1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die fast vergessene Geißel der Ärmsten

31. Januar 2002

Hohe Dunkelziffer und soziale Folgen erschweren Kampf gegen den "Aussatz". Allein eine rechtzeitige Behandlung kann lebenslangen Behinderungen vorbeugen. Der Weltlepratag versucht auf die Krankheit aufmerksam zu machen.

https://p.dw.com/p/1lDZ
Lepra-Krankenhaus in Neu DelhiBild: AP

Im Distrikt Dhanbad, dem "Ruhrgebiet" Indiens, leben noch immer besonders viele Lepra-Kranke. Die Bergwerksbesitzer erlaubten ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 90er Jahre, die beim Transport verloren gegangenen Kohlebrocken aufzusammeln und selbst zu verkaufen. So konnten sich die von der Gesellschaft Ausgestoßenen ihren kargen Lebensunterhalt wenigstens mit eigener Arbeit verdienen. Damals wie heute gilt der Grundsatz: "Lepra schafft Armut - Armut schafft Lepra". Mit dem einzigen Unterschied, dass sich die wirtschaftliche Situation mit dem Niedergang der Kohlewirtschaft verschärft hat. Die Lepra-Kranken als letztes Glied in der Kette müssen sich jetzt in einem regelrechten Kampf der Bettler behaupten.

Lepra ist ein soziales Problem

Das biblische Bild des Aussätzigen, der stigmatisiert, geächtet und ohne jeden sozialen Schutz sein Leben fristet, ist auch über 2000 Jahre später in vielen Entwicklungsländern aktuell, vor allem in Indien, Brasilien, Mocambique und Madagaskar. Trotz der hervorragenden Heilungsmöglichkeiten scheuen in den Ländern der Dritten Welt viele Betroffene den Gang zum Arzt und werden von ihren Angehörigen als Aussätzige im Haus versteckt. Das DAHW versucht daher vor Ort auch Vorurteile abzubauen. Es muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass ein Lepra-Kranker nach einer Medikamentenbehandlung nicht mehr ansteckend ist und resozialisiert werden sollte. Soziale und wirtschaftliche Eingliederung, unter anderem durch Ausbildungsprojekte, ist das große Ziel. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Wer abgelehnt werde, verliere das Gespür für seinen Wert, sagt auch Pater Gerard de Souza im indischen Distrikt Dhanbad. "Wir müssen für die Menschen Möglichkeiten schaffen, dass sie ihr Selbstbewusstsein wieder stärken."

Zahl der Neu-Erkrankungen steigt

Indisches Mädchen mit Lepra
Bild: AP

Zum Welt-Lepra-Tag am Sonntag zieht das Deutsche Aussätzigen-Hilfswerk eine erschreckende Bilanz: So stieg die Zahl der weltweit entdeckten Neuerkrankungen zwischen 1994 und 2000 von 560 000 auf über 700 000 Fälle an. Dabei kann ein Lepra-Kranker bei rechtzeitiger Diagnose bereits mit einem Kostenaufwand zwischen 20 und 25 Euro erfolgreich behandelt und geheilt werden. Die meisten Neuerkrankungen gibt es in Indien. Dort wurden im Jahr 2000 mehr als eine halbe Million neue Erkrankungen erfasst, in Brasilien waren es mehr als 40.000. Die Dunkelziffer schätzt das DAHW auf mindestens das Dreifache.

Lange Inkubationszeit

Lepra ist aber deshalb so schwer auszurotten, weil die Inkubationszeit zwischen Ansteckung und Ausbruch bis zu 30 Jahre dauern kann, wie der medizinische Abteilungsleiter Jürgen König vom Aussätzigen-Hilfswerk berichtet. Nach seiner Auffassung greift das Lepra-Konzept der WHO zu kurz, weil die Organisation sich auf die Zahl der behandelten Patienten konzentriert. Sinkt deren Zahl in der Statistik auf einen unter 10 000 Einwohner, gilt die Lepra als eliminiert. Weil Dauer und Art der Behandlung variieren können, misstraut das Aussätzigen-Hilfswerk inzwischen den Einschätzungen der WHO, die die Lepra bis 2005 im Griff haben will.

Nachlassenden Spenden entgegenwirken

Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), der erst kürzlich Leprakrankenhäuser und Slums in Indien besucht hat, spricht von einem "unverantwortlichen Skandal". Mit statistischen Tricks sei keinem Lepra-Kranken geholfen. Bei einem nachlassenden Spendenaufkommen in Deutschland müsse alles getan werden, Lepra als eine nach wie vor nicht ausgestorbene Geißel der Menschheit zum Thema zu machen.(pf)