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"Die Debatten sind nicht entscheidend"

Vincent Michelot / mk15. Oktober 2012

Die erste Runde der TV Debatten zwischen Obama und Romney ging, so die Meinungen, an den republikanischen Herausforderer. Doch der Einfluss solcher Debatten wird überbewertet, meint der Politologe Vincent Michelot.

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US-Präsident Barack Obama (links, Demokrat) und sein Herausforderer bei den nächsten Präsidentschaftswahlen am 6. November Mitt Romney (rechts, Republikaner).
Bild: AP

Haben die Präsidentschaftsdebatten wirklich Einfluss auf den Wahlausgang? Kurz gefasst: Es kommt darauf an. Wie wichtig sind dann die noch zwei bevorstehenden Debatten zwischen Barack Obama und Mitt Romney? Antwort: Nicht besonders wichtig.

Generell werden die Bedeutung der Debatten und ihr Einfluss auf den Wahlausgang von den Medien, die Dramatik und Trendwenden lieben, deutlich überbewertet. Debatten gehören zu den Wahlkampfritualen, die drei Tage vor und zwei Tage nach einem Ereignis angeblich eine Trendwende darstellen. Nimmt man diese Ereignisse jedoch ein Jahr später mit harten Daten und Fakten politikwissenschaftlich unter die Lupe, verblasst ihre angebliche Bedeutung ganz plötzlich wieder.

Mit den Debatten verhält es sich ähnlich wie mit den Vize-Präsidentschaftskandidaten: Zwei Wochen vor ihrer Verkündung wuchern die Spekulationen der Medien und der Experten (zu denen ich ehrlicherweise auch gehöre) über mögliche Kandidaten und was deren Wahl bedeuten könnte. In der Woche nach der Bekanntgabe des glücklichen Gewinners entwerfen dieselben Kommentatoren mögliche Szenarien der Wirkung des Kandidaten auf verschiedene Staaten, Bevölkerungsgruppen oder Themen.

Unentschlossene Wähler

Die Mehrheit der Politikwissenschaftler ist sich einig, dass der einzige Vize-Präsidentschaftskandidat, der wirklichen Einfluss auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl hatte, Lyndon Johnson im Jahr 1960 war. Alle anderen, wie Dan Quayle, Geraldine Ferraro oder George H.W. Bush hatten keinen politischen Einfluss.

Zudem kann unmöglich genau erfasst werden, was unentschlossene Wähler wirklich umtreibt. Besonders in einer Wahl wie dieser, in der sich die Amerikaner mit einem klaren ideologischen Kontrastprogramm konfrontiert sehen.

Die rund fünf Prozent der noch unentschlossenen Wähler - sofern sie sich überhaupt zur Wahl entschließen - sind selbst für die klügsten Wahlbeobachter ein unlösbares Rätsel. Und da wir keine Ahnung haben, wie sich dieses amorphe und unverständliche Wählersegment am 6. November entscheiden wird, haben wir eine Tendenz zu glauben, dass die Debatten quasi eine Magie entfalten und einen Gewinner aus dem Hut zaubern können.

Vincent Michelot, Politikwissenschaftler, Sciences Po Lyon (Foto: privat) Bild geliefert von Walburga Puff, Responsable administrative - Senior Executive Officer ERASMUS Coordinatrice - ERASMUS institutional coordinator/durch DW/Andrea Rönsberg.
Politikwissenschaftler Vincent Michelot von der Sciences PoBild: privat

Ebenso bedeutsam ist, dass die Debatten durch ihr Format zusätzlich an Wert verlieren. Es ist schlicht Etikettenschwindel, zwei parallel laufende Pressekonferenzen mit einem Minimum an moderiertem und abgeschwächtem Meinungsaustausch als Debatte zu bezeichnen. Das Gleiche gilt für die sogenannten Town-Hall-Meetings bei denen den Kandidaten vorher eingereichte Fragen präsentiert werden.

Meinungsmache siegt über Analyse

Und schließlich macht es die Meinungsmache - der so genannte Spin der Wahlkampagnen - die unmittelbar nach Beendigung der Debatten einsetzt, jedem ernsthaften Wähler sehr schwer sich eine eigene Meinung zu bilden.

