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Demut statt Demo

27. Juni 2009

Stell dir vor, es ist Wirtschaftkrise und keiner regt sich drüber auf. Absurd? Vielleicht. Aber Alltag in Deutschland, wo die Folgen des New Yorker Börsencrashs nicht zu Aufständen, sondern nur zu Schlagzeilen führen.

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Eine Frau liegt auf dem Sofa und hält ihren Bauch mit einer Wärmflasche warm (Foto: dpa)
Demut statt DemoBild: picture-alliance / dpa

Überall in Europa meldet sich derzeit der Volkszorn über einen entfesselten Finanzmarkt zu Wort. Vor allem in Frankreich, dem Land mit der glorreichsten Streitkultur, demonstrieren die Bürger schon seit Monaten lautstark gegen korrupte Manager, unfähige Banker und hilflos wirkende Politiker und nahmen sogar schon Wirtschaftsbosse als Geiseln. Doch in Deutschland? Wo sind die Proteste, die Kundgebungen oder gar die sozialen Aufstände, wie sie der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer und Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan noch vor ein paar Monaten vorhergesagt hatten? Zwar sind die "Finanzkrise" und die daraus erwachsenen Firmenpleiten gerade der thematische Dauerbrenner in den Medien. Doch unter den deutschen Bürgern herrscht mehrheitlich banges Schweigen.

Die große Stille nach dem Bankencrash

Laiendarsteller vor Kulisse und Deutschland-Flagge (Foto: dpa)
Nachspielen macht mehr Spaß: Laiendarsteller in Berlin stellen die Revolution von 1848 nachBild: picture-alliance

Dieses ängstliche Duckmäusertum hat in Deutschland eine lange und unrühmliche Tradition. Schon mit ihrer Revolution 1848 waren die Deutschen, im Gegensatz zu anderen europäischen Nationen, stark verspätet und nur mäßig erfolgreich. Viele Reformen blieben dank eines ausgeprägten Untertanen-Geistes noch in den Amtsstuben des nachfolgenden Kaiserreichs stecken. Außerdem lastet historisch bis heute der dunkle Schatten der Nazi-Diktatur auf den Deutschen. Gerade ältere Bürger bekommen es beim Anblick einer empörten Menge hier schnell mit der Angst zu tun, die gemeinschaftliche Wut könnte sich noch einmal in einen inhumanen Fanatismus steigern. Statt Klassenbewusstsein und Solidarität regieren in der heutigen Bundesrepublik deswegen eher Einzelkämpfertum und ein Denken, wonach jeder nur für sich und seine Misere allein verantwortlich ist.

Rückzug ins Private

Protestforscher wie der Magdeburger Politikwissenschaftler Roland Roth beklagen hier bereits eine mentale "Erosionskrise" der deutschen Gesellschaft. Denn anstatt in der Not stärker zusammenzurücken und gemeinsam für Lösungen zu kämpfen, ziehen sich deutsche Bürger angesichts der Negativmeldungen lieber in die eigenen vier Wände zurück. Die Scham, als Verlierer dazustehen, ist in der perfektionistischen Ego-Gesellschaft der Berliner Republik deutlich ausgeprägter als bei den europäischen Nachbarn. Dem alten preußischen Leistungsideal gemäß möchte der Deutsche kein Jammerlappen sein, möglichst immer alles richtig machen und gesteht auch anderen nur bedingt Fehler zu. Läuft dann aber doch einmal etwas grundsätzlich schief, reagiert er umso hilfloser und fühlt sich schnell als Versager, der seine Wut eher selbsthasserisch gegen sich selbst als gegen mögliche Verantwortliche wendet.

Menschen vor einem Plakat mit der Aufschrift 'Deutsche Bank - Geschlossen! wegen Gefährdung des Allgemeinwohls' (Foto: dpa )
Studenten sind aktiver: symbolischer Banküberfall in Frankfurt/MainBild: picture-alliance/ dpa

Dabei hat die friedliche Revolution in Ostdeutschland 1989, die im Mauerfall gipfelte, eigentlich bewiesen, dass auch deutsche Bürger erfolgreich protestieren können. Und wie viel Durchsetzungskraft selbst in harmlos wirkenden Straßen-Demonstrationen schlummert. Wo aber ist dieser Widerstandswille heute geblieben? Und warum herrscht stattdessen nun so viel Lähmung und "German Angst", wie man im Ausland hämisch über die allzu braven Deutschen spottet.

Fehlende Visionen

Für Boris Loheide von Attac Köln liegt das auch an einer Politik, die seit dem Mauerfall und Zusammenbruch des Kommunismus nicht müde wird zu betonen, dass es angeblich keine Alternative zum globalisierten Turbo-Kapitalismus gibt. Ohne klare Vision von einer anderen Gesellschaft aber fehlt dem Wunsch nach Veränderung die Zielperspektive. Und wächst bei vielen Deutschen das mulmige Gefühl, heute ohnmächtig einem zweifelhaften Wirtschafssystem ausgeliefert zu sein, gegen das es kein Gegenmittel gibt.

Autorin: Gisa Funck
Redaktion: Petra Lambeck