1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Erdbebenzone am Mittelmeer

Die Fragen stellte Ingun Arnold3. März 2004

Ende Februar gab es vier Erdbeben im Mittelmeerraum: In Marokko, in Ostfrankreich, in Mazedonien und in der Türkei. DW-WORLD fragte den Leiter der Erdbebenstation Köln zu Ursachen und Vorsorgemaßnahmen.

https://p.dw.com/p/4j8z
Eine verlässliche Vorhersage gibt es nichtBild: AP

DW-WORLD: Haben die Erdbeben der jüngsten Zeit im MIttelmeerraum etwas miteinander zu tun?

Klaus-G. Hinzen: Die Erdbeben haben insofern etwas miteinander zu tun, als sie von der gleichen treibenden Kraft erzeugt werden. Die Afrikanische und die Euroasiatische Platte bewegen sich aufeinander zu. Die Geschwindigkeit ist klein, im Bereich von Zentimetern pro Jahr, aber über längere Zeiträume summieren sich die Verschiebungsbeträge entsprechend. Diese Plattenbewegungen erzeugen in der relativ steifen und spröden Erdkruste mechanische Spannungen. Überschreiten die Spannungen die Festigkeit der Gesteine, so bebt die Erde. Ein unmittelbarer Zusammenhang in dem Sinne, dass das Beben in Ostfrankreich das Beben in Mazedonien ausgelöst hat, besteht nicht.

Wie sind die tektonischen Gegebenheiten rund um das Mittelmeer?

Grundsätzlich ist der Mittelmeerraum die Kollisionszone zwischen der Afrikanischen und der Euroasiatischen Platte. Das Beben in Marokko hatte einen Überschiebungscharakter, das heißt hier schiebt sich ein Teil der Afrikanischen Platte über die Europäische. Mazedonien liegt an der Nahtstelle zwischen der Adriatischen Platte, einer recht kleinen Platte, und der Europäischen. Das Beben in Ostfrankreich hingegen ereignete sich innerhalb der Euroasiatischen Platte.

Kann man die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben vorhersagen?

Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Beben einer bestimmten Stärke in einer Region in einem gegebenen Zeitraum (z. B. 500 Jahre) eintreten wird, lässt sich für viele Erdbebenregionen der Erde recht gut bestimmen. Diese Wahrscheinlichkeiten sind es auch, die so genannte Erdbebengefährdungskarten ausmachen. Man darf aber diese rein statistische Angabe der Wahrscheinlichkeit nicht mit einer Erdbebenvorhersage verwechseln. Eine Vorhersage müsste nämlich den möglichst genauen Ort, Zeitpunkt und die Stärke eines zukünftigen Bebens nennen. Eine verlässliche Vorhersage, die etwa Grundlage für die Evakuierung von Metropolen bildet, gibt es bisher nicht.

Um Beben vorherzusagen, müsste man die mechanischen Spannungen in der Erdkruste in Tiefen von 5 bis 30 km sehr genau kennen. Also dort wo die Beben entstehen. Vor allem müssten auch die zeitliche Änderungen der Spannungen erfasst werden. Ein solches Verfahren aber existiert nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Spannungen zu einem kritischen Werte je nach Region über viele Jahrzehnte bis gar Jahrtausende ansammeln.

Frühwarnsysteme sind in der Entwicklung und für manche Regionen auch sinnvoll. Diese Systeme warnen aber nicht etwa, bevor ein Beben passiert, sondern nachdem der Bruch im Erdinneren begonnen hat. Da die zerstörungswirksamsten seismischen Wellen nicht die schnellsten sind, kann man bei genügend großer Entfernung die Zeit bis zum Eintreffen der langsamen aber starken Wellen nutzen. Die Vorwarnzeiten liegen jedoch bestenfalls im Bereich weniger Minuten. In der Praxis reicht das nur für automatische Systeme, zum Beispiel um technische Anlagen abzuschalten oder vielleicht Hochgeschwindigkeitszüge zu bremsen.

Welche Maßnahmen zur Prophylaxe sind sinnvoll?

Die Erdbebenvorsorge oder Prophylaxe beginnt mit der Ermittlung der seismischen Gefährdung einer Region. Das ist Aufgabe der Seismologie. Hinzu kommen ingenieurseismologische Fragen, zum Beispiel nach dem dynamischen Verhalten von Lockergesteinen, die oft den Baugrund bilden. Bauingenieure müssen bestehende und zukünftige Bauwerke bewerten hinsichtlich des Schwingungsverhaltens. Diese Dinge müssen Eingang finden in die örtlichen Bauvorschriften. Hinzu kommt für den Fall der Fälle die Erstellung von angemessenen Schadenszenarien für den Katastrophenschutz.

Mit welchen Methoden versuchen Seismologen, den Ursachen und Mechanismen von Erdbeben auf die Spur zu kommen?

Die Messung von Seismogrammen bei Beben der Gegenwart und die wissenschaftliche Interpretation dieser Registrierungen ist sicher die wichtigste Methode der Seismologie. Um auch Beben vergangener Zeiten bewerten zu können, ist die enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit einer ganzen Reihe von Wissenschaftszweigen gefragt.

Was leisten Erdbebenstationen? Welchen praktischen Nutzen haben die Forschungsergebnisse?

Erdbebenstationen erfassen das seismische Geschehen einer Region möglichst vollständig. Da zwischen der Häufigkeit des Auftretens von kleinen Mikrobeben und stärkeren Ereignissen gewisse Zusammenhänge bestehen, ist es wichtig, auch kleinere Ereignisse, die nicht einmal von der Bevölkerung gespürt werden, zu messen und zu katalogisieren. Je länger ein Erdbebenkatalog zurückreicht, desto wertvoller ist er für die Gefährdungsanalyse.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Stationen in Europa?

Die Zusammenarbeit mit anderen Stationen im benachbarten Europa funktioniert sehr gut. Da Erdbebenzonen und seismische Wellen keine Grenzen kennen, und für die umfassende Auswertung von Beben möglichst viele Daten gebraucht werden, ist eine enge Zusammenarbeit essentiell.