Die Debatten lassen kaum Raum für Nuancen oder komplexe Themen. Deshalb sind die Kandidaten häufig gezwungen, im Zwei-Einhalb-Minuten-Takt mit möglicher Erwiderung innerhalb von 30 Sekunden Lösungen zu Problemen wie dem Israel-Palästina-Konflikt, dem iranische Atomprogramm oder der Zahlungsbilanz zwischen China und den USA anzubieten.

Dies führt naturgemäß zur Wiederholung einstudierter Standpunkte mit dem simplen Ziel: Beim Thema bleiben und sich auf keinen Fall einen Ausrutscher leisten!

Virtuelle Geier

Grundsätzlich sind wir Fernsehzuschauer sowieso virtuelle Geier, die nur auf den einen interessanten Augenblick warten, in dem ein Kandidat ein neues Land erfindet, einen Blackout beim Versuch hat, dass dritte Ministerium, das er abschaffen wollte, zu benennen, oder behauptet, Russland vom Badezimmer aus sehen zu können, und sich als Sovietologe oder Putinologe neu erfindet. All dies erklärt, warum die Zahl der Amerikaner, die sich diese Debatten anschaut, seit dem berühmten Kennedy-Nixon-Schlagabtausch 1960 stetig sinkt.

Und dennoch werden viele von uns - sogar mitten in der Nacht in Paris, Berlin oder London - die verbleibenden Debatten am 16. und 22. Oktober verfolgen. Warum?

Präsidentschaftskandidaten, Vize-Präsident Richard Nixon (rechts, Republikaner) und Senator John F. Kennedy (links, Demokraten) geben sich nach ihrer Fernsehdebatte am 07.10.1960 in Washington die Hand. (Foto: dpa)
Die Fernsehdebatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy (l.) und Richard Nixon (r.) galt als wahlentscheidend - für KennedyBild: picture-alliance/dpa

Bestätigung ihrer Wahl

Weil in einer sehr engen Wahl der Teufel im Detail steckt und eine Bemerkung oder ein kluger Konter eine bestimmte Wählergruppe in einem sogenannten battleground state, einem Bundesstaat in dem ein enger Wahlausgang zwischen den beiden Kandidaten erwartet wird, beeinflussen kann. Deshalb erhoffen sich die Wähler in den USA und die Möchtegern-Wähler in Europa eine Bestätigung ihrer wichtigsten Ansichten im Hinblick auf die Wahl am 6. November.

Zum Beispiel: Ist Mitt Romneys Außenpolitik wirklich so angsteinflössend wie sie klingt? Verfügt er über die Wirtschaftskompetenz, die Wähler von einem Herausforderer erwarten? Wie wird er sich über die 47 Prozent der Amerikaner äußern, die er als abhängig von der Regierung bezeichnet hat und die anscheinend in eine Freie-Markt-Reha-Klinik eingeliefert werden müssten?

Bei Barack Obama hingegen handelt es sich um den interessanten Fall eines Meisterrhetorikers, der seine pädagogischen Fähigkeiten 2008 im Wahl-Schließfach verstaut und anschließend den Schlüssel weggeworfen hat. Jeder liberale Demokrat in den Vereinigten Staaten wird die Debatten in der Hoffnung verfolgen, dass es dem Präsidenten doch endlich gelingt, die große, progressive Geschichte, auf der er eine zweite Amtszeit aufbauen könnte, zu entwickeln.

Enges Rennen

Das Wichtigste zum Schluss: Die Debatten sind nur dann wichtig, wenn keiner der beiden Kandidaten bis dahin deutlich bei den Prognosen über die Wahlmännerstimmen oder den Umfragen in Führung liegt.

Genau deswegen interessierten die Debatten zwischen Reagan und Mondale im Jahr 1984 oder zwischen Dole und Clinton im Jahr 1996 im Grunde niemanden. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Presse schon mit dem Schreiben der Nachrufe auf die Herausforderer beschäftigt.

Sollte Mitt Romney jedoch im Oktober fast gleichauf mit Obama liegen - was durchaus einem Wunder gleichkommen könnte - ja, dann werden die Debatten wichtig.

Also überlassen wir einfach der Fernbedienung die Wahl.

Vincent Michelot ist Professor für Politikwissenschaften am Institut d'Études Politiques (Sciences Po) in Lyon, Frankreich.