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Geklonte Engel

Sabine Kinkartz25. Dezember 2006

In einem kleinen Dorf im Erzgebirge ist ein Kampf um chinesische Engel ausgebrochen. Die Bewohner setzen Intrigen, Klagen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen ein.

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Verkäuferin Ines Reichmann, Foto: dpa
Verkäuferin Ines Reichmann mit einem China-ProduktBild: picture-alliance / dpa

Eigentlich ist in Seiffen alles so wie in jedem Jahr. Rund um die kleine Hauptstraße ist der Weihnachtsmarkt aufgebaut, das Spielzeugmuseum lockt mit Advents- und Weihnachtsmusik. Eine Bimmelbahn fährt stündlich die örtlichen Sehenswürdigkeiten ab und als Höhepunkt des Tages zieht die Große Bergparade mit 400 Trachtenträgern durch den Ort. Aus der ganzen Welt strömen in der Weihnachtszeit die Touristen in den 3000 Einwohner zählenden Ort kurz vor der tschechischen Grenze.

Darüber freut sich Dieter Uhlmann, Geschäftsführer des Verbandes Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller. Die Besucherströme von bis zu 30.000 an den Wochenenden kämen nach Seiffen, weil es ein Zentrum der Volkskunst sei. Und um diese Volkskunst dreht sich alles in den zahllosen Werkstätten und Geschäften, die sich im Ort dicht an dicht aneinander reihen. Weihnachtsengel, Pyramiden mit echten und künstlichen Kerzen, Lichterbögen, Leuchter, Spieluhren, Nussknacker, Räuchermännchen und Baumbehang – wer sein Zuhause weihnachtlich schmücken will, der wird hier fündig. Doch die zumeist in Handarbeit gefertigten Stücke haben ihren Preis. Und der stößt so manchen Besucher erst einmal vor den Kopf.

Volkskunst und Musterschutz

Auf solche Kunden setzt der westdeutsche Unternehmer Johannes Schulte, der im Emsland die Firma Schulte Kunstgewerbe International betreibt. Der 52-jährige ist im Erzgebirge kein Unbekannter, denn Schulte importiert seit Jahren billige, in Asien gefertigte Holzfiguren nach Deutschland. So manche Volkskunstfirma aus dem Erzgebirge hat mit dem Emsländer schon Prozesse um den Musterschutz geführt.

Auch Matthias Schalling sieht sich von Schulte geschädigt. Im Büro des Seiffeners steht auf dem Schreibtisch ein traditioneller Lichterengel aus dem heimischen Traditionsbetrieb. Daneben ein Engel, den Schulte aus China importiert hat. Man erkenne beim Vergleich schon gewisse Unterschiede, gibt Schalling zu. Aber in vielen Details zeige der China-Engel dann doch viele Ähnlichkeiten mit dem traditionellen Lichterengel, sagt Schalling. "Es als Plagiat zu bezeichnen, da werde ich vor Gericht wohl nicht Recht bekommen, aber man muss einfach mal sehen."

Keine 150 Meter liegen die Geschäfte auseinander, in denen Schallings Engel und die Figuren aus China verkauft werden. Denn Importeur Schulte begnügt sich seit diesem Herbst nicht mehr mit dem Vertrieb seiner Waren aus dem Emsland, sondern hat in Seiffen ein eigenes Geschäft aufgemacht. "Neueröffnung" prangt auf einem gelben Schild in der Einfahrt. Auf engem Raum wird den Kunden in schlichten Regalen ohne viel Dekoration "Kunsthandwerk aus aller Welt" angeboten. Auf der einen Seite stehen Holzfiguren aus dem Erzgebirge, die als solche auch gekennzeichnet und als deutlich reduziert angeboten werden. Auf der anderen Seite steht die Importware. Und das führt so manchen Kunden in die Irre.

Genau das ist es, was die Seiffener fürchten. Dem Kunden fehlt der direkte Vergleich der Figuren, er sieht aber den deutlichen Unterschied im Preis. Denn Schultes Importware kostet im Schnitt nur die Hälfte dessen, was die einheimischen Betriebe für ihre Produkte berechnen.

Mobbing im China-Laden

Der neue Laden ist für die Seiffener eine echte Provokation und das bekommen vor allem Schultes Verkäuferinnen zu spüren.

Die Verkäuferin Tapea Helmert weiß zu berichten, dass sie schon häufiger im Laden beleidigt worden sei. Sie werde gefragt, ob sie sich nicht schäme, hier zu arbeiten und das es eine Unverschämtheit wäre, was sie da machen würde. Mitunter würde sie auch angebrüllt.

