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Chancen der Krise

Karl Zawadzky31. Dezember 2008

Zwar startet das neue Jahr 2009 mit einer Rezession, doch keine Krise ohne Chance. Ein wenig Besinnung und gemeinschaftliche Anstrengung können das Fundament für den nächsten Aufschwung sein, meint Karl Zawadzky.

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Karl Zawadzky (Quelle: DW)
Karl ZawadzkyBild: DW

Manches im letzten Aufschwung war auf Sand gebaut, einiges hatte mit seriöser Kaufmannschaft nichts mehr zu tun. Das gilt vor allem für die Finanzbranche, in der - und dies nicht zum ersten Mal - die Gier über den Verstand gesiegt hatte.

Renditen auf das eingesetzte Kapital von 25 Prozent und mehr sind auf seriöse Art und Weise nicht zu erwirtschaften, sondern nur mit dem ganz großen Hebel. Das Ergebnis ist bekannt. Auch deutsche Banken haben auf unverantwortliche Weise Milliarden verspekuliert, die Bankbosse haben sich dabei die Taschen vollgestopft, und das Ende der Wertberichtigungen ist noch lange nicht vorbei.

Finanzkrise wurde zur Weltwirtschaftskrise

Die Krise des Finanzbereichs hat die reale Wirtschaft erfasst und die Weltwirtschaft in den schärfsten Abschwung seit Jahrzehnten gestürzt. Während in Deutschland und in anderen Industriestaaten die Wirtschaft den Rückwärtsgang eingelegt hat, haben sich in den Schwellenländern die Wachstumsraten halbiert; in den ärmsten Ländern nimmt das Elend weiter zu.

In diesem Umfeld hat Deutschland allen Grund, sich auf seine Stärken zu besinnen, zumal das im gemeinsamen Interesse der Unternehmen und der Arbeitnehmer liegt. Die Politik kann und sollte ihren Teil dazu beitragen, die Zukunftsfähigkeit des Landes zu stärken.

Der nächste Aufschwung kommt bestimmt

Konkret bedeutet dies, dass die Unternehmen gut beraten sind, auf die Ebbe in den Auftragsbüchern nicht mit schnellen Personalanpassungen zu reagieren. Denn der nächste Aufschwung kommt bestimmt. Und das heißt: Wer jetzt entlässt, der wird, wenn es wieder aufwärts geht, Probleme haben, in ausreichendem Umfang Ingenieure und qualifizierte Facharbeiter zu gewinnen.

Jetzt ist die Zeit gekommen für betriebliche Bündnisse für Arbeit, die Unternehmen und Arbeitnehmer über die Krise bringen. Die Gewerkschaften sollten das mit einer Tarifpolitik begleiten, die zwar die Kaufkraft sichert, aber auf Zuwächse verzichtet. Die Unternehmen, die Arbeitnehmer und der Staat sollten sich so verhalten, dass Deutschland nicht nur die Krise mit möglichst geringem Schaden übersteht, sondern die Volkswirtschaft gestärkt daraus hervorgeht.

In die Zukunft investieren

Nach dem Sammelsurium des ersten Konjunkturpakets muss die Bundesregierung dem zweiten Maßnahmenbündel eine Wachstumsstrategie zu Grunde legen, also genau abwägen, wo und wie das eingesetzte Geld den größten Ertrag bringt. Investitionen in Kinderbetreuung, Bildung, Forschung und Entwicklung stärken die Zukunftsfähigkeit des Landes. Der Ausbau und die Sanierung der Infrastruktur sichern und schaffen heute Beschäftigung und zahlen sich morgen aus.

Um den Einbruch beim Export auszugleichen sowie den Abschwung zu bremsen, macht es Sinn, den privaten Konsum zu fördern. Hier ist zwischen Steuersenkungen und niedrigeren Sozialbeiträgen zu unterscheiden. Steuersenkungen sind immer populär, doch davon werden nur diejenigen begünstigt, die überhaupt Steuern zahlen. Niedrigere Sozialbeiträge stärken bei weit mehr Bürgern die Kaufkraft, vor allem bei Menschen, die das Geld für den täglichen Bedarf benötigen und es nicht auf die hohe Kante legen. Schließlich ist darauf zu achten, bei der unumgänglichen Ausweitung der Neuverschuldung die Grenzen des europäischen Stabilitätspakts einzuhalten, denn die heutigen Schulden sind die Steuern von morgen.

"Kraft des solidarischen Zusammenhalts"

Recht hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie in ihrer Ansprache zum Jahreswechsel auf die "Kraft des solidarischen Zusammenhalts" hinwies. Trotz allen Gewinnstrebens, den es natürlich auch in den Anfangsjahren dieses Landes gegeben hat, war der solidarische Zusammenhalt damals stärker ausgeprägt. Vieles davon ist erst in den letzten 20 Jahren verloren gegangen, in denen der Tanz ums Goldene Kalb Jahr für Jahr zugenommen und dann in die unvermeidliche Krise geführt hat.

Die Gier hat bei vielen - und ganz besonders bei den Leistungsträgern der Gesellschaft - nicht nur den Verstand ausgeschaltet, sondern auch die Werte verrückt. Die Krise bietet die Chance der Besinnung. Da es sich um eine globale Krise handelt, gibt es keine Insel der Glückseligkeit. Aber Deutschland hat das Potenzial, mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung gestärkt in den nächsten Aufschwung zu starten, wann immer er beginnt.