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Die EU als Papierstratege

Alexander Kudascheff24. März 2004

Israel will auch weiterhin gezielt Hamas-Führer töten - ungeachtet der weltweiten Kritik an dem Mord an Ahmed Scheich Jassin. Und wie verhält sich die Europäische Union dazu?

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Der Schlag galt dem Haupt der Hydra: Scheich Jassin wurde von israelischen Bomben zerrissen, die Hamas empfindlich im politischen Mark getroffen. Und selbst wenn die neuen Führer von Hamas lautstark skandieren, dass "jetzt für Israel das Tor zur Hölle geöffnet" würde, so steht doch fest: Der Übervater der islamischen Hamasextremisten ist tot, ein Nachfolger nicht in Sicht. Das ist gut und schlecht zugleich: Denn die führerlose Hamas ist weniger gefährlich, aber auch unberechenbarer als die Hamas von Jassin. Für die EU wiederum stand sofort fest: "extralegale" Tötungen seien nicht hinnehmbar, so die einhellige Meinung der EU-Außenminister in Brüssel. Zwar unterstrichen die Außenminister wieder einmal das Recht auf Selbstverteidigung des israelischen Staates, aber die rabiate Entschlossenheit von Premier Scharon blieb ihnen mindestens suspekt.

Langfristige Krise zu befürchten

Dabei fragt man sich natürlich auch in Brüssel: Warum steht die Hamas auf der schwarzen EU-Terrorliste wie die El Kaida, wenn ein energischer Kampf gegen sie im gleichen Atemzug verurteilt wird? Das können die Außenminister nicht erklären, weil sie öffentlich nicht gutheißen können, was sie intern vielleicht tun. Denn Scheich Jassin war natürlich einer der übelsten Hetzer gegen Israel und die Juden weltweit; er war ein Propagandist des Terrors und des Hasses; er repräsentierte das unbedingte, nicht aufzuweichende Nein eines Teils der Palästinenser zum Existenzrecht des Staates Israel und zu Verhandlungen, um zwei Staaten in Palästina zu schaffen. Jassin war gegen Frieden, er wollte ein archaisch-islamisches Gottesreich auf den Ruinen Israels. Das wusste man - in Israel ebenso wie in Washington und in Europa. Trotzdem verurteilte man das Vorgehen der Israelis. Denn, in Brüssel gilt natürlich die außenpolitische Maxime des französischen Diplomaten Tayllerand: "Schlimmer als ein Verbrechen in der Politik ist die Dummheit." Und der Schlag gegen Jassin kann sich langfristig als Dummheit erweisen: Er radikalisiert alle Palästinenser, er isoliert die Friedensbereiten, er verschüttet die "road map" zum Frieden, er beflügelt den Terror gegen Israel. Und stürzt das Land in eine noch tiefere Krise als bisher.

Mehr Worte als Taten

Die israelische Entschlossenheit kann à la longue durchaus Teil einer großangelegten Nahost-Strategie sein, die sich Amerikaner und Europäer vorstellen. Die Entschlossenheit zeigt nämlich, dass man sich dem mörderischen Terror niemals beugen wird. Aber trotzdem muss man politisch einwirken. Deswegen wollen die EU und die USA den Dauerkrisenherd Nahost, den islamischen Bogen von Pakistan bis Marokko, demokratisieren. Das heißt, die Unwissenheit wie die Armut zu bekämpfen, ohne besserwisserische Konzepte von außen aufzudrängen. Dabei gilt für die EU: Sie ist zur Terrorabwehr - verbal zumindest - entschlossen, scheut aber konkrete Maßnahmen. Sie liebt die großen Worte, aber sie fürchtet die Taten. Selbst der mörderische Anschlag von Madrid hat die EU nicht wirklich aufgerüttelt, sie aus dem passiven Schockzustand in energische Initiativen getrieben. Selbst der Austausch von Daten der Geheimdienste erscheint unmöglich, weil verfassungsrechtlich verwickelt. Also wird es bei entschlossen klingenden Kommuniques bleiben. Und dann wird weiter die ganz normale Tagesordnung abgearbeitet.