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30 Jahre Grüne

13. Januar 2010

Die Grünen als Partei werden 30 Jahre alt. Über das Selbstverständnis der Partei, über Machtoptionen und die künftige Entwicklung sprach der Parteienforscher Oskar Niedermayer im Interview mit DW-WORLD.DE.

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Oskar Niedermayer (Foto: privat)
Oskar NiedermayerBild: Oskar Niedermayer

Deutsche Welle: In diesen Tagen werden die Grünen als Partei 30 Jahre alt. Was ist der Hauptunterschied zwischen den Grünen von 1980 und denen aus dem Jahr 2010?

Oskar Niedermayer: 1980 wollten die Grünen eine Anti-Parteien-Partei sein, waren es aber nur in ganz spezifischen Bereichen. Heute sind sie eine ganz normale Partei, obwohl sie es noch immer nicht ganz sein wollen.

Wo haben sich die Grünen auf dem Weg von der ehemaligen Anti-Parteien-Partei zur normalen Partei konkret verändert?

Die Grünen haben sich inhaltlich an einigen Stellen verändert. Zum Beispiel auf der außen- und sicherheitspolitischen Ebene, wobei man mit diesem strikten Pazifismus am Anfang vorsichtig sein muss. Gegenüber bestimmten Befreiungsbewegungen der Dritten Welt hatte man auch damals schon eine andere Meinung und hat Gewalt nicht vollkommen ausgeschlossen. Aber auch die wirtschaftspolitische Dimension hat sich verändert. Hier kann man aber noch nicht klar sehen, welche Position die Grünen beim Thema Sozialstaat einnehmen - eher marktwirtschaftlich oder eher an sozialer Gerechtigkeit orientiert.

Was waren die Turning-Points in der Geschichte der Grünen?

Man kann die qualitativen Veränderungen immer dort festmachen, wo die Grünen eine andere Rolle im Parteiensystem zugeteilt bekamen: Die parlamentarische Repräsentation 1983 im Bundestag, als sich neben der Parteispitze ein neues Machtzentrum etablierte - nämlich die Fraktion; und schließlich 1998 die Regierungsbeteiligung auf Bundesebene.

Gab es Punkte, an denen parteiinterne oder gesellschaftspolitische Debatten zu merklichen Veränderungen der Mitgliederzahlen der Partei geführt haben?

Es gab am Anfang die Austrittswelle, die sich der ehemaligen Parteivorsitzenden Jutta Ditfurth und ihren Anhängern anschloss. Quantitativ lässt sich das jedoch nicht bewerten, weil damals die Mitgliedererfassung noch nicht so ausgeprägt war. Die zweite merkbare Veränderung der Mitgliederzahlen trat mit dem Afghanistaneinsatz der Deutschen Bundeswehr 2002 auf. Wir haben aber insgesamt und im Vergleich zu anderen Parteien, so weit man es aus der lückenhaften Mitgliederstatistik der Grünen ersehen kann, keine extremen Schwankungen.

Nach dem Zusammenbruch der DDR und der deutschen Wiedervereinigung schlossen sich 1993 die Grünen mit der DDR-Bürgerrechtsbewegung "Bündnis 90" zusammen. Wie viel von "Bündnis 90" steckt heute noch in den Grünen?

Parteilogo Bündnis 90 - die Grünen

Formal steckt noch sehr viel von "Bündnis 90" in den Grünen, denn noch immer heißt die Partei ja offiziell "Bündnis 90 / Die Grünen". Zudem sind in den ersten Jahren überproportionale Vertretungsbeschlüsse gefasst worden für die ostdeutschen Regionalverbände und Mitglieder in den Gremien der Grünen. Heutzutage spielt der Zusatz meiner Meinung nach keine wesentliche Rolle mehr, die Grünen sind zusammen gewachsen. Sie haben zwar in Ostdeutschland nach wie vor ein großes Rekrutierungsproblem, aber das haben andere Parteien auch; insofern darf man das nicht überbewerten. Von der Art und Weise, wie die Diskussionen innerparteilich ablaufen, sehe ich keine Spaltungslinie zwischen Ost und West.

Kann man heute schon absehen, wie sich die Partei in Zukunft entwickeln wird?

Man kann in der heutigen Zeit, in der sich das Parteiensystem stark verändert hat und auch in Zukunft noch weiter verändern wird, nicht mit Sicherheit sagen, wie sich bestimmte Parteien verändern oder weiterentwickeln. Aber ich würde davon ausgehen, dass die Grünen auch mittelfristig ein relevanter Bestandteil des deutschen Parteiensystems bleiben. Die Frage ist, welche Rolle die Grünen neben den beiden anderen kleineren Parteien FDP und Linkspartei spielen wird. Bei den letzten beiden Wahlen hatten die Grünen die Nase nicht vorn, das erste Ziel müsste also sein, unter diesen drei kleineren Parteien die dritte Kraft zu werden im deutschen Parteiensystem. Aber dass sie relevant bleiben werden, davon bin ich überzeugt.

Die Grünen waren drei Jahre nach der Gründung bereits im Bundestag vertreten und fünf Jahre nach der Gründung in einer Landesregierung - ist eine solche Karriere für eine Partei heute überhaupt noch möglich?

Die Grünen sind die einzige Partei in der Geschichte des bundesrepublikanischen Parteiensystems, sieht man vom Sonderfall der PDS und der Wiedervereinigung einmal ab, die es als neugegründete Partei überhaupt geschafft haben, im deutschen Parteiensystem Fuß zu fassen und zu einer relevanten Partei zu werden. Das ist sonst nie vorgekommen und ich würde es heute sogar für noch schwerer halten. Insofern dürften die Grünen auf absehbare Zeit eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Unser Parteisystem ist sehr strukturiert, verharscht, wenn Sie so wollen. Es müssen sehr viele Voraussetzungen erfüllt sein für eine Partei, um sich zu etablieren.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Piratenpartei?

