren der Feindschaft, nach mehreren Kriegen hat der Elysée-Vertrag eine Versöhnung, dann eine Annäherung und schließlich eine oft innige und herzliche Freundschaft möglich gemacht. Am 22. Januar 1963 wurde er unterzeichnet - dann wurde viel Arbeit und Geduld investiert: Millionen von Schülern verbrachten ihre Ferien und Schulausflüge in französischen beziehungsweise deutschen Familien. Unzählige Städte-Partnerschaften machten klar: So schlimm ist der andere gar nicht - im Grunde haben wir mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes.

Das war einmal: Französische Schüler lernen heute lieber Spanisch, interessieren sich für Deutsch nur noch wenig - und deutsche Schüler finden Englisch "cooler". Ein kleines aber deutliches Symbol dafür, dass zurzeit auch auf politischer Ebene die deutsch-französische Freundschaft eingeschlafen ist: Die Beziehungen stagnieren, und - ähnlich wie so oft in einer langen Ehe - man hat sich nicht mehr all zuviel zu sagen. Die Versöhnungsphase, die spannend und hocheffizient war, ist der Normalität gewichen.

Jetzt beginnt man zu gähnen - und zu streiten. Zum Beispiel über die europäische Agrar-Reform und ihre Finanzierung: Netto-Zahler Deutschland will auch nach der Osterweiterung die Kosten begrenzt halten, Frankreich profitiert und will, dass die EU-Subventionen auch in Zukunft in gleicher Höhe fließen. Diese Frage soll jetzt in monatlichen Treffen bis Dezember geklärt werden.

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland sind nicht schlecht. Die Basis stimme, das haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac in Schwerin immer wieder herunter gebetet. Diese Grundlage muss allerdings wiederbelebt werden.

Dass hier etwas getan werden muss, hat jedoch nichts mit der persönlichen Chemie zwischen Schröder und Chirac zu tun. Und auch nicht mit parteipolitischen Gesichtspunkten. Denn es ist nicht so, dass der konservative Chirac etwa automatisch besser mit dem konservativen Edmund Stoiber klar käme - auch wenn nach Stoibers Besuch in Paris offensichtlich war, dass die beiden sich prächtig verstehen. Nein, nein: Schließlich war ein Höhepunkt, ein Glanzlicht der deutsch-französischen Freundschaft die Kohl-Mitterand-Ära - Helmut Kohl konservativ, Francois Mitterand ein Sozialist. Nur: damals herrschte Dynamik, gemeinsam brachte man das vereinte Europa voran. Große Projekte - die jetzt Wirklichkeit geworden sind, wie beispielsweise die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro. Nun muss man sich um lästigen Kleinkram in der EU kümmern - und streiten.

Aber Streitbarkeit gehört zu einer Freundschaft genauso wie das "Kuscheln" - alles zu seiner Zeit. Wichtig ist, dass Deutschland und Frankreich nun gemeinsam nach vorne denken, in die Zukunft. Dass die Generationen, die folgen, Interesse an einem guten Verhältnis zwischen den beiden Ländern haben. Das 40-jährige Jubiläum des Elysée-Vertrags ist eine Chance. Bis zum Januar 2003 soll der Vertrag modernisiert, also zeitgemäßer gestaltet werden. Zumindest sollen dann Vorschläge auf dem Tisch liegen. Man wird den Tag gemeinsam feiern. Ob mit oder ohne Gerhard Schröder als Bundeskanzler - es wird ein großer Tag und stellt zumindest zum Teil die Weichen dafür, wie es mit den deutsch-französischen Beziehungen, die seit 40 Jahren etwas ganz Besonderes sind, weiter gehen wird.