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"Die Geschichte ist kein Wunschkonzert"

20. Januar 2010

Viele Probleme Afrikas werden auf die ehemalige koloniale Abhängigkeit zurückgeführt. Hat die Kolonialzeit überhaupt irgendetwas Positives für Afrika gebracht? Elísio Macamo mit einer afrikanischen Sichtweise.

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Professor Elisio Macamo, Zentrum für Afrikastudien, Universität Basel (Foto: Elisio Macamo)
Professor Elisio Macamo aus Mosambik lehrt an der Universität BaselBild: Elisio Macamo

Das Leben, so sagt der unendlich weise deutsche Volksmund, ist kein Wunschkonzert. Das will sagen: man nimmt die Musik so hin, wie sie gespielt kommt. Man stellt sich dem Leben tapfer und hofft dabei, das Beste daraus zu machen. Viele afrikanische Länder werden in diesem Jahr den 50. Geburtstag ihrer Unabhängigkeit feiern. Ob sie die Zeit finden werden, sich Gedanken darüber zu machen, was die Kolonialzeit an guten Dingen mit sich gebracht haben könnte, ist mehr als fraglich. Grund zu feiern werden sie hingegen ausreichend haben. Selbst vor dem Hintergrund, dass die Herausforderungen, die aus der Abhängigkeit erst entstanden sind, nämlich aus dem zuweilen willkürlich zusammengesetzten Flickgewebe der Staaten funktionierende und stabile Gebilde zu machen, riesig sind.

Schrillende Alarmglocken

Soldaten in Somalia (Foto: ap)
Die Wahrnehmung Afrikas beschränkt sich oft auf Krisen und KonflikteBild: AP

Danach zu fragen, was die guten Seiten der Kolonialzeit gewesen sein könnten, ist Aufgabe derer, die an einer Auffassung von Geschichte als einem Wunschkonzert festhalten. Ihnen nach zu urteilen besteht Geschichte darin, stur nach vorne bis an ihr Ende zu marschieren. Die Vorstellung von diesem Ende wiederum wird immer noch durch die von der Aufklärung vererbte Auffassung bestimmt, wonach das Schicksal der Menschheit im ewigen Frieden und finaler Glückseligkeit bestehe. Es ist konsequenterweise nicht verwunderlich, dass alles, was den Anschein erweckt, dieses Ziel womöglich nicht erreichen zu können – Bürgerkriege, Hungerkrisen, Seuchen und tiefgreifende Armut – Alarmglöckchen erschrillen lässt. Diese klingeln wie verrückt und treiben manche dazu, sich ständig dazu aufgefordert zu sehen, sich darüber Gedanken zu machen, was mit Afrika denn nun falsch laufe.

Afrikanische Hartnäckigkeit

Afrikanische Kinder lernen am Computer (Foto: picture-alliance/dpa)
Hoffen auf die junge GenerationBild: picture-alliance/dpa

Und die ganze Zeit über liefert die Hartnäckigkeit, mit der Afrikaner sich trotz aller Umstände weigern, von der Bildfläche zu verschwinden – und stur am Leben festhalten – Beweise dafür, dass Geschichte nicht durch ein ihr zugedachtes Ende bestimmt wird. Sie wird eher durch die Fähigkeit der Menschen bestimmt, sich den Herausforderungen zu stellen, die sich ihnen eröffnen. Nichts war grundsätzlich falsch oder richtig an der Kolonialzeit. Die Kolonialherren haben den Afrikanern lediglich einen Fehdehandschuh hingeworfen, den sie mutig aufgenommen haben. Die Geschichte hat sie dazu aufgefordert, die Begriffe Freiheit, Würde und Selbstbestimmung neu zu definieren. Die Unabhängigkeit war eine erste Antwort darauf. Die Suche nach dem richtigen Staatsmodell, die in Afrika seitdem mit Höhen und Tiefen vorwärts schreitet, versucht diese erste Antwort durch einige Fußnoten zu präzisieren.

Was haben die Europäer gelernt?

Gefangene Herero im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika (Namibia) (Foto: ullstein bild)
Die Verbrechen der Kolonialherren sind in Europa fast vergessenBild: ullstein bild

Noch spannender wäre die Frage, ob die Europäer aus der Kolonialzeit etwas gelernt haben. Was geschieht eigentlich, wenn man sich den höchsten Menschheitsidealen wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit verpflichtet fühlt und trotzdem andere ihrer Würde beraubt? Sich einfach zu schämen genügt nicht. Diesen Anderen "Happy Birthday" mit einem Fragezeichen zu wünschen auch nicht.

Gastautor: Professor Elísio Macamo, Zentrum für Afrikastudien, Universität Basel
Redaktion: Katrin Ogunsade