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Kaum Aussicht auf schnellen Erfolg

Bernd Riegert20. November 2013

Straßburg, Brüssel, Luxemburg oder sonst wo? Der Sitz des Europäischen Parlaments bleibt umstritten. Jetzt wollen die Abgeordneten selbst entscheiden. Bisher werden sie zum Reisen gezwungen.

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Plenarsaal Straßburg leere Ränge. REUTERS/Vincent Kessler (FRANCE - Tags: POLITICS)
Blick in den Plenarsaal in Straßburg: Nur 12 Wochen im Jahr genutztBild: Reuters

Der große Plenarsaal mit derzeit 766 Sitzen in Straßburg war gähnend leer, als eine Handvoll Abgeordnete darüber stritt, ob das Europäische Parlament künftig selbst über seinen Tagungsort entscheiden sollte. An der Abstimmung beteiligten sich dann aber doch recht viele, weil diese Frage Teil eines ganzen Abstimmungspaketes über diverse Gesetzesvorhaben war. Eine große Mehrheit der Parlamentarier billigte den Antrag, demnächst selbst darüber zu entscheiden, in welcher Stadt getagt werden soll. Im Moment pendeln die Abgeordneten mitsamt ihren Mitarbeitern und der Verwaltung des Parlaments zwischen Straßburg und Brüssel hin und her. Nur 48 Tage im Jahr kommt das Parlament zu Plenarsitzungen in der ost-französischen Stadt zusammen. Rund 150 Millionen Euro pro Jahr kostet das ständige Umziehen, schätzt der grüne Abgeordnete Gerald Häfner, der den Antrag zur Sitz-Frage betreut hat.

Plenarsaal während einer Tagung im Europäischen Parlament in Brüssel am 28.03.2007. Foto: Guido Bergmann +++(c) dpa - Report+++
Wegen Renovierung zurzeit geschlossen: Plenarsaal in BrüsselBild: picture-alliance/dpa

"Wanderzirkus ist überflüssig"

Gerald Häfner nannte die Entscheidung des Parlaments, wegen seines eigenen Sitzes jetzt eine Veränderung der Europäischen Verträge zu verlangen, einen "historischen" Einschnitt. "Das Parlament muss das selbstverständliche Recht jedes Parlaments auf dieser Welt, das den Namen verdient, bekommen und wahrnehmen, nämlich das Recht zu entscheiden, wann wir uns treffen, wo wir uns treffen und wozu wir uns treffen." Bislang legen die Europäischen Verträge fest, dass Straßburg Sitz des Parlaments ist. Nur der Rat, also die Vertretung der Mitgliedsstaaten könnte das einstimmig ändern. Bislang hat aber Frankreich immer verhindert, dass die Frage ernsthaft diskutiert wurde. Die französische Regierung hatte 2012 sogar vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt und höchstrichterlich feststellen lassen, dass gegen seinen Willen im Ministerrat der Sitz nicht verändert werden kann.

Seit über dreißig Jahren maulen die Abgeordneten wegen ihrer Plenarsitzungen in Straßburg. Schon die damalige Parlamentspräsidentin Simone Veil, immerhin selbst Französin, nannte den Reisezirkus Geld- und Zeitverschwendung. Der britische Konservative Ashley Fox kann seinen Wählern die monatliche Karawane aus Umzugswagen zwischen Brüssel und Straßburg nicht länger erklären. "Mit dem Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg geben wir uns in der ganzen EU der Lächerlichkeit preis. Die Unterstützung für die EU ist in Großbritannien nur noch hauchdünn. Der fortgesetzte Wanderzirkus würde die Unterstützung neben anderen Dingen noch weiter schmälern", so Ashley Fox in der Parlamentsdebatte.

