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Nach dem Toronto-Gipfel

29. Juni 2010

Der G20-Gipfel in Toronto hat Lob für den Schuldenabbau, aber Kritik für wenig Konsens bei der Finanzmarktreform geerntet. Wie sieht die entwicklungspolitische Bilanz aus?

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Bild: DW

Es gehörte zur Tradition der G8, auf ihren Gipfeltreffen neben den weltwirtschaftlichen Themen auch ein wenig Entwicklungspolitik zu betreiben. In den letzten Jahren wurden regelmäßig afrikanische Staatschefs zum Frühstück geladen; in Gleaneagles stand 2005 auf Betreiben des damaligen britischen Premierministers Tony Blair sogar die Hilfe für die Entwicklungsländer im Mittelpunkt und auch Kanzlerin Angela Merkel hatte mit dem beim G8-Gipfel 2007 gestarteten Heiligendamm-Prozess nicht nur die Schwellenländer, sondern auch Afrika im Blick.

In der G20 sitzen die großen Schwellenländer mit am Tisch, die ja immer noch Entwicklungsländer sind, wenngleich keines von ihnen zur Gruppe der ärmsten Länder zählt. Die zentralen Themen wie die globale Koordination der Wirtschaftspolitik, die Regulierung der Finanzmärkte und die Reform von IWF und Weltbank sind damit auch entwicklungspolitische Themen, ebenso wie die in Toronto nur am Rande gestreifte Frage der Klimafinanzierung, des Abbaus von Subventionen für fossile Energien und dem wiederholten Appell an sich selbst, die Doha-Welthandelsrunde zu einem positiven Abschluss zu bringen. Nach dem von Weltbank-Präsident Robert Zoellick kürzlich erklärten Ende der "Dritten Welt" gehen die wichtigen globalen Themen Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen an. Es geht um globale nachhaltige Entwicklung und die Vermeidung von Krisen, die alle betreffen.

Umfassendere Agenda als bei G8

Dr. Peter Wolff vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (Foto: DIE)
Dr. Peter Wolff vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)Bild: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik

Aber die G20 hat auch eine spezifische Agenda, um den Abstand zu den armen Ländern zu verringern. Es ist sicherlich auf den Einfluss der Schwellenländer zurückzuführen, dass diese Agenda deutlich umfassender ist als die der G8, die bei ihrem Treffen in Toronto einen Tag vor dem G20-Gipfel bekannt gab, fünf Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen die Kinder- und Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern bereitzustellen. Dies wurde in der Öffentlichkeit überwiegend kritisch aufgenommen, weil die Industrieländer trotz dieser generösen Geste weit unter ihren Zusagen von Gleneagles geblieben waren.

Die wichtigsten Elemente der G20-Entwicklungs-Agenda

Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklungsfinanzierung. Nach der von der G20 bereits vor einem Jahr angestoßenen Kapitalerhöhung für die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken wird sich deren Ausleihvolumen von 37 auf 71 Milliarden US-Dollar pro Jahr nahezu verdoppeln. Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht um Official Development Assistance (ODA), sondern um höher verzinsliche langfristige Kredite an fortgeschrittene Entwicklungsländer. Sie werden dort gebraucht für Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur, den Umbau der Energiesysteme und für die Entwicklung der Privatwirtschaft. Sie konkurrieren allerdings mit Mitteln von den privaten Kapitalmärkten und es wird sich erst noch zeigen, ob die Entwicklungsbanken und die Entwicklungsländer tatsächlich genügend Investitionsprojekte entwickeln können, um dieses Kreditvolumen sinnvoll und nachhaltig unterzubringen. Vor der Finanzkrise hatten sie damit Schwierigkeiten. Zurzeit fließt ein großer Teil ihrer Kredite krisenbedingt als Budgethilfe und es wird gewaltiger Anstrengungen bedürfen, wenn die Entwicklungsbanken tatsächlich, im Verbund mit privatwirtschaftlichen Finanzquellen, "echte" Investitionen in diesem Umfang in Entwicklungs- und Schwellenländern finanzieren wollen.

Mehr Länder zahlen für weniger ein

Für die ärmsten Entwicklungsländer, die in Toronto nur durch Beobachter vertreten waren, hat die G20 wiederum wenig an zusätzlichen Finanzmitteln zu bieten, außer der hoffnungsvollen Aussicht auf die anstehende Auffüllung der entsprechenden Fonds bei Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank. Es wird allerdings mehr Länder geben, die in diese Fonds einzahlen, einschließlich China, Brasilien und andere Schwellenländer. Und es wird weniger Länder geben, die diese Mittel brauchen. So ist etwa Vietnam, einer der größten Nutzer dieser zinslosen Mittel, gerade zum Middle Income Country graduiert und verliert damit bald die Zugangsberechtigung. Wird Indien, ein anderes großes Nutzerland, sie weiter beanspruchen, auch wenn China ein wichtiger Einzahler ist? Man wird sehen, wie schwächlich sich die aufstrebenden Mächte positionieren werden, wenn es um die Finanzen geht. Vor diesem Hintergrund ist aber absehbar, dass für Afrika mehr Mittel verfügbar sein werden, weil vor allem die Asiaten als Empfängerländer nach und nach ausscheiden.

Für die ärmsten Entwicklungsländer hat die G20 schließlich die bereits beim G-8-Gipfel im italienischen L’Aquila 2009 beschlossene Initiative für ein globales Programm zur Förderung von Landwirtschaft und Ernährungssicherung bekräftigt, für das in den nächsten Jahren hohe Beträge investiert werden sollen.

Und schließlich gibt es noch eine Art Wundertüte, die - auch auf Betreiben der Süd-Koreaner - erst beim nächsten G20-Gipfel im November 2010 in Seoul geöffnet werden soll. Darin enthalten sind: Ein Wettbewerb für die besten Modelle der Finanzierung von Klein- und Mittelunternehmen, ein Katalog für innovative Methoden zur Verbreitung von Finanzdienstleistungen in Entwicklungsländern und schließlich der Bericht einer Arbeitsgruppe "Entwicklung", der in Seoul vorgestellt werden soll.

Werden sich die Aktionspläne, die dieser Bericht enthalten soll, auf die Millenniums-Entwicklungsziele beziehen, die schließlich bis 2015 zum gemeinsamen Fluchtpunkt der internationalen Entwicklungspolitik gehören? Das wird wohl so sein, zumal im September 2010 wieder eine UN-Konferenz zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele stattfinden wird und die G20 schlecht beraten wäre, würde sie sich von UN-Prozessen vollständig abkoppeln. Die Koreaner haben aber durchblicken lassen, dass sie sich auf ostasiatisch-pragmatische Weise mehr an konkreten Aktionen als an hehren Zielen orientieren wollen und dass nicht zuletzt auch ihr eigenes Entwicklungsmodell dabei Pate stehen soll. Man darf gespannt sein, ob damit auf die bisherigen Krisengipfel der G20 in den USA, Großbritannien und Kanada ein Entwicklungsgipfel in Korea folgt.

Dr. Peter Wolff, Abteilungsleiter "Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung", Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.