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"Die Chinesen wissen mehr über Deutschland als umgekehrt"

12. September 2005

Was denken ausländische Journalisten über Deutschland und die Neuwahlen? Antworten geben Jianguo Jiang von der Renmin Ribao (Volkszeitung) und Ye Chai von der Guangming Ribao (Licht-Zeitung).

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Online-Ausgaben der chinesischen Licht- und Volkszeitung

DW-WORLD: Wie werden Chinesen über Deutschland informiert? Welche Berichte finden die chinesischen Leser besonders interessant?

Chai: Fernsehen ist natürlich das schnellste Medium. Aber Printmedien sind mit ihren umfassenden Reportagen und Hintergrundinformationen unentbehrlich. Mittlerweile ist Internet in China so weit verbreitet, dass es ein sehr wichtiger Informationskanal geworden ist. Unsere Berichte über Deutschland sind in der Regel auch online zu lesen. Kulturthemen mache ich am liebsten. Ein paar Beispiele: Meine Artikel über die Künstlervereinigung "Die Brücke" und den deutschen Expressionismus, über das Einstein-Jahr, oder über die Gebrüder Grimm wurden von den Lesern zu den beliebtesten Berichten über Deutschland gekürt.

Jiang: In der letzten Zeit nimmt die Zahl der Auslandskorrespondenten aus China zu. Ich würde sagen, Deutschland ist für Chinesen kein fremdes Land, und ich habe den Eindruck, dass Chinesen mehr über Deutschland wissen als das umgekehrt der Fall ist. Das Interesse an Deutschland hat auch mit dem Bildungsstand der Leser zu tun. Leser mit Hochschulabschluss interessieren sich eher für Politik, Wirtschaft und Kultur. Studenten interessieren sich für Studiengänge in Deutschland. Auch die Bundesliga hat eine große Fangemeinde in China.

Wie finden Sie die Neuwahlen, freuen Sie sich darauf, darüber berichten zu dürfen?

Chai: Ich habe die Lage verfolgt und eine Reihe von Berichten zum Thema Neuwahlen in unserer Zeitung veröffentlicht. Diese Wahlgeschichte kann nur noch spannender werden. Das Feedback von den Lesern zeigt, dass sie ein großes Interesse an dem Thema haben. Wahlanalysen kommen immer gut an.

Jiang: Schröders Ankündigung zur Neuwahl war wirklich eine Überraschung für mich. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Bundesrepublik eine sehr stabile Demokratie ist, nicht wie manche andere europäische Länder, wo politische Auseinandersetzungen oft chaotisch und unberechenbar sind. Die Tatsache, dass es vorgezogene Wahlen bisher nur einmal in der Geschichte der Bundesrepublik gab, sagt aus, dass die Rot-Grün-Koalition mit einer sehr schweren Krise konfrontiert ist. Ich denke, Schröder will damit die Wähler vor der Wahl stellen, ob sich Deutschland reformieren will. Für Schröder birgt die Neuwahl Chancen und Risiken zugleich. Ich habe mit großer Spannung den Weg zu den Neuwahlen verfolgt und unsere Leser kontinuierlich mit Berichten versorgt.

Welches Image hat Deutschland in China?

Chai: Deutschland hat ein gutes Image in China. Vor allem die Art und Weise, wie die Deutschen mit der Vergangenheit umgegangen sind, hat die Chinesen sehr positiv beeindruckt.

Jiang: Schon in der Ära von Helmut Kohl pflegte Deutschland eine enge Beziehung mit China, und heute nimmt der Austausch zwischen den beiden Ländern in der Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft stetig zu. Aus der Sicht der Chinesen ist Deutschland auf jeden Fall ein Schwergewicht. Deutschland hat Probleme, hat aber nicht den Boden unter den Füßen verloren. Die deutsche Wirtschaft ist immer noch eine Macht für sich. Das deutsche Problem ist ein Problem der Stagnation. Ich denke, Deutschland braucht Mut und Kraft zur Innovation. Die rot-grüne Bundesregierung hat leider ihr Reformprojekt zu spät eingeleitet und damit einige Chancen verpasst.

