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"Die Detailarbeit gibt den Ton an"

Lars Klingbeil7. September 2005

Seit Januar ist Lars Klingbeil für die SPD im Bundestag. Mit 27 Jahren ist er der jüngste sozialdemokratische Abgeordnete und auch für ihn war die Ankündigung von Neuwahlen eine Überraschung.

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Lars Klingbeil "Plötzlich war ich Abgeordneter"Bild: dpa

Am 14. Januar 2005 klingelte das Handy: "Herzlichen Glückwunsch. Du bist Abgeordneter. Montag musst du nach Berlin kommen!" Kleine Worte, die große Auswirkungen auf mein Leben haben sollten. Ein SPD-Abgeordneter war zurückgetreten, als Nachrücker auf der Landesliste war ich nun im Bundestag. Vom ruhigen Schreibtisch, an dem ich an meiner Doktorarbeit bastelte, nun rein in die Praxis: Parlamentsbetrieb in Berlin, Ausschüsse und die Arbeit in meinem Heimatlandkreis Soltau-Fallingbostel.

Mitreden und mitbeschließen

Natürlich fragt man sich, ob man als 27-Jähriger dem politischen Geschäft im Bundestag gewachsen ist. Doch was hier entschieden wird, betrifft meine Generation mit am stärksten. Egal ob Rente, Gesundheit oder Europa – die jungen Menschen sind davon betroffen. Insofern sollten wir nicht nur mitreden, sondern auch mitbeschließen, wenn es um unsere Zukunft geht. Und: Das Parlament soll schließlich ein Querschnitt durch die Gesellschaft sein.

Es macht Spaß im Bundestag zu arbeiten. Ohne Leidenschaft für Politik lässt sich so ein anstrengender Job wohl kaum bewältigen. Bevor es jedoch losging im Parlament standen erstmal organisatorische Dinge im Vordergrund: Mitarbeiter, Büros und Homepage mussten her. Und im Bundestag muss man sich erstmal zu recht finden: Wo sitzt man eigentlich im Plenum? Wie laufen Abstimmungen ab? Wie funktioniert ein Hammelsprung? Viele Abgeordnete aus meiner Landesgruppe Niedersachsen haben mir geholfen, haben mich in den Betrieb in Berlin eingeführt.

Europapolitik im Vordergrund

Ich hatte Glück und konnte die Arbeit in meinem "Wunschausschuss" beginnen, im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union bzw. im "Europa-Ausschuss". Zuständig bin ich dort für die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik, für Europäische Bildungspolitik und die Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS).

Im Mittelpunkt meiner Arbeit stand aber zunächst ein ganz anderes Projekt: Die Europäische Verfassung stand kurz vor der Verabschiedung, und im Bundestag sollte hierzu auch ein Begleitgesetz verabschiedet werden, das die Einflussmöglichkeiten der Parlamentarier auf europäischer Politik stärkt. Europapolitik ist heute alles andere als Außenpolitik, es ist Sozial-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Somit ist es richtig, die europapolitische Arbeit in Berlin neu zu organisieren und die Abgeordneten stärker einzubinden. Diese beiden Gesetze haben die meiste Zeit meiner Arbeit in Anspruch genommen.

Detailarbeit gibt den Ton an

Als wir die Verfassung und das Begleitgesetz am 11. Mai im Bundestag verabschiedet haben, war dies natürlich auch ein guter Moment für mich. In den Tagen zuvor hatte ich in meinem Landkreis an den Schulen eine Infotour zur Europäischen Verfassung gemacht. Mit knapp 400 Schülerinnen und Schüler habe ich an acht Schulen über die Verfassung diskutiert – und sie schließlich in geheimer Wahl abstimmen lassen: 85 Prozent waren für die Verfassung. Ein gutes Ergebnis. Umso bedauerlicher war es, als Frankreich und die Niederlande die Verfassung abgelehnt haben und das Vorhaben zunächst auf Eis gelegt worden ist.

Als "einfacher" Abgeordneter ist es häufig die Detailarbeit, die den Ton angibt. Die kleinen Räder, die gedreht werden, sind außen wenig sichtbar. Die vielen Diskussionen, die mit Experten zu Themen geführt werden. Die Sorgfältigkeit mit der Gesetze erarbeitet werden, die Diskussionen in denen in Ausschüssen um Paragrafen und Absätze gerungen, debattiert und auch mal gestritten wird, dringen oft nicht an die Öffentlichkeit. Hier werden die Dinge bewegt. Und gerade diese Arbeit – so mein Eindruck nach wenigen Monaten – ist das Wichtige.

Überraschung Neuwahlen

Aber auch die großen Themen werden diskutiert. Seit mehreren Jahren bin ich bei den Jusos, der Jugendorganisation der SPD, aktiv. Eines unserer Ziele ist die Abschaffung der Wehrpflicht. Als ich anfing mit der Politik waren nur wenige in der SPD für ihre Abschaffung, aber es werden immer mehr. Auf dem Bundesparteitag wird das eine ganz spannende Diskussion mit offenem Ausgang. Das gehört auch zur Politik: Zu lernen, dass man Geduld und Ausdauer braucht. Aber verändern kann man.

Gerade als ich das Gefühl hatte, mich in Berlin eingelebt zu haben und "drin" zu sein im Geschäft, kam der 22. Mai und mein Partei- und Fraktionsvorsitzender Franz Müntefering rief die Neuwahlen aus. Für mich eine Überraschung - wenn auch eine richtige Entscheidung. Und nun erlebe ich meinen ersten Wahlkampf als Abgeordneter. Eine neue Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Politik wird eben nie langweilig. Gerade für einen 27-Jährigen nicht.