Helmert ist gelernte Holzspielzeugmacherin, doch die 23-jährige fand nach der Ausbildung keine Arbeit. Die Anstellung als Verkäuferin kam ihr daher sehr gelegen und die acht Euro Stundenlohn, die Schulte zahlt, sind in einer Region, in der die Stundenlöhne bei drei bis sieben Euro liegen, ein Spitzenverdienst. Zusammen mit ihrer 22-jährigen Kollegin Ines Reichmann muss Helmert dafür aber auch einiges wegstecken. "Euch werden schon noch Schlitzaugen wachsen", so würden sie beschimpft und von den Seiffenern gemobbt.

Mafia-Methoden

Schlechte Erfahrungen hat auch Schultes Vermieter Thomas Kirsche gemacht. Er ist selbst Händler in Seiffen, fertigt aber nicht selbst und bezieht seine Ware von den örtlichen Herstellern. Genauer gesagt, er bezog sie, denn seit bekannt wurde, dass er Johannes Schulte seinen zuvor lange leerstehenden Neubau vermietet hat, haben die meisten Zulieferer ihre Verträge gekündigt. Außerdem findet Kirsche in Seiffen keinen Handwerker mehr, der für ihn arbeiten will.

Wie sehr sich sein Leben durch den neuen Mieter dann aber doch veränderte, überraschte ihn selbst. "Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Ich wusste, dass sich danach nicht mehr viele mit mir hinsetzen und ein Bier trinken würden." Dass es aber so weit gehen würde, dass hier mafia-ähnliche Methoden angewendet würden, die selbst Herr Schulte zu spüren gekriegt habe, habe er sich nicht gedacht, sagt Kirsche. Schulte sei mittlerweile im fünften Hotel angekommen, er selbst werde von so manchem Nachbarn nicht mehr gegrüßt. Von Menschen, die er seit 56 Jahren kenne.

Ein Hotelier habe Schulte offen gesagt, dass er telefonisch bedroht worden sei und den Westdeutschen daher nicht länger beherbergen wolle. Einmal fand Schulte auch sein Auto mit eingeschlagener Frontscheibe vor. Der Täter wurde nicht ermittelt. Dieter Uhlmann behauptet gar, Schulte hätte die Scheibe wohlmöglich selbst eingeschlagen. Besonders zurückhaltend ist Uhlmanns Verband nicht. Beim ersten Versuch Schultes, sich im Erzgebirge niederzulassen, hatte der Verband mit Schultes Vermieterin gesprochen und die hatte daraufhin den Vertrag wieder aufgelöst.

Globalisierung lokal

Uhlmann ist der Auffassung, dass man manchen Auswirkungen der Globalisierung entgegentreten müsse. "Dazu gehört, dass gewisse Billigkopien, woher auch immer sie kommen, hier den deutschen Markt überschwemmen und letztendlich auch deutsche Arbeitsplätze vernichten", meint er. Für eine Branche, die ein deutsches Kulturgut verkaufe, und eben nicht nur ein bemaltes Stück Holz, sei das ein echtes Problem.

Da sich Importeur Schulte nicht abschrecken lässt, beschreitet Uhlmann mit seinem Verband jetzt auch andere Wege. Eine Kampagne mit dem Titel "Original statt Plagiat" wurde gegründet, die Plakate hängen in immer mehr Seiffener Geschäften. Damit wollen die Seiffener ihre Kunden sensibilisieren. Die tragen den Streit mittlerweile schon unter sich aus.

Gegen die Kampagne "Original statt Plagiat" hat Importeur Schulte mittlerweile eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Hamburg erwirkt, da er sich als Plagiateur kriminalisiert sieht. Die Seiffener ihrerseits haben gegen die Verfügung Widerspruch eingelegt, immerhin geht es um Strafgelder in Höhe von 250.000 Euro.

Traditionshandwerker Matthias Schalling ist allerdings klar, dass die Kampagne allein für eine erfolgreiche Zukunft nicht ausreichen wird. Deswegen versucht er nun in Eigenregie, neue Märkte für seine Produkte zu erschließen. "Ich fahre jetzt seit einiger Zeit nach Großbritannien zu einer Messe und da haben sich in den letzten sechs Jahren auch gute Kundenkontakte entwickelt, wir verkaufen dorthin ganz gut", sagt er. Das sei aber lediglich eine Strategie. Genauso wichtig seien Qualität und Innovation, um den Menschen neue Dinge zu bringen, die ihnen gefielen und mit denen sie sich identifizieren könnten, glaubt Schalling. "Außerdem wollen wir uns noch bewusster von China-Waren abgrenzen. Wir lassen auch verschiedene Sachen beim Patentamt schützen, einfach um Nachahmern die Dinge schwerer zu machen."