Lesen Sie weiter auf Seite Zwei, wie Chai und Jiang zu Schröders Chinapolitik stehen und was sie von Angela Merkel als Kanzlerin halten.

Welche deutschen Politiker sind bekannt in China?

Chai: Für Chinesen ist Helmut Kohl einer der bekanntesten deutschen Politiker. Man kennt ihn als den Kanzler der deutschen Einheit, und auch wegen seiner China-freundlichen Politik. Schröder reiste in seiner Amtszeit als Bundeskanzler jedes Jahr einmal nach China, und sein China-Engagement wird von Chinesen sehr hoch bewertet.

Jiang: Schröder hat einen guten Ruf in China. Er hat für die freundschaftliche Beziehung zwischen China und Deutschland sehr viel getan. Er hat durch seine Politik die deutschen Investitionen in China sehr gefördert. Seine Anti-Kriegs-Haltung während des Irakkrieges hat in China Beifall gefunden.

Menschenrechtsfragen spielen eine große Rolle in der China-Politik der westlichen Länder. Schröder vertritt bekanntlich die Politik "Wandel durch Handel". Wie beurteilen Sie diese Politik von Schröder?

Chai: Persönlich kann ich die China-Politik von Schröder nur würdigen. Diese Politik ermöglicht es, dass sich beide Seiten trotz der Systemunterschiede annähern und besser verständigen.

Jiang: Die Menschenrechtsfrage betrifft jedes Land. Problematisch wird es, wenn Menschenrechtsfragen so instrumentalisiert werden, dass sie nur dazu dienen, China moralisch zu diskreditieren. Manche Länder benutzen die Menschenrechtsfrage nur als Waffe, um China unter Druck zu setzen. In Wirklichkeit interessieren sie sich nicht besonders für die Menschen in China. Schröder ist anders: Im Umgang mit China spricht er auch das Thema Menschenrechte an. Er hat den Menschenrechtsdialog mit China sogar gesucht und gefördert. Der "Rechtsstaatsdialog" zwischen Deutschland und China ist ein gutes Beispiel dafür. Man sieht in seiner China-Politik die politische Vernunft.

Wenn die CDU/CSU an die Macht käme, würde es dann einen Kurswechsel in der China-Politik geben?

Chai: Eine Angela Merkel als Kanzlerin hätte sicher auch weltpolitische Folgen. So hat Merkel bisher Schröders Schmusekurs mit Putin kritisiert, und sie plädiert für eine stärkere Beziehung mit den USA. Ich erwarte, dass die Union die deutsche China-Politik ein wenig neu justieren wird, aber ich glaube nicht, dass sie grundlegende Kursänderung vornehmen würde. Ein innenpolitischer Machtwechsel ändert nichts an dem Interesse, gute Beziehung mit China zu pflegen.

Jiang: Ich gehe nicht davon aus, dass eine Unionsgeführte Regierung eine andere Chinapolitik verfolgen würde als die Vorgängerregierung. Die Außenpolitik wird überwiegend von nationalen Interessen bestimmt. Es wäre aber auch ganz verständlich, dass eine neue Regierung ihren Schwerpunkt in der Chinapolitik woanders ansetzt.

Jianguo Jiang ist Deutschland-Korrespondent der Renmin Ribao (Volkszeitung) in Berlin. Die größte Tageszeitung Chinas wird vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei herausgegeben und gilt als regierungsfreundlich.

Ye Cha berichtet für die Guangming Ribao (Licht-Zeitung) aus Berlin. Sie gehört zu einer der auflagenstärksten Zeitungen Chinas und versteht sich vor allem als die Zeitung der Intellektuellen und Menschen mit höherer Ausbildung.

Das Gespräch führten Yuxin Huang und Fengbo Wang