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Die Eiszeit scheint vorbei

Gerda Meuer, z. Zt. in Madrid4. Juni 2003

Nach außen hin herrschte auf dem NATO-Treffen eitler Sonnenschein. Der Grundsatzstreit über den Irak-Krieg schien vergessen. Doch jeder wusste, dass die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten weiter bestehen.

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Irgendwie schienen alle erleichtert: Die Eiszeit zwischen den
Europäern und den Amerikanern scheint vorbei zu sein. Der Irakkrieg war denn auch kein Thema mehr zwischen den Außenministern des Militärbündnisses. Vor allem war es kein Streitthema mehr, dass die NATO fast gespalten hätte.

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer begrüßte in Madrid die Reise des amerikanischen Präsidenten in den Nahen Osten und freute sich, dass die USA wieder den Fahrersitz eingenommen haben. Dass US-Außenminister Colin Powell nicht in Madrid war, weil er seinen Präsidenten auf seiner Vermittlungsreise begleitet - niemand interpretierte es negativ mit Hinweis auf das zerrüttete Verhältnis zwischen den USA und Europa. Niemand las daraus eine neue Brüskierung Washingtons ab, niemand eine Geringschätzung des transatlantischen Bündnisses.

Es herrscht wieder Friede in der NATO. Dabei haben weder
Kriegsgegner noch Kriegsbefürworter ihre Meinung geändert. Und insgeheim weiß jeder, wie fragil dieser Frieden ist, dass die Minen längst noch nicht weggeräumt sind und der transatlantische Graben bei nächster Gelegenheit wieder aufbrechen kann.

Aber in Madrid lautete die Losung: Nach vorne blicken und daran anknüpfen, wo man vor dem großen Zerwürfnis stehen geblieben war. Das große Projekt der Erneuerung der NATO - Lord Robertson trug es mit der vertrauten Emphase vor, froh der Rolle des - wohlgemerkt parteiischen - Streitschlichters entronnen zu sein und wieder eine Aufgabe zu haben, die die Militärs am liebsten mögen: Eine klar umrissene Aufgabe in einem genauen Zeitplan abzuarbeiten.

Das weltweit größte Militärbündnis muss sich erneuern, muss sich modernisieren und muss flexibler werden. Strategien und Waffen aus der Zeit des Kalten Krieges taugen nicht für den Kampf gegen den Terrorismus. Das leuchtet jedem ein. Und in der nächsten Woche werden die Verteidigungsminister der NATO in Brüssel genauer sagen, wie weit man in den einzelnen NATO-Staaten seit dem letzten Gipfel in Prag mit der Modernisierung der Streitkräfte gekommen ist.

In Madrid aber ging es um die politische Unterfütterung dieses Prozesses, nicht um Waffensysteme, um Divisionen oder Militärtaktik. Schon beschlossen ist, dass die NATO jetzt nach Kabul geht. ISAF 4, die Schutztruppe für Afghanistan, wird einen NATO-Hut tragen. Und auch im Irak hat die NATO indirekt einen Fuß drin: Den verbündeten Polen wird bei der Sicherung eines Sektor im Irak von den Strategen in Shape, dem militärischen Hauptquartier des Bündnisses, geholfen.

Vor wenigen Wochen hätte niemand im Traum an eine solche Entwicklung gedacht. Doch was bedeutet sie? Die Europäer, so Fischer, sind schwach in der politischen Willensbildung, der institutionellen Umsetzung und den militärischen Fähigkeiten. Und nur ein starkes Europa könne eine starke transatlantische Allianz garantieren. Das Kräftemessen zwischen den Europäern und den USA geht also weiter - spätestens bei der nächsten strittigen Beurteilung einer Krisensituation.