Es ist noch viel zu früh, um auch nur halbwegs sinnvolle Aussagen über die Piratenpartei machen zu können. Einerseits spricht einiges dafür, dass sie eine Partei werden könnte, die sich längerfristig etabliert. Sie hat schnell organisatorische Voraussetzungen geschaffen und Landesverbände in allen Bundesländern eingerichtet. Die Mitgliederzahlen sind schnell gestiegen, mittlerweile stagniert diese Entwicklung aber. Andererseits hat die Partei zwei große Probleme. Sie ist eine "single-issue party", das heißt sie ist inhaltlich auf ein sehr enges Politikgebiet fixiert - deswegen auch auf eine zwar existierende, aber nicht allzu große Klientel. Zudem hat sie keine wirklichen Führungspersönlichkeiten, die über diese enge Klientel hinaus Bürgerinnen und Bürger anlocken könnten, um bei Wahlen erfolgreicher zu sein. Die anderen Parteien wurden zunächst zwar vom Erfolg der Piratenpartei überrascht, beginnen jetzt aber, sich auf sie einzustellen. Insbesondere natürlich die Grünen, denn für die Grünen sind die Piraten die größte Gefahr. Insofern glaube ich, dass es die Grünen schaffen könnten, in nächster Zeit einen Teil der Klientel der Piratenpartei wieder einzufangen.

In Hamburg koalieren die Grünen mit der CDU, im Saarland mit der FDP, in Bremen mit der SPD - wieso können die Grünen mit jedem regieren?

Die Grünen können nicht mit jedem regieren, aber mit deutlich mehr Parteien als früher. Das hängt damit zusammen, dass wir eine Veränderung des Parteiensystems erleben. Wir haben jetzt ein Fünf-Parteien-System, wo es zwar nicht ausgeschlossen, aber sehr viel schwieriger geworden ist, eine Regierung nach dem traditionellen deutschen Muster zu bilden. Über Jahrzehnte hinweg war es üblich, eine Zweiparteinregierung aus einer Großpartei und einer Kleinpartei zu bilden. In Zukunft ist diese Regierungsbildung unsicher - und in Zeiten unsicherer Mehrheiten müssen sich alle Parteien fragen, ob sie nicht ihre Koalitionsoptionen erweitern müssen. Gerade für die Grünen könnte sich damit eine starke Machtstellung im deutschen Fünf-Parteien-System ergeben. Sie könnten zur sogenannten Scharnierpartei werden, zwischen einem möglichen linken Lager aus SPD und Linkspartei und einem bürgerlichen Block aus CDU/CSU und FDP. Die Grünen wären dann das Zünglein an der Waage, eine Rolle, die im Drei-Parteien-System traditionell der FDP zufiel. Dazu müssen sie jedoch prinzipiell nach beiden Seiten koalitionsfähig sein; das sind sie noch nicht ganz. Um die Chancen zu erhöhen, die eigene Politik zu verwirklichen, muss die Strategie für eine kleinere Partei im Fünf-Parteien-System immer sein, den eigenen Wählerinnen und Wählern zu sagen: "Wir haben ein klares inhaltliches Programm, unverwechselbar, mit bestimmten Alleinstellungsmerkmalen, wählt uns wegen unserer eigenen Inhalte. Wir werden unseren Koalitionspartner so auswählen, dass wir möglichst viele eigene Inhalte realisieren können."

Welche Wählerschichten sprechen die Grünen 2010 an?

Die Grünen sprechen generell Wählerschichten an, die einerseits relativ jung sind und andererseits bestimmte Werthaltungen haben. Am einfachsten sind diese Werthaltungen zu definieren im gesellschaftspolitischen Bereich, wo es um sogenannte libertäre Werte geht: Selbstverwirklichung, Toleranz gegenüber Minoritäten, Offenheit gegenüber unkonventionellen Lebensstilen und anderen Kulturen. Das einigt die gesamte grüne Wählerschaft. Auf der wirtschaftspolitischen Seite gibt es jedoch auf der einen Seite linke, also stark sozialstaatsorientierte Bereiche, auf der anderen Seite das moderne Bürgertum, das relativ gut situiert ist: Leute mit Häuschen im Grünen, die nicht schlecht verdienen und libertäre Werte vertreten. Deswegen müssen die Grünen immer vorsichtig sein: Wenn man zu einseitige Positionen vertritt, verschreckt man einen bestimmten Teil der Wählerschaft.

Anfangs standen die Ideale von Nachhaltigkeit und Umweltschutz ganz oben auf der grünen Agenda. Welchen Stellenwert haben solche Gedanken heute? Wie grün sind die Grünen 2010 noch?

Ich finde, dass die Grünen 2010 immer noch grün sind und dass dies ihre Wählerschaft auch von ihnen erwartet. Die Partei wäre schlecht beraten, dieses Merkmal in irgendeiner Weise zu relativieren oder aufzugeben. Ihr Alleinstellungsmerkmal bei der Gesamtbevölkerung in Deutschland war und ist immer noch ihre Kernkompetenz in Umweltfragen. Das erreicht keine andere Partei auch nur annähernd, obwohl sie in irgendeiner Schattierung inzwischen alle grün sind. Dennoch verortet die Bevölkerung die Themen Umwelt und Energie ganz klar bei den Grünen, und dort müssen sie auch sein, damit die Partei weiterhin relevant bleibt.

Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher am Otto-Stammer-Zentrum des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin

Interview: Christian Mutter

Redaktion: Kay-Alexander Scholz