Auf dem Bild: Das Gebäude des EU-Parlaments in Straßburg, Frankreich. 16.1.2013. Rechte: Philipp Böll / DW
Eines der größten Parlamentsgebäude der Welt: EU-Parlament in StraßburgBild: DW/P.Böll

Welche Stadt ist nicht entschieden: Hauptsache nur eine

Die Abgeordneten plädieren in ihrem Beschluss für einen Sitz des Parlaments und das Recht, selbst zu entscheiden. Sie nennen aber keinen Namen für eine konkrete Stadt, weder Straßburg noch Brüssel. Die französische Abgeordnete Constance Le Grip weist formal korrekt darauf hin, dass das Europäische Parlament bereits seit seiner Gründung im Jahr 1952 nur einen Dienstsitz hat, nämlich die Grenzstadt Straßburg als Symbol für die deutsch-französische Aussöhnung. Das zweite Parlamentsgebäude in Brüssel hat sich das Parlament selbst gegönnt, weil die Abgeordneten aus praktischen Gründen näher an der EU-Kommission und dem Ministerrat in der EU-Hauptstadt tagen wollten.

Constance Le Grip argumentiert wie der frühere französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy. "Frankreich ist natürlich für den einen Sitz des Parlaments. Der muss in Straßburg sein", so Sarkozy schon 2007. Außerdem sei das Parlament ja nur eine von vielen europäischen Institutionen, die über viele Mitgliedsländer verteilt seien, so die französische Abgeordnete Le Grip: "Ich bedauere, dass die Frage nach dem Sitz der übrigen Institutionen der EU ausgeklammert wird. Das hängt zusammen. Es kann ja nicht nur um den einen Sitz für das Parlament gehen." Auch Luxemburg, wo zahlreiche EU-Institutionen sitzen, wäre wohl kaum bereit zu verzichten. Was wäre wenn Frankfurt am Main auf die Europäische Zentralbank verzichten sollte, fragen französische Abgeordnete.

Frankreich wehrt sich

Um dieses Pulverfass der nationalen Eitelkeiten nicht anzufassen, hat das Parlament zunächst davon abgesehen, eine konkrete Stadt zu nennen, so der parlamentarische Berichterstatter Ashley Fox. Es geht erst einmal nur darum, dem Ministerrat das Recht zur Bestimmung des Sitzes zu nehmen. Fox ließ durchblicken, dass er nicht unbedingt in Brüssel tagen will. Die belgische Hauptstadt ist ihm zu schmuddelig und gefährlich. "Straßburg ist für mich zufällig eine der schönsten Städte, die ich je besucht habe. Es ist sauber, sicher und gastfreundlich und hat eine lange Geschichte. Brüssel kann im Gegensatz dazu nur mit der letztgenannten Eigenschaft aufwarten", so Fox.

Der estnische Abgeordnete Indrek Tarand regte an, den Sitz des Parlaments nach Prag zu verlegen, weil das verkehrstechnisch in der Mitte der 28 Mitgliedsstaaten liege. Oder noch besser, so Tarand, sei Zagreb, denn "dort ist das Wetter meistens besser als im trüben Brüssel." Eine Abgeordnete aus Österreich schlug per Zwischenruf prompt Wien vor. Das sei auch eine sehr schöne Stadt mitten in Europa. Auch Luxemburg wird wohl noch ein Wörtchen mitreden wollen, falls eines Tages ernsthaft über den Sitz des Parlaments entschieden wird. Denn, was kaum jemand weiß, ein großer Teil der Parlamentsverwaltung, ca. 3000 Arbeitsplätze, sind heute bereits in Luxemburg angesiedelt. Außerdem wird ein kompletter Plenarsaal vorgehalten, falls das Parlament sich doch einmal entschließen sollte, an seinem dritten Arbeitsstandort zu tagen.

n French President Nicolas Sarkozy delivers a speech during the EU Plenary Session in Strasbourg, France, 13 November 2007. Sarkozy faces the biggest challenge yet of his six-month term, when French transport and utility workers are due to begin an open-ended strike action that could paralyse the country. EPA/CHRISTOPHE KARABA +++(c) dpa - Report+++
Straßburg muss bleiben: Frankreichs Präsident Sarkozy 2007Bild: picture-alliance/dpa